Polizisten stehen oft vor unschönen Entscheidungen. So am zurückliegenden Wochenende in Berlin: Journalisten wollen ihrem verfassungsrechtlich geschützten Auftrag nachkommen und über eine propalästinensische Demonstration berichten. Eine heikle Veranstaltung. Ihr gewaltbereiter Charakter wird später dazu führen, dass die Polizei gegen Teilnehmer der Demonstration ermittelt – auch wegen Volksverhetzung. Zudem greifen Teilnehmer die besagten Journalisten an. Das gefährdet das Verfassungsgut Pressefreiheit, ist aber auch mutmaßlich ein Straftatbestand – nämlich eine „Körperverletzung“.
Wie entscheidet die Polizei nun? Sie hat einerseits den Auftrag, das Gewaltmonopol des Staates durchzusetzen und Straftaten zu ahnden. Sie soll aber auch Eskalationen verhindern. Offenbar schätzt die Berliner Polizei die Gewaltbereitschaft und die Bereitschaft, gegen Gesetze zu verstoßen, bei den propalästinensischen Demonstranten so hoch ein, dass sie sich für Deeskalation entscheidet: Die gewaltbereiten Demonstranten dürfen daher weiterziehen, die Journalisten müssen die Demo verlassen.
Nach solchen Entscheidungen steht die Polizei immer in der Kritik: Lässt sie eine gewaltbereite propalästinensiche Demo weiterziehen, bekommt sie dafür Störfeuer von rechts. Tut sie das Gleiche bei einer Demonstration von Rechtsextremen, kommt die Kritik von links. Für die Akzeptanz der Polizei und ihrer Entscheidungen ist es daher wichtig, als politisch neutral und an der Sache orientiert wahrgenommen zu werden. Sie begibt sich auf Glatteis, wenn sie politische Kampagnen startet, so wie jetzt das Landeskriminalamt im sozialdemokratisch regierten Niedersachsen gemeinsam mit der Polizeidirektion Osnabrück.
„#HassistkeineMeinung“ steht auf Schildern, die Polizisten im Rahmen dieser Kampagne in die Höhe halten. Das ist ein politisierter Slogan. Die Grünen-Politikerin Renate Künast hat ihn bereits als Buchtitel verwendet. Nun ist gerade die ehemalige Verbraucherschutzministerin nicht dafür bekannt, sich hinter die Polizei zu stellen: Im Juli 2016 geht in Würzburg ein Amokläufer mit einer Axt und einem Messer auf Menschen los. Ein Sondereinsatzkommando erschießt ihn. Die Leiche ist noch nicht kalt, da spielt Künast auf Twitter schon die Expertin und fragt: „Wieso konnte der Angreifer nicht angriffsunfähig geschossen werden???? Fragen!“ Ein Mann geht wild mit der Axt auf Menschen los – ein Polizist muss binnen Sekunden entscheiden, was er tut. Eine höchst existenzielle und maximal unpolitische Entscheidung. Trotzdem wird – dank Künast – die Debatte danach höchst politisch.
Die Polizei tut sich also keinen Gefallen damit, politisch zu werden. Etwa indem sie Künasts Buchtitel als Slogan in die Kamera hält und das dann auf Twitter verbreitet. Es ist der Slogan, der in Erinnerung bleibt. Nicht die Erklärung dazu. Sie wolle über Straftaten informieren wie: „Volksverhetzung, Beleidigung, üble Nachrede, Verleumdung, Nötigung, Bedrohung oder auch die öffentliche Aufforderung zu Straftaten“, verbreiten die Verantwortlichen über T-Online.de. Dagegen wäre nichts zu sagen. Prävention gehört zu den Aufgaben der Polizei. Sie soll über Straftaten und ihre Folgen informieren.
Nur: Das Landeskriminalamt hält eben keine Slogans in die Kamera, auf denen steht: „Volksverhetzung ist keine Meinung“. Oder „Beleidigung ist keine Meinung“. Oder „Bedrohung ist keine Meinung“. Stattdessen benutzt sie einen politischen Kampfbegriff: „Hass“. Im Strafgesetzbuch ist der nicht definiert. Denn es ist ein politischer Begriff. Und der wird nicht präzise definiert, stattdessen wird um die Deutungshoheit darüber gestritten. Es sind vor allem rot-grüne Politiker, die ihn verwenden.
So wie der damalige Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD), als er das Netzwerkdurchsuchungsgesetz durchsetzt. „Die Meinungsfreiheit ist kein Freibrief, um Straftaten zu begehen“, sagt er dazu auf Spiegel.de und verteidigt das Gesetz mit dem Argument: Es solle dafür sorgen, dass rechtswidrige Einträge mit Hass und Hetze schneller und konsequenter aus dem Internet entfernt werden.
„Hass und Hetze“ gehören als Begriffe wie Zwillinge zusammen. Selten tauchen sie in politischen Debatten alleine auf. In der DDR gab es die „staatsfeindliche Hetze“. Viele verdanken diesem Straftatbestand Gefängnisaufenthalte und andere staatliche Repression. Ein Beispiel, das zeigt, wie charakteristisch es für einen Rechtsstaat ist, politische Begriffe zu definieren, wenn sie zu rechtlichen Begriffen werden sollen. Geschieht das nicht, erhält ein Staat wie die DDR das Recht, Begriffe willkürlich auszulegen und berechtigte Kritik zu Hetze zu erklären – und dann führt Kritik an der Politik zu Haftstrafen oder zur Vernichtung von Existenzen.
„Renate Künast ist mit ihrer Kritik am Würzburger Einsatz der Polizei in den Rücken gefallen.“ Diese Aussage mag man als harsch empfinden. Renate Künast steht es frei, in ihr Hass oder Hetze zu sehen. Aber es ist ganz sicher keine Volksverhetzung, keine Verleumdung oder die Aufforderung zu einer Straftat. Und die Aussage bleibt daher straffrei. Auch wenn es politische Initiativen gibt, die solche Kritik moralisch delegitimieren wollen – und gegebenenfalls unter Strafe stellen. Einfach, weil ihnen die Aussage nicht passt.
Doch das ist eine politische Entscheidung. Die Polizei täte gut daran, sich da nicht einzumischen. Es ist richtig, dass sie nach der propalästinensischen Demonstration in Berlin wegen Volksverhetzung ermittelt. Und es wäre durchaus nachvollziehbar, wenn sie zum Thema Volksverhetzung Präventionsarbeit leisten würde. Denn das ist ihr Kerngeschäft: Verbrechensbekämpfung. Nicht der politische Ideenwettbewerb.