Goethe kannte das Wort nicht, es kam erst um 1850 in Umlauf: weltoffen. Mit Welt war die „diesseitige“ Welt gemeint, nicht die himmlische des Jenseits. Wer heute einen „weltoffenen“ Islam fordert, verwendet das Wort noch in seinem ursprünglichen, gegen den religiösen Fundamentalismus gerichteten Sinn.
Karriere machte weltoffen allerdings nicht auf dem Feld der Religion, sondern der Wirtschaft: weltoffener Handel bedeutete und bedeutet „Freihandel“, im Unterschied zu Protektionismus. Hafenstädte, über die der Welthandel abgewickelt wird, gelten deshalb traditionell als weltoffen ‒ „das weltoffene Hamburg“ ist fast sprichwörtlich geworden. Auch Metropolen mit internationalem Flair bezeichnen sich gerne als weltoffen; unter dem Suchbegriff „weltoffenes Berlin“ findet man im Internet 65.000 Einträge. Von der Stadt wird die Weltoffenheit auf deren Einwohner übertragen: der weltoffene New Yorker, die weltoffene Pariserin usw.
Auch Länder präsentieren sich als weltoffen. Die Vergabe der Fußball-Europameisterschaft 2024 nach Deutschland wurde hierzulande einhellig begrüßt: Es biete die Gelegenheit, sich „wieder [nach der WM 2006] als weltoffenes Land zu zeigen“ und ‒ so Außenminister Maas ‒ deutlich zu machen, „wofür wir in Deutschland einstehen: Für Weltoffenheit und Toleranz, für Freiheit und Respekt“.
Fazit: Das Wort weltoffen hat ein rundum positives Image. Es wird deshalb häufig mit anderen positiven Eigenschaftswörtern kombiniert: tolerant, liberal, aufgeklärt, gastfreundlich, modern. Auch wohlhabend passt zu seinem Wortprofil: Über ein Frauen-College in Lahore (Pakistan) berichtete die ZEIT (1. Juli 2004):
„Hier werden nur die Besten genommen, meist stammen sie aus Familien, die sowohl wohlhabend als auch weltoffen sind.“
Eine bestimmte Weltoffenheit muss man sich also wirtschaftlich leisten können. Übrigens auch in Deutschland: „In einer schönen Halbhöhenlage am Stuttgarter Killesberg [der teuersten Wohnlage Stuttgarts] lässt es sich leicht weltoffen sein“, meint der realogrüne Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer (ZEIT, 28. November 2017).
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Weltoffenheit zeigt sich traditionell in drei Bereichen: Handel, Tourismus und internationale Beziehungen. Der Grad dieser Weltoffenheit lässt sich messen an Kriterien wie Handelsvolumen, Übernachtungen ausländischer Touristen, Anzahl ausländischer Studierender. Im internationalen Vergleich hat Deutschland hier hohe Werte; der politisch oft geäußerte Satz „Deutschland ist ein weltoffenes Land“ stimmt also.
Seit der Jahrtausendwende dringt das Wort weltoffen in einen neuen Bereich vor, die Migration, genauer: die Armuts-, Flucht- und Asylmigration. Der Gebrauchswandel verbreitete sich zunächst langsam; dann, im Zuge der Migrationskrise 2015, massiv: Man wolle der „Flüchtlingswelle mit einer weltoffenen und gastfreundlichen Willkommenskultur begegnen“, erklärte damals der Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes (ZEIT, 1. September 2015). Weltoffen bedeutete nun „grenzoffen“. Diese neue Bedeutung zieht sich seither durch zahllose Demonstrationen und Aufrufe für ein „weltoffenes“ Deutschland, Dresden, München, Vorpommern usw., bis hin zur jüngsten Berliner Großdemonstration (13. Oktober 2018), die unter dem Motto stand: „Solidarität kennt keine Grenzen“.
Mit der Umdeutung von weltoffen zu „grenzoffen“ änderten sich auch die Bezeichnungen für die Gegner der Weltoffenheit: Waren es früher „Provinzler“ und „Spießbürger“, sind es heute „Rassisten“, „Rechtsextreme“, „Ausländerfeinde“, „Nazis“, kurz: politisch markierte Gruppen.
Weltoffenheit im alten Sinne brachte Vorteile für alle: Bei Export und Import für die Handelspartner, beim Tourismus für Gäste und Gastgeber, beim internationalen Austausch für die beteiligten Künstler und Wissenschaftler: Es wurden nationale Grenzen überschritten, aber einvernehmlich. Die neue, grenzenlose Weltoffenheit hat aber zu einer Massen- und Armutsmigration in die westeuropäischen Nationalstaaten geführt, die unproduktiv ist und die Stabilität des Sozialsystems erschüttert..
Der Sozialstaat ist nämlich an nationale Grenzen und Solidarität gebunden: Ein „Deutschland für alle“ ist auf lange Sicht nicht finanzierbar und kurzfristig nur auf Kosten eines Teils seiner Bevölkerung. Ein Beispiel: Zur Bewältigung der Migrationskrise haben Bund und Länder seit 2015 jährlich jeweils 20 Milliarden Euro bereitgestellt, das entspricht ca. fünf Prozent des gesamten Steueraufkommens. Zum Vergleich: Die monatliche Durchschnittsrente in Deutschland beträgt 860 Euro (Stand: 2017). Würde der deutsche Staat die jährlich 40 Milliarden Migrations- bzw. Weltoffenheitskosten den 21 Millionen Rentnern zuteilen, ergäbe das knapp 2 000 Euro pro Rentner und wäre ein beachtlicher Schritt gegen die vielbeklagte „Altersarmut“.