Tichys Einblick
Wählerunzufriedenheit

Populismus ist nicht das Problem

Die politischen Probleme in Ländern wie Deutschland haben nicht etwa populistische Parteien verursacht, sondern etablierte Kräfte. Die Wähler haben Grund und Anlass zur Unzufriedenheit. Von Sabine Beppler-Spahl

Symbolbild

picture alliance/dpa | Kay Nietfeld

Wenn die Populisten sagen, dass ein Großteil unserer Probleme von der etablierten Politik ausgeht, kann ihnen kaum widersprochen werden. Viele hausgemachte Probleme sind in den letzten Jahren deutlich zutage getreten. Dazu gehören:

Das gängige Argument gegen diese Vorwürfe lautet: „Glaubst Du etwa, die Populisten könnten es besser? Die sind doch noch schlimmer“. Das Argument entbehrt nicht jeder Grundlage. Doch sollte es – auch von denen, die zum Beispiel die AfD kritisch sehen – zurückgewiesen werden. Zum einen, weil es eine der rückständigsten und fatalistischsten Botschaften der letzten Jahre bestärkt: die Botschaft der Alternativlosigkeit. Seit Jahren wird den Wählern suggeriert, dass unsere Politik, ob sie sie mögen oder nicht, „alternativlos“ sei. Doch eine alternativlose Politik ist eigentlich keine Politik, zumindest keine, wie wir sie in Demokratien kennen.

Es stimmt zudem nicht, dass die Populisten genauso schlimm, wenn nicht schlimmer, sind als die etablierte Politik. Sie haben – egal wie man zu ihnen steht – etwas sehr Wichtiges bewirkt: die Öffnung der politischen Debatte. Nur dem Populismus ist es zu verdanken, dass die Themen, die so vielen Wählern wichtig sind, wieder ganz oben auf die Tagesordnung gelangt sind. Und so kann keine Partei und keine Regierung, auch bei den anstehenden EU-Wahlen, den demokratischen Druck ignorieren, der von den Wählern ausgeht.

Schicksalsfragen entscheidet nicht das Volk
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Ebenso wenig überzeugt der Hinweis, dass wir, wenn die Populisten an die Macht kämen, dem Rassismus und dem Rechtsruck nichts mehr entgegensetzen könnten. Viele Warnungen vor dem Populismus klingen regelrecht hysterisch. Tatsächlich gehen die schärfsten Angriffe auf die freie Meinungsäußerung – eine Grundlage liberaler Politik – zur Zeit von den Anti-Populisten aus, wie die zahlreichen Beispiele der Cancel Culture oder auch das Vorgehen gegen Hatespeech und das Demokratiefördergesetz zeigen.

Wer sich Sorgen um einen wachsenden Rassismus macht, sollte sich fragen, woher die vielen offen zutage getretenen Manifestationen des Antisemitismus auf unseren Straßen kommen. Die Aktionen und Demonstrationen, die die Vernichtung des einzigen jüdischen Staates der Welt fordern, gehen nicht – zumindest im Moment nicht in erster Linie – von Rechtsextremen aus, sondern von der kulturellen Linken und Teilen der muslimischen Einwanderergesellschaft. Es war der Multikulturalismus, der jeden Ruf nach Integration ablehnt, Diversität zum Ziel an sich erklärt und die Sonderstellung von Migranten zelebriert, der diese Situation hervorgerufen hat.

Zuletzt ist darauf hinzuweisen, dass der Populismus keine statische Bewegung ist, sondern ein Prozess. Auch die populistischen Parteien müssen Wähler überzeugen und sich dem Druck der öffentlichen Debatte stellen. So ist zum Beispiel der Populismus Marine Le Pens in Frankreich heute ganz anders als vor noch einigen Jahrzehnten. Auch, dass es unterdessen mehrere populistische Parteien gibt, mit unterschiedlichen Schwerpunkten und Ausrichtungen, zeigt die Dynamik der Dinge. Tatsächlich ist der Populismus eine demokratische Revolte, die sich gegen die engen Grenzen der etablierten Politik zur Wehr setzt. Für Demokraten ist der Populismus daher nicht das Schreckgespenst, das er für seine Gegner darstellt.


Dieser Beitrag ist zuerst bei Novo erschienen.

Mehr von Sabine Beppler-Spahl lesen Sie in dem Buch „Raus aus der Mitte! Wie der Parteienkonsens die Demokratie untergräbt“. Beppler-Spahl ist Autorin von „Experimente statt Experten – Plädoyer für eine Wiederbelebung der Demokratie“.

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