Tichys Einblick
„Reform“ des Staatsbürgerschaftsrechts

Türkischer Nationalstolz gegen deutsche Träumerei: Heimatsteuer statt Doppelpass

Die Ampel-Regierung dekonstruiert die deutsche Staatsbürgerschaft. Vor allem hunderttausende Türken dürften bald zwei Pässe haben. Doch irgendwie ist man am Bosporus von der Idee der Mehrstaatigkeit gar nicht so begeistert wie in Berlin.

IMAGO / Christian Ohde

„Das sind die Fakten, und sie sind unbestritten.“ So spricht der Militärstaatsanwalt im Kino-Erfolg „Eine Frage der Ehre“. Wir kommen darauf zurück.

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Reform bedeutet im grün-linken Zeitalter nicht mehr, dass etwas verändert oder vielleicht sogar verbessert wird.

Reform bedeutet heute entweder, dass man dem Bürger noch tiefer in die Tasche greift – oder dass man gewachsene und bewährte Strukturen (für die Generationen vor uns hart gearbeitet haben) in einem naiven, geschichtsvergessenen und selbstgerechten Furor zerstört.

Die „Reform“ des Staatsbürgerschaftsrechts zum Beispiel, die das Bundeskabinett am Mittwoch durchgewunken hat: Das ist keine Renovierung eines älteren Hauses, sondern ein faktischer Neubau. Das Gesetz wird komplett entkernt und ausgetauscht. Dass es weiter so heißt wie bisher, ist nur Fassade.

Es lohnt ein etwas anderer Blick dahinter: bei uns – und, weil es interessant ist, in der Türkei.

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Fakt ist: Deutschland gibt den Grundsatz auf, dass Mehrstaatigkeit vermieden werden soll.

Im Gesetzentwurf wird das hinter vier Worten versteckt: „Nummer 4 wird aufgehoben“. Das bezieht sich auf § 10 Absatz 1 des Staatsangehörigkeitsgesetzes (StAG) und bedeutet: Wer eine andere Staatsbürgerschaft annimmt, soll die deutsche nicht mehr automatisch verlieren.

Und wer einen deutschen Pass will, muss künftig nicht den Pass seines Heimatlandes abgeben. Es ist nicht weniger als ein kompletter Paradigmenwechsel im Verständnis, was ein Bürger ist, was er soll und was er darf.

Die Fristen zur Einbürgerung werden enorm verkürzt: von acht auf fünf Jahre, bei „besonderer Integrationsleistung“ (was immer das heißen soll) sogar auf nur drei Jahre. Neugeborene sind künftig Deutsche, wenn mindestens ein Elternteil seit fünf Jahren in Deutschland lebt (auch wenn die Eltern beide keine Deutschen sind). Und ehemalige Gastarbeiter müssen für den deutschen Pass künftig kaum noch deutsche Sprachkenntnisse nachweisen.

Fakt ist: Deutschland hat keine Ahnung, welche Folgen das hat.

Im vergangenen Jahr wurden 168.000 Menschen eingebürgert. Wegen der jetzt verkürzten Einbürgerungsfrist und der generellen Erlaubnis von Doppelstaatsbürgerschaften rechnet Innenministerin Nancy Faeser (SPD) da „mit einem deutlichen Anstieg“. Wie deutlich, weiß sie nicht: Das hat das Ministerium nicht ausgerechnet.

„Ich gehe davon aus, dass es deutlich mehr Anträge geben wird.“ Das sagt auch Gökay Sofuoglu, Chef der Türkischen Gemeinde in Deutschland – und warnt vor einer Überlastung der deutschen Behörden. Die sind mit Einbürgerungen schon jetzt gut beschäftigt, oft kommt es zu Wartezeiten von mehreren Monaten.

Etwas blumig hat Frau Ministerin Faeser den Ländern und Kommunen angekündigt, ihnen wegen des absehbaren zusätzlichen Kundenansturms auf das beliebte Produkt „Deutsche Staatsangehörigkeit“ unter die Arme zu greifen. Wie sie das machen will, ließ sie offen. Fast schon süß: Es gibt noch nicht einmal eine grobe Schätzung der künftigen Zahl von Einbürgerungen.

Das sind die Fakten, und sie sind unbestritten.

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Man könnte nun trefflich darüber spekulieren, warum die Ampel-Regierung die deutsche Staatsbürgerschaft jetzt tatsächlich schleift – jenseits der offiziellen, aber offenkundig auch etwas albernen Begründung, damit hierzulande den Fachkräftemangel zu bekämpfen.

Nicht spekulieren muss man darüber, welche Gruppe zunächst die neuen Doppelpass-Möglichkeiten bei uns nutzen wird: die Türken. Deshalb lohnt es sich sehr, einmal zu schauen, wie die von Frau Ministerin Faeser hier durchgesetzte, quasi flächendeckende Mehrstaatigkeit eigentlich am Bosporus gesehen wird.

„Tüylü Mikrofon“ heißt so viel wie „haariges Mikrofon“ und ist ein ganz witziger Kanal auf der Video-Plattform Youtube. Reporter Ozan Cakmaci zeigt da unter anderem die Sendung „Ozan fragt, das Volk antwortet“. Vor kurzem stellte er Passanten in der Türkei die Frage:

„Sollten Auswanderer mit türkischer Staatsbürgerschaft einmalig eine ‚Heimatsteuer‘ von 1.000 Euro bezahlen, wenn sie wieder in die Türkei zurück wollen?“

Es ist, wie gesagt, eine Live-Straßenumfrage fürs Fernsehen. Sie ist also nicht repräsentativ. Aber immerhin ist es bei Youtube in der Türkei auch nicht üblich – anders als im öffentlich-rechtlichen Fernsehen in Deutschland –, TV-Mitarbeiter oder grüne Parteifunktionäre als zufällige Passanten auszugeben.

Die „Heimatsteuer“ fällt spürbar auf fruchtbaren Boden. Interessanterweise verknüpfen viele Passanten das von sich aus mit dem Wahlrecht.

„Wenn sie wählen dürfen, dann sollen sie auch zahlen.“

„Sie sollen zahlen. Ich selbst bin türkische Staatsbürgerin und lebe in Deutschland. (…) Wenn sie wählen wollen, sollen sie zahlen.“

Was auffällt: Die Auslandstürken sind in der Türkei nur mäßig beliebt. Zwar wird anerkannt, dass sie Geld in die Heimat schicken. Aber wenn sie sozusagen auf Heimaturlaub sind, wird ihnen eine oft neureiche und arrogante Attitüde vorgeworfen.

Und Türken schätzen es insgesamt wenig, wenn jemand über das Land, in dem er lebt, schlecht redet. Auslandstürken tun das wohl häufiger, was ihre Beliebtheit nicht eben fördert.

„Um ehrlich zu sein, sollten all jene – die auch ständig das Land, in dem sie leben, schlecht reden und behaupten, die Türkei sei so wundervoll – dann auch für die Türkei zahlen. Sie dürfen ja sogar wählen, dann sollen sie erst recht Steuern zahlen.“

Insgesamt schimmert bei sehr vielen Antworten auch eine grundsätzliche Skepsis gegenüber den Wanderern zwischen den Welten durch. Die Loyalität des Staatsbürgers gehört der Türkei entweder ganz oder gar nicht:

„Wenn jemand in Deutschland geboren oder aufgewachsen ist, dann zählt er als Deutscher und hat kein Recht, über das Schicksal der türkischen Bevölkerung mitzuentscheiden.“

Wenn Sie so etwas in Deutschland sagen, landen Sie mittlerweile wegen Volksverhetzung vor Gericht.

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Richtig interessant wird es, wenn man sich das Staatsbürgerschaftsrecht der Türkei ansieht.

Grundsätzlich ist eine doppelte Staatsbürgerschaft dort nicht ausgeschlossen. Aber um einen türkischen Pass zu bekommen, müssen Sie:

Etwas einfacher ist es nur für Ehegatten von Türken, für staatenlose Adoptivkinder, für ehemalige türkische Staatsbürger – und falls Sie in der Türkei mindestens 400.000 US-Dollar investieren.

Sozialhilfe ist in der Türkei übrigens weitgehend unbekannt. Es gibt nur eine Arbeitslosenversicherung. Jugendliche, die noch nie beschäftigt waren, haben aber keinen Anspruch. Sie müssen von ihren Familien mit durchgebracht werden. Und nach Auslaufen des Arbeitslosengeldes gibt es keine weitere Hilfe für gesunde Langzeitarbeitslose.

Das sind die Fakten, und sie sind unbestritten.

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Kurz vor Schluss in „Eine Frage der Ehre“ sagt der General (gespielt von Jack Nicholson in einer seiner besten Rollen) einen Satz… den würde man heute gerne auf ein riesiges Schild drucken und an alle Parteizentralen nageln:

„Sie können die Wahrheit doch gar nicht vertragen.“

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