Tichys Einblick
Gefangen zwischen Profilsuche und Abgrenzung

Quo Vadis Union?

Im Richtungsstreit der Union geht's nicht zuletzt um die radikalkonservativen Phänomene unserer Zeit, die „Rechtspopulismus“ tituliert werden. Dazu drei Thesen aus den Reihen der Union.

© Johannes Eisele/AFP/Getty Images

Spätestens seit den herben Verlusten bei der Bundestagswahl im vergangenen September wird innerhalb und außerhalb der Unionsparteien darüber diskutiert, welche Lehren aus dem historisch schlechten Abschneiden bei der vergangenen Bundestagswahl zu ziehen sind. Den bisher „mutigsten“ Vorstoß unternahm Alexander Dobrindt, der eine „bürgerlich-konservative Wende“ forderte. Allerdings blieben seine damit verbundenen Vorstellungen nicht nur recht blutleer, er bediente sich zudem einer widersprüchlichen Begrifflichkeit. Denn indem er eine „konservative Revolution der Bürger“ als Gegenentwurf zur „linken Revolution“ der „68er“ und ihrer Erben skizzierte, klingen seine Ausführungen in der Tat sehr stark nach der radikalkonservativen Gegen-Revolution, die der „Neuen Rechten“ vorschwebt. Inhaltlich hat diese aber nichts mit dem, was Dobrindt eigentlich meint, zu tun. Denn den Vertretern der „Neuen Rechten“, darunter auch AfD-Politiker wie André Poggenburg und Björn Höcke, ist der gemäßigte bürgerliche Konservativismus ein Dorn im Auge. Für sie ist er Teil des Problems und nicht der Lösung. Ihre Stoßrichtung zielt im Kern auf die Überwindung der bürgerlich-liberalen Gesellschaft ab, die historisch versagt habe, weil sie der linken Kulturrevolution nichts entgegenzusetzen vermochte. Ihre konservative Revolution ist somit, wie das historische Vorbild der 1920er und frühen 30er Jahre, wesentlich anti-bürgerlicher Natur.

In der Debatte um den Richtungsstreit in der Union schwingt nicht zuletzt die Frage mit, wie umgehen mit den radikalkonservativen Phänomenen unserer Zeit, die allgemeinhin als „Rechtspopulismus“ tituliert werden. Für den politischen Umgang mit diesen Phänomenen möchte ich aus Unions-Perspektive nachfolgend drei Thesen skizzieren und zur Diskussion stellen:

1. Finger weg von der „Volksfront-Strategie“

Mit Erschrecken nehme ich seit dem Auftreten von AfD und PEGIDA in den Jahren 2013/14 wahr, dass die Partei Die Linke plötzlich als vollkommen harmlose Partei in das demokratische Parteienspektrum eingemeindet wurde. Selbst unter Unionspolitikern ist es normal geworden, die etwa 87-Prozent Wählerstimmen der „demokratischen“ Parteien den ungefähr 13% der AfD gegenüberzustellen. Für viele CDU-Politiker scheint es mittlerweile sogar weniger problematisch zu sein, Gemeinsamkeiten mit der Linkspartei zu finden als mit der AfD, die, wie die Wahlstatistiken belegen, nun einmal „Fleisch vom Fleische“ der Union ist.

Eine Frau nach der anderen?
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Dabei wird mittlerweile großzügig übersehen, dass große Teile der Linkspartei nach wie vor keineswegs loyale Anhänger der liberalen westlichen Demokratie sind. Putin-Philie, DDR-Nostalgie, Antiamerikanismus, Israel-Hass sind dort überaus präsent und stellen noch die harmloseren Probleme dar. Teile der Linkspartei sympathisieren nicht nur mit linksextremistischen Akteuren, sondern unterstützen diese auch logistisch, indem sie beispielsweise Demonstrationen anmelden, an denen linksmilitante Kräfte teilnehmen können. Außerdem fungiert die Linkspartei teilweise als deren verlängerter parlamentarischer Arm, indem sie u. a. die staatliche Bekämpfung der linken Militanz behindert, wo sie nur kann.

Vor diesem Hintergrund ist es also hochproblematisch, wenn die Union so tut, als gäbe es wirklich einen demokratischen 88%-Block. Böse könnte man sogar von einer „Volksfront“ gegen die AfD sprechen. Dieser Eindruck darf aber nicht weiter gefördert werden, zumal die bürgerlichen Kräfte, wie die historischen Beispiele zeigen, von dieser Strategie nie profitierten. Gestärkt wurden hingegen die antidemokratischen Kräfte in der Linken. Die Union muss darum eine eigene, von den anderen Parteien unabhängige Strategie gegen AfD und Co. definieren und ganz klar eine Position der Äquidistanz zwischen beiden Polen formulieren. Das ist schlicht eine Frage der eigenen Glaubwürdigkeit.

2. Die Mitverantwortung der anti-bürgerlichen Linken problematisieren

An dem vorhergesagten anknüpfend kann das Phänomen des erstarkten Radikalkonservativismus nicht ohne die Kulturrevolution der „68er-Bewegung“ bzw. der „Neuen Linken“ sowie der post-kommunistischen Linken nach 1990 gedacht und fokussiert werden. Diese Phänomene hängen trotz des großen zeitlichen Abstands unmittelbar miteinander zusammen. So bildete sich schon die französische „Neue Rechte“ in den 80er Jahren als dezidierter Gegenentwurf zur „68er“-Bewegung heraus, übernahm aber zugleich zentrale Elemente dieser Bewegung. Bis heute ist die „Neue Linke“ für die „Neue Rechte“ Feindbild und Vorbild. In einem sind sie sich ohnedies überaus einig: in ihrem Hass auf die bürgerliche Gesellschaft des Westens.

Anschaulich wurde dieses ambivalente Verhältnis zuletzt im sogenannten „Friedenswinter“ 2013/14. Auf den abgehaltenen Friedensmahnwachen anlässlich der Krim-/Ukraine-Krise traten mitunter linksrevolutionäre, post-kommunistische Akteure zusammen mit nationalrevolutionären und anderen rechtsnationalen Kräften auf. Dort trugen sie dann ihren verschwörungstheoretisch und anti-westlich grundierten Antiamerikanismus und ihre Sympathie zum autoritären Putin-Russland offen zur Schau.

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Vor diesem Hintergrund sollten nicht nur die ideologischen Überschneidungen zwischen der extremen Linken und Rechten herausgearbeitet und problematisiert werden, die beide der romantischen Vorstellung einer anti-bürgerlichen Revolution anhängen. Zudem muss viel deutlicher betont werden, dass die machtvollen anti-liberalen Tendenzen innerhalb der Linken an der gegenwärtigen Zerrüttung der politischen Kultur große Mitverantwortung tragen. Denn die parlamentarismusfeindliche Anti-Establishment-Bewegung von links war vor 2014 nicht nur viel erfolgreicher als ihre Pendants von rechts. Sie lebte darüber hinaus in vielem das vor, woran PEGIDA ab 2014 anknüpfen konnte. Kurz gesagt: Eliten-, Parteien-, überhaupt Systemkritik sind keine neuen Phänomene – vulgär, verschwörungstheoretisch unterlegt und gespickt mit Gewaltphantasien war diese Kritik auch schon lange zuvor. Um nur ein Beispiel zu nennen: Was heute „Lügenpresse“ heißt, hieß vor nicht allzu langer Zeit noch „Kriegspresse“ und meinte im Grunde dasselbe.

Der liberale Parlamentarismus, seine Institutionen und seine Vertreter werden seit den 1970/80er Jahren ohne Unterlass und mit zunehmender Vehemenz diskreditiert. An die Stelle der „verbürgerlichten“ Grünen trat in den 1990er und 2000er Jahren die PDS bzw. Linkspartei. Sie schürte unentwegt das Misstrauen in den (westdeutschen) demokratischen Verfassungsstaat und seine Wirtschaftsordnung. Fast nahtlos schließt die heutige Anti-Establishment-Bewegung daran an, zumal in Ostdeutschland.

Eine politische Kritik und Gegen-Strategie gegen AfD und Co. muss diesen größeren Zusammenhang im Blick behalten, will sie nicht einseitig und oberflächlich bleiben und sich nicht dem Vorwurf der Heuchelei aussetzen.

3. Re-Ideologisierung der Union

Das Wahlergebnis vom vergangenen September hat zwei Lebenslügen des progressiven Teils der Union entlarvt. Erstens, die Strategie, wonach links von der Mitte mehr zu holen sei, als rechts davon verloren wird, ging nicht auf. Zweitens, die Anti-AfD-Strategie ist nicht nur krachend gescheitert, sondern hat das genaue Gegenteil erreicht. Seit 2013 wurde die AfD, die damals noch wesentlich nationalliberal und gemäßigt nationalkonservativ war, mit dem Verdikt des „Rechtspopulismus“ behaftet, um sie möglichst wieder zum Verschwinden zu bringen. Dies stellte insofern einen Sündenfall dar, als die Union sich damit der traditionellen linken Diffamierungstaktik gegen politische Gegner bemächtigte. Eine Taktik überdies, die Jahrzehntelang gegen die Union selbst angewandt wurde und noch wird. Inhaltlich und taktisch erwies sich diese Maßnahme schon deshalb als verheerend, weil sie vor allem einen Teil des eigenen Wählerklientels traf. Frustrierte Unions-Wähler mussten sich in der Artikulation legitimer Kritik derart zurückgewiesen fühlen, dass es für sie bis heute kaum gesichtswahrend möglich ist, den Weg zur Union zurückzufinden. Sie wurden regelrecht in die Arme des Gegners getrieben. Der pauschale „Rechtspopulismus“-Vorwurf machte zudem die differenzierte Analyse dieses Phänomens unmöglich. So besteht die AfD auch heute noch aus zwei unterschiedlichen Strömungen: einer anti-bürgerlichen, revolutionär-konservativen neu-rechten Strömung einerseits und einer bürgerlichen, anti-revolutionären nationalkonservativen andererseits. Zum ersteren Teil besteht zweifelsohne eine unüberbrückbare Kluft. Nicht so zum letzteren.

Nicht alles, was fortschrittlich heißt, ist es
Bürgerlichkeit und Moderne-Skepsis
Wenn ich nun von der Re-Ideologisierung der Union spreche, geht es mir um mehr, als um eine rein taktisch motivierte Profilierung oder einen „Rechtsschwenk“. Nötig sind vielmehr ein ehrlicher selbstkritischer Reflexionsprozess und das harte Erarbeiten liberal- bis nationalkonservativer Positionen. Re-Ideologisierung muss indes nicht einhergehen mit Dogmatisierung. Kompromissbereitschaft ist nach wie vor ein wichtiges Grundelement einer demokratischen Partei. Re-Ideologisierung bedeutet oberflächlich betrachtet zunächst einmal nur, dass es einem nicht egal ist, welche Kompromisse eingegangen werden.

Ideologie im positiven Sinne gibt Halt und Orientierung in einer zunehmend unübersichtlicher werdenden Welt. Gerade heute angesichts der globalpolitischen und technologischen Umbrüche steigt das überaus menschliche Bedürfnis nach Komplexitäts-Reduktion und einem berechenbaren politischen Handeln. Die ultrapragmatische Fraktion in der CDU scheint dieses Bedürfnis nicht ernst nehmen zu können und sieht in einer Ideologie nur handlungsbegrenzenden Ballast. Ihr geht es lediglich um maximale Handlungsfreiheit und Anschlussfähigkeit in alle Richtungen – außer nach rechts.

Konservative Re-Ideologisierung muss vor allem darauf abzielen, auf die Begründungsbedürftigkeit des Fortschritts gegenüber dem Traditionellen, d.h. dem Eingeübten, zu pochen. „Fortschritt“ (oder „Modernisierung“) als nichts Gottgegebenes aufzufassen und kritisch zu hinterfragen, bedeutet letztlich, der Berechenbarkeit von politischem Handeln den Vorzug gegenüber dem „großen Sprung nach vorn“ zu geben. Eine konservative Re-Ideologisierung ist deswegen nicht anti-fortschrittlich, aber in jedem Fall anti-revolutionär. Die CDU ist die einzige Partei, die von ihren Anlagen her der Revolution (auch im Kleinen) eine klare Absage erteilt. Das macht ihr konservativ-bürgerliches Wesen im Kern aus.

Abgesang
Das Ende der Christdemokratie?
Das unberechenbare, ja sogar entgegen der eigenen Programmatik agierende Handeln der Bundeskanzlerin in Sachen „Energiewende“ und angesichts der temporären Suspendierung nationalstaatlicher Grenzen bzw. angesichts der ad-hoc-Veränderung der demographischen Zusammensetzung des Staatsvolkes in einer historisch einmaligen Größenordnung hat dieses Selbstverständnis zutiefst beschädigt. Kaum eine andere Bundesregierung hat eine ähnlich gesellschaftsverändernde Politik betrieben, ohne die Folgekosten auch nur abzuwägen, geschweige denn zu diskutieren.
Restauration der CDU als Partei der Moderne-Skepsis und Fortschritts-Entschleunigung 

Was ist also zu tun? Zunächst einmal dem marginalisierten „konservativen Flügel“ der CDU Gewicht und Stimme zurück zu verleihen und ihn programmatisch zu vitalisieren. Mittelfristig muss die CDU wieder zur Partei der Moderne-Skepsis bzw. der Fortschritts-Entschleunigung werden. Der Aufstieg der AfD zeigt doch, dass es weniger ein ausgeprägtes Bedürfnis nach einer weiteren „Modernisierung“-Partei gibt als vielmehr nach einer politischen Kraft, die sich gegen überschnelle und mitunter schädliche Veränderungsbeschleunigung ausspricht.

Dilletantismus und Verantwortungsflucht
Deutschland wird nicht regiert
Das betrifft vor allem die Politikfelder Zuwanderung und Integration, Familie und „Geschlechterpolitik“, Bildung, Energie-, Umwelt-, Wirtschafts- und nicht zuletzt Europapolitik. Hier muss dem veränderungsbeschleunigten Größenwahn der progressiven (linken) Kräfte sowie ihrer sozialtechnischen Planungseuphorie deutlich Einhalt geboten werden. Und das ohne die Gegen-Kulturrevolution auszurufen, auf die es die AfD im Kern abzielt. Was das konkret bedeutet, habe ich an anderer Stelle am Beispiel der „Gender“-Politik durch dekliniert.

Wenn die CDU in vier Jahren nicht dort stehen will, wo die SPD heute steht, dann sollte sie die ehrliche Diskussion um ihr programmatisches Selbstverständnis und ihre Selbstverortung im deutschen Parteiensystem endlich führen. Die hier skizzierten Thesen sollen einen Teil zu dieser Debatte beitragen.

Norman Siewert ist Mitglied in der CDU.

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