Tichys Einblick
Wirklichkeit und wacklige Bühne

Politische Korrektheit, das größte Theaterstück der Geschichte

Wir müssen heute nicht ins Theater gehen, um Theater zu erleben. Wir spielen oft sogar mit. Politische Korrektheit ist das größte Theaterstück der Geschichte, doch irgendwann werden die Kulissen in sich zusammenfallen.

Einst waren wir Affen, so sagen die Anthropologen, und dann kamen wir von den Bäumen herunter, und dann erfanden wir das Theater.

Heute ist das deutsche Theater weniger spannend als die Pressekonferenz der Bundesregierung – beides ist ein Schauspiel, aber bei der Pressekonferenz stellt wenigstens gelegentlich ein frecher ausländischer Journalist eine echte Frage, was bei der steuerfinanzierten Haltungserziehung im Theater ja eher seltener passiert – doch das war nicht immer so! Gegeben, das moderne Elend, könnte uns aus dem Blick geraten, dass es eigentlich eine so komplexe wie intellektuell spannende Angelegenheit ist, was da passiert, wenn Menschen »schauspielen«.

Ein Mensch spricht die Rolle eines anderen Menschen, auf dass ein in die Verstellung eingeweihtes Publikum mit den dargestellten Figuren mitfiebert. Theater zu spielen ist (eigentlich) eine Dienstleistung. Der zahlende Kunde sagt zum Friseur: »Schneide mir die Haare!«, zum Bäcker: »Verkauf mir ein Brot!«, und zum Schauspieler: »Spiele mir einen Charakter vor, auf dass ich unterhalten werde!«

Das Fundament entscheidet
Warum ist der Turm von Pisa schief?
Im antiken Griechenland war das Theater eine der Säulen öffentlicher Kultur, neben etwa Politik, Gymnastik, Musik oder natürlich religiösen Ritualen. Die Rhetorik bei Gerichtsprozessen und die Kunst des Vortrags im Theater entwickelten sich parallel – und wenn wir US-Filme über Gerichtsverhandlungen mit all den dramatischen Plädoyers kennen, ahnen wir das noch. Noch heute greifen wir auf die griechischen Konzepte Tragödie und Komödie zurück. Die Masken dienten damals nicht nur zur Identifizierung der Charaktere, sondern auch als Stimm-Verstärker, und heute sind die missmutige und die gutgelaunte Maske das Symbol für Verstellung wie für Theater gleichermaßen – es gibt sie natürlich auch als Emoji: ? (Und sollten Sie die Masken doch herunterreißen wollen, dann hätte ich ein T-Shirt für Sie: »Zerreißt die Masken!«)

Nicht in allen, aber doch in vielen Kulturen entwickelten sich jeweils eigene Formen des Theaters. In Indien beispielsweise entstand etwa um das 1. Jahrhundert v. Chr. das Sanskrit-Theater, und das indische Stück »Abhijnanashakuntala« in seiner englischen Übersetzung soll sogar als Inspiration in Goethes Faust eingeflossen sein (siehe Wikipedia).

Die Grenzen zwischen Theaterspiel und Gottesdienst sind teilweise fließend. Wenn im antiken Griechenland etwa als Teil des Osiris-Kultes die Handlungen eben dieses Gottes nachgespielt wurden, oder wenn Gläubige auf der Via Dolorosa in Jerusalem ein Kreuz tragen, ist das noch Gottesdienst oder schon eine Form des Theaters? Beides, das Vorspielen eines unterhaltsamen Stückes und das Nachspielen einer mythischen Handlung, bedient tiefe menschliche Bedürfnisse, und zwar die gleichen, von denen auch Kinder getrieben sind, die »als ob« spielen (vorausgesetzt, dass sie im Zeitalter des digitalen Heroins namens »Smartphone« und »Tablet« noch zu diesen für die Entwicklung von Geist und Gemüt so wichtigen Arten des kindlichen Spiels kommen).

Es ist dem Menschen angeboren, Rollen und Sätze »ausprobieren« zu wollen, und zwar nicht als Lüge, wo einer den anderen täuscht, sondern als vereinbartes Spiel mit geteilten Regeln. Im (Schau-) Spiel lassen sich Realitäten ausprobieren und dann auch Wahrheiten sagen, die man direkt und unverstellt nicht sagen will – oder nicht darf, wenn einem Leben und Existenz lieb sind.

Alle Paare, die ich kenne

Aus Hessen hören wir aktuell: »Frau in Idstein erstochen – Ehemann in Haft« (hessenschau.de, 25.12.2019) – so zumindest die Formulierung des Staatsfunks. Anderswo lesen wir Informationen, die überhaupt nicht ins linke Narrativ passen: »Afghane (31) tötet Ehefrau (26) aus Eifersucht – „Ihr Gesicht war komplett zerschnitten“« (bild.de, 26.12.2019 (€)) – makaber: Wir sehen bei bild.de auch ein Foto der Toten, auch ohne zu bezahlen, und das Gesicht, das wir da sehen, existiert nicht mehr.

Ich kenne so manches Paar, einige verheiratet, andere nicht, und auch einige, die getrennt leben, aber gemeinsame Kinder haben. Alle Paare, die ich kenne, hatten schon mal Streit und Meinungsverschiedenheiten. Niemand, wirklich niemand, den ich kenne oder jemals gekannt habe, ist jemals auf die Idee gekommen, ein Messer oder auch »nur« eine Hand gegen seine Frau zu erheben. Ich finde keine höflichen Worte zu jener Tat.

Bezahlte Lügner und Gehirngewaschene werden uns sagen, dass Gewalt von der Art wie in Idstein in allen Kulturkreisen gleich wahrscheinlich vorkommen kann. Wenn das stimmt, dann muss ich mit meinem Bekanntenkreis mit Menschen aus vielleicht einem Dutzend verschiedener Länder, statistisch betrachtet enormes Glück gehabt haben. – Eine andere Möglichkeit: Die Gutmenschen und Propaganda-Opfer liegen eben doch falsch und die Würde und, ja, Heiligkeit der Frau ist eben doch nicht in allen Kulturen und Denkschulen gleich … womit wir beim Schauspiel wären.

Ohne Schauspiel und Verstellung!

Wäre ich ein Indianer, so würde ich den Indianer-Namen »Zerbissene Zunge« tragen, so häufig wie ich mir dieser Tage auf die Zunge beiße! – Lerne beizeiten, dir auf die Zunge zu beißen, sonst wird man dir allzubald eben diese ganz herausschneiden!

Wir müssen heute nicht ins Theater gehen, um Theater zu erleben. Die ganze Welt ist eine Bühne, das wusste schon Shakespeare, und wir sind nur die Schauspieler darin – fürwahr, es ist wahr! Wer in einer größeren Firma, einer Schule oder Behörde arbeitet, der erlebt Tag für Tag eine neue Szene im politisch korrekten Laien-Theater – und er wird schnell selbst zum Schauspieler. Alle wissen, dass das Gesagte ausgedacht ist, doch wehe dem, der aus der Rolle fällt und die wahre Wahrheit ausspricht! Politische Korrektheit ist die größte Theater-Aufführung der Menschheitsgeschichte; die Bühne erstreckt sich über mehrere Kontinente und die Aufführung dauert nun schon Jahrzehnte. (Und irgendwann wird dann doch der Vorhang fallen, die Kulissen werden kollabieren, und der ein oder andere Schauspieler hat schon jetzt im künstlichen Spiel sein echtes Auge verloren, doch meist sind die anderen Schauspieler höflich genug, zu tun, als wäre nichts passiert – sie wollen ja nicht aus der Aufführung entlassen werden, wovon sollten sie denn leben!)

Jedoch und mal im Ernst, ganz ohne Schauspiel und Verstellung! – das Lügen-Schauspiel politischer Korrektheit ist nicht, wofür Theater eigentlich gedacht ist, wofür wir eigentlich das Theater brauchen. Ein Schauspiel tut, als ob Ausgedachtes wahr wäre, um eine Wahrheit zu transportieren, doch es behauptet nicht, dass das, was auf der Bühne passiert, wirklich wahr ist – wo sollten sie auch die vielen Romeos und Julias hernehmen?

Die tatsächlichen Bruchstellen

Menschen erfanden das Theater einst, um Wahrheiten auszudrücken, die mit einfacher Sprache nicht zu transportieren sind. Wenn das Zeigen mit Zeigefinger und direkten Worten allein nicht möglich oder schlicht nicht eindrücklich genug ist, dann braucht es Kunst, ob in Form einer Fuge, eines Gemäldes oder eben eines Theaterstücks. Eigentlich soll das Theater, wie jede Form von Kunst, sonst unausgesprochene und doch ewige Wahrheit aufdecken, nicht verstecken. Ist Politische Korrektheit also eine Art »Anti-Theater«? Nun, indem wir genau lernen, wo man lügen und schauspielern muss, um nicht anzuecken, markieren wir präzise, wo die tatsächlichen Bruchstellen liegen – einer der wenigen Fälle, wo eine Aussage und ihr Gegenteil beide wahr sind, beide auf ihre Art.

Wer heute aufwächst, der lernt eine ganz eigene Theatersprache, um die Wahrheit zu sagen und doch nicht von der Bühne geworfen zu werden. Wir sagen »junge Männer«, und die Zuschauer und Mitspieler – was ja oft dieselben Personen sind – wissen Bescheid. Wir sagen »archaische Kultur«, und doch weiß man, dass weder Aboriginees noch Zoroastrier gemeint sind. Und wenn Messer auf der Bühne auftauchen, dann braucht es meist gar keine weitere Deutung (was allerdings auch wieder in die Irre führen kann – es ist ein Spiel der Wahrscheinlichkeiten).

Von Topmanagern und Clans
Der Verlust einer Lebenswelt - und die Entstehung neuer Üblichkeiten
Die Tote in Idstein. 100 salafistische Großfamilien in NRW (focus.de, 26.12.2019). Streitschlichter im Krankenhaus (wn.de, 26.12.2019). Und so fort, und währenddessen: »Zahlungsansprüche ausländischer Hartz-IV-Empfänger fast verdoppelt« (welt.de, 27.12.2019) und »Schulen, Gerichte, Kitas – Beamtenbund schlägt Alarm: “Wir steuern auf einen Systemkollaps zu”« (focus.de, 26.12.2019). – Wir wollen sagen, was wir wirklich denken, es juckt und zuckt in uns, die Galle kocht und das Herz hüpft, doch das wäre unhöflich und womöglich auf mehrere Weisen ungesund, also spielen wir Theater.
Verkleidet die Wahrheit!

Die Wahrheit zu sagen ist gut für die Seele, die Wahrheit aber allzu deutlich zu sagen, das kann schlecht für den Hals sein. Schauspieler verkleiden sich, bevor sie eine verkleidete Wahrheit sagen, und ebenso ist es ratsam, im Theater politischer Korrektheit die Wahrheit zu verkleiden. Verkleidet die Wahrheit, bevor ihr auf der Bühne linker Lügen und offizieller Wahrheit auftretet.

Direkte Lügen gibt es heute genug, aus Berlin und von anderswoher. Es bleibt uns wenig übrig, als indirekte Wahrheiten zu sagen. Indirekte Wahrheiten sind wertvoller als Gold, und wenn ich mich dafür entschuldigen muss, dann wäre das nicht mehr mein Land – im Gegenteil! – ich freue mich darauf!

Einst waren wir Affen, und wir hangelten uns von Baum zu Baum. Heute sind wir Menschen, und wir hangeln uns von Gehalt zu Gehalt, von Nachricht zu Nachricht, und wir Menschen haben Kultur, und also spielen wir Theater, und das Theater ist eine ganz besondere Form der Lüge, welche die Wahrheit umreißt wie ein sexy Kleid, das die Trägerin nackter als nackt aussehen lässt, und so ein Theater wollen wir spielen, nur eben mit der Wahrheit, nicht mit den Hüften.

Lasst uns die Wahrheit sagen, ob wir dafür eine rote Nase oder ein rotes Kleid anziehen müssen, als König oder als Hofnarr! Lasst uns wahrhaftig sein und doch klug, etwas verschmitzt, etwas verstohlen, und das alles nur, um nicht verlogen zu sein.

Das Schauspiel, das es heute braucht, ist gar nicht schwer, solange man sich an die Grundregeln hält. Man sollte nur keine Fehler machen, nicht zu viel Haut unter der Schminke zeigen. Sagt die Wahrheit, sagt sie klug und kunstvoll.

Oder einfacher, in den Worten des Schauspielers Spencer Tracy, der die Kunst des Schauspiels so beschrieb: »Lern deine Zeilen und lauf nicht gegen die Möbel!«


Dieser Beitrag erschien zuerst auf dushanwegner.com

Dushan Wegner (geb. 1974 in Tschechien, Mag. Philosophie 2008 in Köln) pendelt als Publizist zwischen Berlin, Bayern und den Kanaren. In seinem Buch „Relevante Strukturen“ erklärt Wegner, wie er ethische Vorhersagen trifft und warum Glück immer Ordnung braucht.

Anzeige
Die mobile Version verlassen