Noch ist offen, warum gerade jetzt Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate VAE, und Bahrain alle diplomatischen Beziehungen zu Qatar abgebrochen haben.
Fake-News zündeln am Pulverfass
Waren es Meldungen, nach denen sich der Emir von Qatar abfällig über Saudi-Arabien und Donald Trump geäußert habe, aber lobend über Iran und Israel? Diese Botschaft gab die staatliche qatarische Nachrichtenagentur heraus. Doch die sei gefaked. Emir Tamim bin Hamad Al Thani dementierte sie sofort und sagte gegenüber CNN, Qatar sei von Hackern angegriffen worden, er habe solche Äußerungen nie gemacht; Hacker wären für diese erfundene Meldung verantwortlich.
Möglich ist das, aber muss gleich Putin wieder dahinter stehen? Jedenfalls untersuchen FBI-Ermittler in Doha den Hacker-Angriff. Klar ist, diese Fake News treffen ein Pulverfass, das immer wieder gefährlich heiß wird.
Es werden nicht nur diplomatische, sondern auch wirtschaftliche Beziehungen zu Qatar unterbrochen. Zugangswege von Land, See und Luft sind geschlossen – vor allem die Lebensmittelversorgung. Qatar wird hauptsächlich über den Landweg von Saudi Arabien mit Lebensmitteln versorgt.
Jetzt testen sie mit ihrem Angriff auf die Schlagader »Lebensmittelversorgung« offenbar die Abwehrbereitschaft des Emirs von Qatar. Möglicherweise hoffen sie darauf, dass sich eine Lebensmittelknappheit in Qatar entwickelt, die den Emir zu Fall bringen könnte, sollte er sich nicht den Wünschen der Saudis beugen. In Medienberichten ist die Rede von einem Büchsenspannen der Saudis und VAE, um den Emir abzusetzen.
Zucker – die Waffe im arabischen Konflikt
Aus Handelskreisen ist zu hören, dass Saudi-Arabien und die VAE Zuckerlieferung zurückhielten. Eine üble Waffe, ist der Konsum von Zucker in der arabischen Welt ohnehin extrem hoch (und Diabetes Volkskrankheit Nummer eins). Gerade jetzt im Ramadan schnellt dazu der Verbrauch von Zucker überall in der islamischen Welt noch einmal in Rekordhöhen. Wer tagsüber nichts isst, muss wenigstens morgens und abends viele Kohlenhydrate zu sich nehmen. Allein Qatar importiert rund 100.000 Tonnen Zucker im Jahr. Kein Wunder, dass panische Kunden die Supermärkte in Doha stürmten und die Regale leerräumten. Laster mit Lebensmitteln sollen sich bereits vor der geschlossenen saudischen Grenze zu Qatar stauen.
Da springt Iran hilfreich zur Seite und verkündet: Wir können alles liefern, was Qatar benötigt. Der Schiffstransport über den persischen Golf dauert gerade einmal zwölf Stunden.
Die Frage ist, was mit dem Hauptexportartikel Qatars geschieht, dem LNG, dem Liquid Natural Gas. Qatar, halb so groß wie Hessen, ist eines der trockensten Länder der Welt, größtenteils eine Steinwüste, in der nicht einmal mehr Trockensträucher gedeihen können. Freiwillig würden kaum Menschen in dem im Sommer schwül-heißen Land leben, verfügte es nicht über eines der größten Erdgasvorkommen der Welt. Schon frühzeitig hat Qatar gewaltige Anlagen zur Abkühlung von Erdgas auf minus 162 Grad an der Küste in den Wüstenboden gestampft.
Bei diesen Temperaturen wird Erdgas flüssig und kann in riesigen Tankern mit kugelförmigen, sehr gut isolierten Tanks über die Weltmeere geschippert werden. Japan erhält fast seine gesamten Vorräte an Erdgas aus den Anlagen Dohas. Ebenso landen in Europa im belgischen Zeebrügge die auffallenden LNG-Tanker an und entladen ihr Flüssiggas.
Flüssiggas für Japan und Europa
Qatar ist mittlerweile der größte Lieferant von Erdgas für die Welt. Ein Stopp hätte unabsehbare Folgen. Die Tanker müssen durch die strategisch wichtige Straße von Hormuz fahren, nur 60 Kilometer breit zwischen Iran und dem Oman, das wichtigste Nadelöhr für den gesamten Öl- und Gasexport. 40 Prozent des Weltölverbrauchs wird hier hindurchgeschleust, durch iranische Hoheitsgewässer und durch die des Oman. Kein Wunder, dass die USA seit jeher vorsichtshalber immer mit Flugzeugträgern in den Gewässern kreuzten. Wobei das Interesse seit dem Aufkommen der Frackingtechnologie spürbar nachgelassen hat.
Japans Erdgas-Company hat bereits mitgeteilt, dass Qatargas eindeutig versichert habe, die Lieferungen an LNG seien von der Krise am Golf nicht betroffen. Kunststück, wären von einem Boykott doch auch die Interessen der VAE betroffen. Dorthin fließt Erdgas aus Qatar durch Pipelines, die auch Eigentümern im Nachbaremirates Abu Dhabi gehören. Dass Pipelines geschlossen werden könnten – davon ist nicht die Rede.
Das Gas strömt auch weiter in den Oman. Das Land direkt an der südöstlichen Spitze der arabischen Halbinsel mit seinen bemerkenswerten Erfolgen in der Entwicklung pflegt neben Qatar die engsten Beziehungen zu Iran. Ebenfalls kein Wunder, liegen sich beide Länder doch fast in Sichtweite an der Straße von Hormuz gegenüber. Der Oman hält sich übrigens wesentlich stärker als Qatar auf Distanz zu den radikalen Muslimbruderschaft und Hamas.
Mal sehen, was Ägypten macht. Das wirtschaftliche völlig am Boden liegende Land importiert 60 Prozent seines Erdgases aus Qatar. Allzu vorlaut aufzutreten kann das Land nicht riskieren.
Gekappt ist auch die sehr kurze, aber wichtigste Verkehrsverbindung zwischen Dubai und Doha. Etwa 20 Flüge am Tag haben bisher die beiden wichtigen Städte verbunden. Nicht zu beneiden ist der Chef von Qatar Air, Akbar al-Baker, der das jährliche Treffen der internationalen Luftfahrtorganisation IATA verließ und nach Doha zurückeilte – mit einem Privatjet. Qatar Air wiederum ist der größte Aktionäre bei British Airways; ob das Folgen hat, ist offen.
Kidnapping bei der Falkenjagd
Qatar selbst ist – das darf nicht vergessen werden – bei sehr vielen deutschen Konzernen beteiligt, finanziert aber auch deutsche Forschungsinstitute mit.
In Rage sind die Führer der arabischen Staaten gegen Qatar auch deshalb, weil der Inselstaat eine Milliarde Dollar Lösegeld an Al Qaida Terroristen in Syrien und an iranische Sicherheitsdienste bezahlt hatte. Die hatten 26 Mitglieder der umfangreichen königlichen Familie Qatars gekidnappt, als sie im Dezember 2015 im Süden Iraks ihrer Lieblingsbeschäftigung nachgingen, der Falkenjagd.
Qatar jedenfalls ist offenbar ziemlich überrascht worden. Der Außenminister Qatars, Mohammed bin Abdulrahman al-Thani, weiß nicht so recht, warum die anderen Länder so über Qatar herfallen: »Wir wissen ehrlich gesagt nicht, ob es reale Gründe für diese Krise gibt oder ob sie auf Gründen beruht, derer wir uns nicht bewußt sind.«
Sie hätten auf einer Sitzung des Golf Kooperationsrates auf den Tisch kommen können. Auch auf dem amerikanisch-arabischen Gipfel in Riad sei nichts davon zur Sprache gekommen. Es habe auch keine Hinweise auf eine derartige Eskalation gegeben.
Jetzt twitterte Donald Trump, dass sich die Führer der Golfstaaten über Qatar beschwert hätten, als er während seines Trips durch den Mittleren Osten ein Ende der Unterstützung der radikalen Islamisten gefordert hätte. Die Führer zeigten auf Qatar und ergänzten, eine Isolierung Qatars würde der Anfang vom Ende des Terrorismus bedeuten. Sie vergaßen allerdings zu erwähnen, dass auch Saudi-Arabien islamische Terroristen unterstützt – wenn sie in ihr Konzept passen. Eins ist der versammelten Liga gegen Qatar gelungen: Das Land in die Rolle des alleinigen Bösewichts zu drängen.
Dabei sind auch die politischen Führer Qatars in größter – und wie die Entführung von Familienmitgliedern der Herrscherfamilie durchaus begründeten – Sorge vor islamischen Terroristen. Viele von ihnen sind in England ausgebildete Leute, die im Grunde ähnlich der Schweiz mit ihren Nachbarn in Frieden leben wollen, sagt Ralph Thiele von EuroDefense Deutschland. Dass Qatar auch mit dem Iran in Frieden leben und nun auch wieder verstärkt Geschäfte machen will, passt manchen seiner arabischen Nachbarn nicht.
»Das jetzt ist das Ergebnis einer langen Kampagne der Saudis und VAE gegen Qatar, übrigens mit Unterstützung von diesen Staaten gut bezahlter amerikanischer Think Tanks, die sich gerade wieder mit Trump auf den Iran als regionale Herausforderung stürzen wollen.«
»Das ist nichts anderes als ein weiterer Disziplinierungsversuch. Das kleine Land soll vor allem davon abgehalten werden, mit Iran einigermaßen normale Beziehungen aufzunehmen.«
Der Botschafter Saudi-Arabiens in den USA, Youssef al-Otaiba, befeuert heftig alles, was gegen Qatar geht, und versucht seit längerem, US-Unternehmen von Geschäftsbeziehung in den Iran abzuhalten. Das zeigen seine Emails; die liegen offen vor, seitdem sie gehackt wurden.
Mittendrin: Eine US-Militärbasis
In Qatar befindet sich die wichtigste US-Militärbasis des Mittleren Ostens. Die wurde in den 1990 Jahren von Saudi-Arabien nach Doha verlegt, nach Protesten gegen die Stationierung von ausländischen Truppen im saudischen Königreich. Von dort werden sämtliche Einsätze im Mittleren Osten geflogen.
Unerhört neue Töne verbreiteten sich in der arabischen Welt, kritischer Journalismus nach bestem westlichen Vorbild. In der Empfangshalle künden ausgestellte zerstörte Kameras und Ausrüstungsgegenstände von Reportern von mutigen Berichten aus allen Krisenherden, meist direkt von den Fronten.
Kritisiert werden durfte außer der fütternden Hand der Al Thanis alles – das gefiel nicht jedem Potentaten, verschaffte dem kleinen Qatar aber die gewünschte Aufmerksamkeit.
Menschen aus bis zu 40 Nationen schafften es, ein Programm auf die Beine zu stellen, dass Millionen von Menschen in der arabischen Welt freiwillig ansahen. Das Spiel endete im »arabischen Frühling«, der eigentlich keiner war. Seitdem wurde Al Jazeera zum Akteur, der die Aufständischen und vor allem Muslimbrüderschaften unterstützte. Der bisherige Chef an der Spitze des Senders wechselte, ein Mitglied der Herrscherfamilie übernahm, der Sender wurde Propagandainstrument. Auch der heftigste der islamischen Haßprediger, Yusouf Al Qaradawi, der sich in Doha aufhalten darf, hatte übrigens eine wöchentliche Sendung.
Ein großer Erfolg wäre es für die arabischen Staaten, würde Doha die Fußball-Weltmeisterschaften 2022 verlieren. Die Bauten verlaufen nach Plan, viele deutschen Firmen sind übrigens dabei. Die wissen nichts von massiven Verletzungen von Menschenrechten. Es gibt in Qatar Arbeitsschutzgesetze, das entsprechende Ministerium dringt auf Einhaltung. Die einzigen Verletzungen von Arbeitsrechten beging übrigens ein südkoreanischer Baukonzern.
Deutscher Fußball rettet den Frieden
Qatar nutzt den Sport, um sich Weltgeltung zu verschaffen. Doha will sich als eine Welthauptstadt des Sports platzieren und hat bereits viele Großveranstaltung wie die Asian Games, so etwas wie die Olympischen Spiele der asiatischen Welt ausgerichtet. Gleichzeitig investiert das Land, zum Beispiel in den französischen Fußball-Verein Paris Saint-Germain.
Der Sportableger des Senders Al Jazeera, beIN Sports, hat sich seinerseits zu einem riesigen Medienimperium entwickelt, das auf vielen Kanälen rund um die Uhr Sport überträgt. Er verfügt über die Bundesliga-Rechte für die arabische Welt. Der Sender änderte seinen Namen von Al Jazeera Sports, weil seine Leute aus zu vielen arabischen Ländern hinausgeworfen wurden.
Der Deutsche Fußball-Bund springt jetzt auf den Zug und redet von Boykott der Fußball-WM in Qatar. Sicherheits-Berater Thiele findet das etwas seltsam: »Es hat etwas von Kulturimperialismus, wie der Deutsche Fußball-Bund auftritt. Als wäre die Welt eine Scheibe und Fußball-Deutschland deren regulierende Mitte.« Vor allem aber: »Qatar-Bashing nutzt möglicherweise dem Spielplan der Bundesliga und anderer europäischer Verbände. Mit Menschenrechten hat das wenig zu tun.«
Klar ist auch, dass sich Qatar nicht Forderungen der anderen arabischen Anrainer-Staaten beugen kann, ohne sein Gesicht zu verlieren. Qatar solle seine wirtschaftlichen Beziehungen zu Iran begrenzen und nur noch auf gemeinsame Nutzung der Gasfelder beschränken. Das größte Gasfeld liegt unter dem persischen / arabischen Golf genau zwischen Iran und Qatar und wird von beiden Ländern angezapft.
Noch im Januar 2016 hatte Qatar Solidarität mit seinem großen Nachbarn gezeigt, wenn man es an diesem Beispiel so nennen kann. Riad richtete einen prominenten Prediger hin (BILD fragte damals: Mit deutschen Kugeln?). Als daraufhin in Teheran Proteste gegen die saudische Botschaft hochkochten, zog Qatar noch aus Solidarität mit Saudi-Arabien seinen Botschafter aus Teheran ab.
Offenbar nimmt Kuwait eine Vermittlerrolle ein und will Qatar-Staatschef Al Thani dazu gebracht haben, sich zu »mäßigen«, zumindest nichts zur weiteren Eskalation beizutragen. Kuwaits Außenminister Sheikh Sabah Khaled al-Sabah hat bereits Iran besucht und für eine Normalisierung der Beziehungen und offenen Dialog geworben.
Umgekehrt war Irans Präsident Hassan Rouhani ebenfalls vor kurzem in Kuwait und im Oman.
Gelegenheit für unseren als Außenminister durch die Weltgeschichte irrlichternden Sigmar Gabriel, dem amerikanischen Präsidenten Trump zu zeigen, wie Außenpolitik geht: Deutschland setze darauf, Konflikte durch Gespräche zu entschärfen, hielt er Trump entgegen. Wie, das konnte man gerade in der Türkei sehen. Jedenfalls lobt Al Jazeera Deutschland für seine Solidarität.