Tichys Einblick
Potentiell totalitär

Positive Diskriminierung spaltet

Positive Diskriminierung wirkt von Natur aus so spalterisch, weil es unendliche Möglichkeiten gibt, jede mögliche Bevölkerung in verschiedene Gruppen aufzuteilen. Die Unter- oder Überrepräsentation menschlicher Gruppen in allen möglichen Zusammenhängen ist unvermeidliche Folge der menschlichen Vielfalt.

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Ein Grund, warum ich gerne mit der Fluggesellschaft Air France fliege, ist, dass man an Bord Zeitungen umsonst bekommen kann, wenn man danach verlangt. Es überrascht mich immer wieder, wie wenig die Mitreisenden dieses Angebot nutzen. Sie haben sich das Zeitunglesen dermaßen abgewöhnt, dass sie Zeitungen nicht einmal umsonst haben wollen. Für uns, ältere Intellektuelle, ist dies eine erniedrigende Erinnerung daran, wie unwichtig das Lesen von Gedrucktem im Leben der meisten Menschen geworden ist.

Vor einigen Tagen bin ich mit Air France von Paris nach England geflogen. Man konnte leicht feststellen, dass in der Welt nichts Bedeutendes geschehen war, denn die Headlines von drei Zeitungen – Le Monde, Le Figaro, Libération – waren völlig verschieden. Le Monde schrieb über die Präsidentschaftswahlen in Algerien, Le Figaro über die wirtschaftlichen Ängste in Großbritannien wegen der möglichen Folgen des Brexit. Für Libération jedoch war das wichtigste Thema des Tages die Disproportionalität zwischen Frauen und Männern in den höheren Rängen des französischen Journalismus. In gewisser Weise war diese Themenwahl ausgesprochen tröstlich, denn in einer Welt, in der dies als wichtig erachtet wird, kann wirklich nichts Schreckliches passiert sein.

Dekadent

Auf der anderen Seite ist die Denkweise, von der der Leitartikel der Libération zeugt, von erheblicher sozialer, politischer und wirtschaftlicher Bedeutung, diese Denkweise ist aufrichtig und frivol zugleich und trägt auf jeden Fall zum Niedergang des Westens bei. Während der Rest der Welt damit beschäftigt ist, zu modernisieren, uns hinter sich zu lassen und sich eindrucksvoll zu bewaffnen, machen wir uns Sorgen darüber, welche Toiletten die Transsexuellen benutzen sollen. Wenn das Wort nicht eine etwas unglückliche Aura hätte, würde ich sagen, das sei dekadent.

Libération hat sich darüber in schäumende Empörung versetzt, dass von 470 Chefs im französischen Pressewesen nur ein Siebtel, nämlich 68 Frauen waren. Das linke Magazin Le Nouvel Observateur, (neuerdings nur noch L’Obs, da Wörter mit vier Silben für den modernen Leser offensichtlich als völlig inakzeptabel gelten) hat nachgewiesen, dass nur 31 Prozent der namentlich genannten und abgebildeten Personen in Zeitungen Frauen waren. Aber kein Grund zur Verzweiflung, die Welt ändert sich zum Besseren.

„Vergangene Woche unterzeichnete das Management von Echos eine Paritätsvereinbarung. Sie legt fest, dass in fünf Jahren die Hälfte aller verantwortlichen Positionen mit hoher Wahrnehmbarkeit von Frauen besetzt sein werden.“ Ein Ziel, das man offensichtlich ohne Rücksicht auf die Kompetenz oder Eignung der zu befördernden Frauen zu verfolgen entschlossen ist.

Ich habe überhaupt nichts dagegen, dass Frauen verantwortliche und machtvolle Positionen einnehmen. Sowohl in meiner medizinischen als auch meiner schriftstellerischen Karriere habe ich unter der Leitung von vielen Frauen gearbeitet, ohne dass jemals wegen unseres Geschlechts Spannungen zwischen uns aufgekommen wären. Ich stimmte für Mrs Thatcher und ich würde sogar für Mrs May stimmen (egal wie inkompetent sie auch sein mag), weil die Alternative viel, viel schlimmer ist. Aber die positive Diskriminierung scheint mir ein unübertroffenes Rezept für endlose soziale Konflikte, für Demagogie, politisches Abenteurertum und ständige Unzufriedenheit zu sein. Wenn man einmal mit der positiven Diskriminierung angefangen hat, kann man niemals damit aufhören, und es scheint für ihre Befürworter offensichtlich unbegreiflich zu sein, dass man keine positive ohne negative, also echte Diskriminierung haben kann.

Positive Diskriminierung spaltet

Positive Diskriminierung wirkt von Natur aus so spalterisch, weil es unendliche Möglichkeiten gibt, jede mögliche Bevölkerung in verschiedene Gruppen aufzuteilen. Zur Zeit sind wir besessen von Geschlecht und Rasse, aber Geschlecht und Rasse sind bei weitem nicht die einzigen Möglichkeiten, eine Bevölkerung aufzuteilen. Tatsächlich war eine lange Zeit das Mantra der antirassistischen Aktivisten, dass es überhaupt keine Rassen gibt. Es gibt große und kleine Menschen, Braun- und Blauäugige, Menschen mit schwarzen, braunen, blonden und roten Haaren, es gibt Junge, Alte und Mittelalte, Christen, Juden, Muslime, Buddhisten, Sikhs, Jains, Konfuzianisten und Taoisten, Gebildete und Ungebildete, Heterosexuelle, Bisexuelle, Asexuelle und Transsexuelle, und dann haben wir noch nicht von den Fetischisten und all jenen gesprochen, die in dem Werk „Psychopathia sexualis“ von Krafft-Ebing genannt sind.

Vor einiger Zeit habe ich eine Ausgabe des Guardian, des Zentralorgans der politisch Korrekten durchgearbeitet. Der Guardian befürwortet die positive Diskriminierung, angeblich aus Schuldbewusstsein wegen früherer Missetaten, in Wirklichkeit jedoch, um überqualifizierten, aber wenig intelligenten machthungrigen Bürokraten, einen Job zu sichern. Ein beachtlicher Teil der Zeitung widmet sich der angeblichen Diskriminierung von verschiedenen, von ihr bevorzugten Gruppen.

Ich nahm eine beliebige Ausgabe zur Hand und prüfte die Rasse und das Geschlecht von Leuten, die mit ihrem Bild in der Zeitung erschienen waren. Hier sind die Zahlen: 138 Männer und 90 Frauen; 147 Weiße, 50 Schwarze, 23 andere Rassen, einen Japaner mit inbegriffen. In einigen Fällen konnte ich entweder die Rasse oder das Geschlecht nicht genau definieren, diese fehlen bei der Aufzählung.

Ist der Guardian rassistisch?

Was lernen wir daraus? Man könnte mit Fug und Recht behaupten, der Guardian sei extrem rassistisch gegenüber Schwarzen und allen anderen nicht-weißen Rassen, oder aber auch dass sie es gegenüber Weißen sind. Denn den Daten der letzten Volkszählung nach waren 3,3 Prozent der Bevölkerung schwarz, aber fast 23 Prozent der Bilder stellten Schwarze dar, was bedeutet, dass sie im Verhältnis zu ihrem Anteil an der Bevölkerung sechs- oder siebenmal überrepräsentiert sind. Auf der anderen Seite waren Inder, deren Anteil an der Bevölkerung 2,3-mal höher ist als der von Schwarzen, im Guardian offensichtlich unterrepräsentiert.

Man muss kein Psychiater sein, um zu vermuten, dass die Schwarzen überrepräsentiert sind, weil die Herausgeber damit eine Gegenreaktion gegenüber ihrem eigenen tiefen aber uneingestandenem Rassismus zeigen. Schließlich sind sie selbst Weiße, und um sich selbst davon zu überzeugen, dass sie keine rassistisch begründeten Überlegenheitsgefühle haben (sie haben sie in der Tiefe ihrer Herzen), überkompensieren sie dies, indem sie bei den Bildern die Schwarzen bevorzugen. Ich kann natürlich nicht beweisen, dass es sich mit Gewissheit so verhält, aber es ist eine vernünftige Erklärung. Der Grund dafür, dass Asiaten (Inder, Japaner und Chinesen) unterrepräsentiert sind, ist, dass man sich ihnen gegenüber – im Gegensatz zu den Schwarzen – nicht gütig zeigen muss, denn wie es allgemein bekannt ist, können sie sich gut um sich selbst kümmern.

Ich habe freilich nur die Bilder gezählt, was nichts über ihre Prominenz aussagt. Ein großes Bild kann viele kleine übertrumpfen und die Aufmerksamkeit des Lesers auf sich ziehen. Auch habe ich nicht geprüft, ob die Ausgabe, für die ich mich entschieden hatte, als repräsentativ gelten könne. Aber offensichtlich bleibt noch viel zu tun, bevor die perfekte ethnische Parität erreicht ist.

Selbst Bildauswahl kann diskriminierend gedeutet werden

Wenn das nicht schon allein komplex genug wäre, kommt noch hinzu, dass in der Zeitung abgebildet worden zu sein, nicht unbedingt ein Vorteil sein muss. Zum Beispiel sind drei asiatische Frauen abgebildet, die das Land verlassen hatten, um für die Terrororganisation IS zu kämpfen, nun jedoch will eine von ihnen heimkehren, weil hier das Leben angenehmer und die Sozialleistungen besser sind. Sie wird kaum begeistert sein, wenn sie nun von ihren Mitbürgern leicht identifiziert werden kann. Begeisterte Gegner von Diskriminierungen könnten die Veröffentlichung des Bildes sogar als Diskriminierung erachten, insofern es Vorurteile gegen die Gruppe wecken könnte, der die junge Frau angehört.

Ich konnte die Bilder nicht aufgrund von anderen Kriterien analysieren. Aber es besteht kein Zweifel, dass Professoren der Jammerfächer die Fähigkeit und die Bereitschaft dazu besitzen, es zu tun, und sie werden es auch tun, sofern sie nur genug Geld von der Regierung dafür erhalten. Ihre Schlussfolgerungen werden dann dazu beitragen, dass noch größere regulierende Bürokratien erschaffen werden, die sicherstellen, dass das Volk fortan richtig fühlt, denkt und spricht.

Und dann gibt es noch eine weitere Frage: Welcher ist der richtige Nenner für den Zähler der Bilder? Ist es die Bevölkerung des Landes, in dem die Publikation erschienen ist? Oder die Bevölkerung Europas, Europas und Nordamerikas, oder gar der ganzen Welt? Es ist schon eine Sisyphusarbeit, nicht zu diskriminieren.

Die Unter- oder Überrepräsentation menschlicher Gruppen in allen möglichen Zusammenhängen ist eine unvermeidliche Folge der menschlichen Vielfalt. Niemand würde die Förderung weiblicher Kriminalität fordern, nur weil unter den Kriminellen und in den Gefängnissen Männer erheblich überrepräsentiert sind. Es gibt begründete Differenzen im Ergebnis der Tätigkeiten verschiedener Gruppen, die nichts mit Diskriminierung oder mit Vorurteilen zu tun haben. Auch in absehbarer Zukunft wird wahrscheinlich kein Bolivianer unter den Ayatollahs zu finden sein.

Misstrauen liegt allem zugrunde

Doch auch wer die positive Diskriminierung nicht nur aus schierer Böswilligkeit und Machthunger unterstützt, wer damit eine tatsächlich benachteiligte Gruppe aufrichtig fördern möchte, zeigt ein tiefes Misstrauen gegenüber der Spontaneität in der Gesellschaft. Diese Menschen glauben offensichtlich, dass so lange die Menschen nicht drangsaliert, bedrängt und fortdauernd erzogen werden (durch sie selbst, natürlich), damit sie die richtigen Gedanken und Gefühle haben, werden sie immer sehr böse Gedanken und Gefühle haben. Man kann nicht zulassen, dass die Menschen das für sie Richtige finden, weil sie immer nur das Schlechte finden werden. Die Gehirnwäsche durch die Tugendhaften ist die Antwort auf menschliche Übel.

Die andere Seite dieses Problems ist, dass sich einige direkt wünschen, diskriminiert zu werden, damit sie die berechtigte Entrüstung genießen können. In Amerika – und in dieser Hinsicht gehen wir Hirntoten dorthin, wohin uns Amerika führt – belagert ein homosexuelles Paar einen Konditor, weil er ihm keine Hochzeitstorte backen will, statt einen zu suchen, der dazu bereit ist. Stattdessen verklagt es den Konditor, der nicht backen will und versucht ihn so dazu zu zwingen, es doch zu tun, und dies alles im Namen des Kampfes gegen Diskriminierung.

Wer auf einer moralischen Grundlage die Diskriminierung zu einem der schlimmsten Verbrechen erklärt, befördert die totalitäre Haltung gegenüber der Diversität der Welt.

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