Hinreichend bekannt ist inzwischen, dass sich gestern Abend Bauern in Schleswig-Holstein am Fähranleger Schlüttsiel im Kreis Nordfriesland versammelten, um mit dem Bundeswirtschaftsminister und Vizekanzler über die bauernfeindlichen Maßnahmen der Regierung zu reden. Pikant ist, dass Bauern aus demjenigen Bundesland auf Robert Habeck warteten, in dem Habeck vor noch nicht allzu langer Zeit Minister für Landwirtschaft, Umwelt und Energiewende war. Man sollte also meinen, dass er die Bauern kennt und jederzeit zu einem Gespräch mit ihnen in der Lage ist.
Habeck unterbreitete den Bauern das Angebot, dass drei von ihnen sich bei ihm auf der Fähre zur Audienz einfinden dürfen. Das lehnten die Bauern ab, denn gekommen waren sie alle, und daher wollten auch alle mit ihm reden. Denn schließlich ging es auch um die Existenz aller. So sehr sich Robert Habeck zu bemühen vorgibt, vermag er die realen Existenzängste der Bauern nicht zu verstehen.
Wäre es anders, hätte er in seiner Zeit als Landwirtschaftsminister in Schleswig-Holstein irgendetwas über Landwirtschaft gelernt und würden daher seine Kenntnisse über die Landwirtschaft das Wissen Annalena Baerbocks über das Völkerrecht um wenigstens eine Winzigkeit übertreffen. Er hätte in der Dreierrunde mit dem Bundeskanzler dann niemals die Maßnahmen, die an die Existenz vieler Bauernhöfe geht, vorschlagen oder zulassen dürfen. Aber in Habecks Politik spiegelt sich die Verachtung der Grünen, der postmodernen Bionade-Bourgeoisie, für die Bauern wieder. Je trauriger Habecks Auftritt oder genauer Nichtauftritt gestern, sein Verschanzen auf der Fähre auch war, umso emsiger arbeiten inzwischen die Habeck-Medien daran, Habecks Kneifen zur Heldentat zu verklären.
Lange schon sendet das deutsche Fernsehen keine „Comedy“-Show mehr, in der man nicht grün belehrt und erzogen wird, sondern in der noch herzlich gelacht werden kann. Doch aus dieser Not, über keine Comedians zu verfügen, hilft in erstaunlicher Solidarität die Politik. Man muss nur die aufgebrachten Statements verschreckter Kleinbürger hintereinander senden. Regierungsversprecher Hebestreit steigert sich in eine Empörung hinein, die inzwischen die Reizwörter für die Beurteilung des Vorfalls vorgeben, wenn er twittert, dass das Gesprächsbedürfnis der Bauern „gegen die Regeln des demokratischen Miteinanders“ verstoße. „Bei allem Verständnis für eine lebendige Protestkultur: Eine solche Verrohung der politischen Sitten sollte keinem egal sein.“
Für den Regierungssprecher, für die Politiker der Grünen, die abgehoben in einer Wohlstandsblase leben, gilt anscheinend nicht mehr das Grundgesetz, in dem es im Artikel 8 Absatz 1 heißt: „(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.“ Stattdessen gelten die von den Ampel-Leuten mal so und mal so definierten „Regeln des demokratischen Miteinanders“. Interessant: Wenn Bürger einen Politiker zu sprechen wünschen, ist es eine Verrohung der politischen Sitten. Wenn man mit Pflastersteinen nach Polizisten wirft wie weiland Joschka Fischer, ist es eine „lebendige Protestkultur“ – vorausgesetzt der Werfer ist ein Linker oder ein Grüner.
Cem Özdemir, es mag vielen entfallen sein, aber der Mann ist Bundeslandwirtschaftsminister, behauptet, dass er keinen Unterschied mache zwischen den „Klimaklebern oder bei den Bauern am Fährhafen“. Wenn das die Auffassung der Regierung ist, warten wir auf das Statement des Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, dass man anders als die Bauern gestern Abend „eigentlich gar nicht ausdrücken“ kann, „wie sehr man dieses System eigentlich respektiert, wenn man die Funktionsträger zum Handeln auffordert“.
Eine Koryphäe im Gebrauch der deutschen Sprache twitterte sogar: „Dort, wo Worte durch Gepöbel und Argumente durch Gewalt ersetzt werden, ist eine demokratische Grenze überschritten.“ Allerdings sollten die Bauern sich die Mahnungen der Bundesaußenministerin, die dringend Geld aus Deutschland für Gaza und für Radwege in Peru benötigt, zu Herzen nehmen und die von Annalena Baerbock schon einmal empfohlene Kehrtwendung von 360 Grad vollziehen. Grünen-Politiker Konstantin von Notz, einer der empfindsamsten Gemüter, die je der Partei der Grünen angehört haben, entrüstete sich über die „Verrohung des politischen Diskurses“. Und befand: „In einem demokratischen Rechtsstaat verbieten sich aber diese Mittel.“
Und da auch der SED-Nachfolge nur demokratisch ist, was Konstantin von Notz als demokratisch einstuft – übrigens abhängig nicht von dem, was geschieht, sondern von dem, wer es tut –, hat er doch noch vor kurzem im Kasernenhofton der CDU mit Fristsetzung befohlen: „Die #CDU wird sich sicherlich überlegen, wie man mit Mitgliedern umgeht, die nicht nur indirekt Stimmung für eine rechtsextreme Alternative machen. Bis Ende des Jahres sollte man das geklärt haben, glaube ich.“ Na, dann marsch, marsch CDU.
Der SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert verlangt, dass sich alle guten Demokraten zu distanzieren haben, und droht im sattsam bekannten Ton, dass „in solchen Momenten sehr genau zu registrieren“ sei, „wer keine glasklare Verurteilung der Geschehnisse über die Lippen bekommt“. Den Bürgern zu befehlen, die Hände an die Hosennaht zu legen, stramm vor Kevin Kühnert zu salutieren und das in die Welt zu rufen, was Kevin Kühnert wünscht, stalinistische Rituale der Kritik und Selbstkritik zu übernehmen, das ist einer Demokratie unwürdig. Die Bürger sollten also genau registrieren, wer so etwas von ihnen verlangt.
Es war von jeher so, und man kann es aus der Geschichte der DDR lernen, dass die, die am lautesten zur Verteidigung der Demokratie aufrufen, worunter sie als selbsternannte Musterdemokraten nur ihre eigene Herrschaft verstehen, das Gegenteil von dem vorantreiben, was sie sagen.
Wer über ein gutes Gedächtnis verfügt, kann sich noch daran erinnern, dass Robert Habeck, als die Vorhersagen für die CSU zur Landtagswahl in Bayern 2018 verheerend ausfielen und die Alleinherrschaft der CDU zu Ende ging, via Twitter jubelte: „Endlich gibt es wieder Demokratie in Bayern.“
Demokratie ist für die Grünen nur, wenn die Grünen regieren. Diese „demokratische Vorstellung“ teilen die Grünen mit der SED. Wie sagte Ulbricht doch, es muss demokratisch aussehen, aber wir müssen alles in der Hand haben.
Dass es anders geht, hat Helmut Kohl 1990 in Halle gezeigt. Als er von einem Ei eines Protestierenden getroffen wurde, versteckte er sich nicht hinter seiner Security, sondern ging auf den Mann zu, um ihm seine Empörung mitzuteilen. Im Gegensatz zu dem Fähranleger war damals der Marktplatz in Halle voller Menschen – und nicht alle erfüllte Wohlwollen dem Kanzler gegenüber.
Als Thomas Kemmerich (FDP) zum Ministerpräsidenten Thüringens gewählt worden war, wurde seine Frau angespuckt, seine Kinder konnten nur unter Polizeischutz die Schule besuchen. Für die Grünen dürfte das zu den demokratischen Regeln gehören, wenn es die anderen trifft. Vielleicht haben sie sich sogar heimlich gefreut, von einem Aufschrei, von Empörung, vom Einfordern demokratischer Regeln hörte man damals von den Grünen jedenfalls nichts.
Wie Helmut Kohl hätte Robert Habeck auf seine Kritiker zugehen, hätte er auch von Bord der Fähre aus mit den Bauern reden können, anstatt sich komplett hinter seine Security zurückzuziehen. Allerdings dürfte das wirkliche Problem Robert Habecks darin bestehen, dass er den Bauern nichts zu sagen hat, dass er keine Argumente besitzt und keine wirklichen Angebote machen kann.
Als am 17. Juni die Bauarbeiter der Stalin-Allee wegen der Normerhöhungen und wegen des zunehmenden politischen Drucks streikten, war es ein einziges Regierungsmitglied, das es wagte, die Wagenburg der Regierung und den Schutz der Russen, hinter denen sich Ulbricht und Co. versteckt hatten, zu verlassen, um mit den Arbeitern zu reden. Das war der Industrieminister Fritz Selbmann. Dazu gehörte weit mehr Mut, als mit den Bauern in Schlüttsiel zu diskutieren. Übrigens verstand Selbmann auch etwas von Wirtschaft.
Sahra Wagenknecht äußerte gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland: „Die Ampel macht Bauern zu Melkkühen ihrer verfehlten Politik. (…). Ich unterstütze die Proteste und fordere die Bundesregierung auf, die geplanten Streichungen komplett zurücknehmen. Dass sich Habeck jetzt als Opfer der Proteste inszeniert, ist peinlich.“
Jetzt wird medial nur allzu durchsichtig versucht, Habecks Unvermögen als Heldentat zu verklären, und er wird zitiert mit: „Was mir Gedanken, ja, Sorgen macht, ist, dass sich die Stimmung im Land so sehr aufheizt.“ Wieder einmal liefert Habeck einen Beweis in Buchstaben und Worten für den Realitätsverlust der Ampel. Denn es ist weder der liebe Gott noch eine rechte Verschwörung, auch nicht Buddha oder Allah, auch Mani oder Zarathustra nicht, nicht einmal der Klimawandel, der die „Stimmung im Land so sehr aufheizt“. Es ist die Ampel-Regierung selbst, es ist ihre Politik der Deindustrialisierung, der Wohlstandszerstörung und der Bevormundung – und die fehlende Opposition der Union, die zunehmend die Bürger ratlos und politisch heimatlos macht, die die Stimmung aufheizt.
Es sind Politik und Medien, die Pluralität verhindern und damit die demokratischen Spielregeln außer Kraft setzen, und die immer billigeren und immer durchsichtigeren Tricksereien der Ampel, die durch nichts als durch die schiere Macht legitimiert sind, die, indem die legitime demokratische Auseinandersetzung zum Regelverstoß erklärt wird, die Stimmung aufheizen. Wenn die Ampel-Leute bitter den Verlust der Achtung vor den Institutionen, also den Verlust des Amtscharismas beklagen, dann vergessen sie, dass sie durch ihre Machtarroganz die Institutionen herabgewürdigt haben. Sie haben immer noch nicht begriffen, dass man nicht Arzt wird, indem man einen weißen Kittel anzieht.
Die Kraft der Demokratie besteht darin, dass sie die unterschiedlichen Meinungen in die Diskussion bringt und den Wettstreit der Ideen und Konzepte ermöglicht. Verhindern die Regierung und ihre willigen Medien das, verringert die Regierung die Möglichkeit der Balance, des Ausgleiches und erzeugt selbst die Aufheizung des politischen Klimas, schafft sie selbst den Druck im Kessel, weil sie die demokratische Ermächtigung sukzessive durch die Selbstermächtigung ersetzt. Man kann nicht demokratische Spielregeln einfordern, wenn man sie selbst außer Kraft setzt.
Vor kurzem schlug dem Bundeskanzler Missachtung in Sachsen-Anhalt entgegen. Der wachsende Autoritäts- und Ansehensverlust der Regierung erfolgt in sich steigernder Geschwindigkeit. Die Regierung flüchtet in dieser Situation zur Propaganda, zu Drohungen und zu den Mitteln der Macht. Doch sie wird auf diesem Weg nur an den Punkt gelangen, an dem sie sich eingestehen muss: „Verbote können nichts mehr ändern.“ Dieser Satz ist das Eingeständnis des Königs Artus in Christoph Heins Parabellstück über das Ende der DDR: „Die Ritter der Tafelrunde“, welches das Staatsschauspiel Dresden mit Strichen im Frühjahr 1989 und wir ohne Striche am Schauspiel Halle Anfang Oktober 1989 aufführten.
Wenn die Regierung diesen Weg fortsetzt, der zunehmend eine Eigendynamik entwickelt, werden ihr als Mittel keine anderen als Propaganda und Verbote verbleiben – dieser Weg ist aber ein kurzer, der zu dem Punkt führt, an dem Propaganda und Verbote nichts mehr ändern können. Die Verantwortung der Regierung gegenüber Deutschland besteht in ihrem Rücktritt – sie ist gescheitert.