Tichys Einblick
Neue Probleme am Weihnachtshorizont

Politik unterm Tannenbaum – einhaken, nachfragen, verhaken

Onkel Willy nagt an der Gänsekeule, Papa zweifelt am Klimawandel. Was tun? Eine Ratgeber-Literatur neuen Typs will Antworten bieten.

Das kennt vermutlich jeder, der irgendwann einmal Weihnachten mit der Familie gefeiert hat. Der Baum ist entweder zu klein oder zu groß, zu krumm oder zu dürr und lässt sich meist nur schwer im Ständer verankern. Schwer ist es vor allem, das dazu erforderliche Teamwork zu organisieren – zumal mit Spielern, die sich vorher monatelang nicht gesehen haben. Dann noch die Tücken der Zeitplanung: erst Bescherung oder erst das Abendessen? Und vor allem: Wer schmückt den Baum und wie?

Seit neuestem scheinen aber ganz andere Probleme ins weihnachtliche Kerzenlicht zu drängen, davon erzählt eine neue ›Ratgeber-Literatur‹, die sich in deutschen Zeitungen breitmacht: Was tun, wenn Opa den Klimawandel leugnet und Onkel Willy an eine Islamisierung des Abendlandes glaubt? Vor allem die männlichen Verwandten der älteren Jahrgänge sind anscheinend massenhaft zu Problembären mutiert. Atmosphärisch dicht beschreibt das – wie nicht anders zu erwarten – die Hamburger »ZEIT«:

»Weihnachten geht es nach Hause. So will es die Tradition. Auch wenn einem davor graut. Vor dem Moment, wenn Onkel Willy die letzte Faser von der Gänsekeule genagt, die Bratensoße mit dem Kartoffelkloß aufgetupft hat und sich mit dem zweiten Aquavit in der Hand zurücklehnt: […]«

Es folgt eine beliebige Äußerung, wie die Bemerkung des Onkels: »Tja, Weihnachten wird es wohl auch nicht mehr lange geben, wenn das mit der Islamisierung so weitergeht.« (Was daran rassistisch oder alltagsrassistisch sein soll, bleibt das Geheimnis der »ZEIT«; der Islam ist ja keine Rasse.) Jedenfalls ist Vergessen oder Übergehen oder gar eine Versöhnung aus dem Geiste des Aquavits »keine Option« für die militante Autorin des Stücks. Sie geht in den Kampf. Man dürfe die Onkel Willys dieser Welt »nicht unwidersprochen schwadronieren lassen«, müsse vielmehr – der kritische Journalismus lässt grüßen – »einhaken, nachfragen«, das heißt nun wiederum vor allem: Fake-News gnadenlos aufdecken! Nein, Schokoweihnachtsmänner sind neuerdings keine »Jahresendfiguren«. Schon wieder so eine bodenlose, rassistische Aussage. Es bleibt beim christlichen Weihnachtsfest. Das glauben wir zumindest ganz fest.

Sind das echte Leserbriefe?

Possierlich an den Texten ist vor allem, wie Klischees ohne Zahl aufeinandergehäuft werden, um das Bild des AfD-Wählers mit geschlossen rechtem bis rechtsextremem Weltbild auszumalen. Idealtypisch zeigt sich das in einem grotesk wirkenden, dabei schon beinahe fiktiv anmutenden Kummerkasten-Brief aus der »ZEIT«. Von einem einst idealisierten »Papa« schreibt da »eine verzweifelte Tochter«:

»Aus dem ehemals liberalen Menschen ist ein AfD-Wähler geworden, der den Klimawandel leugnet, people of color grundsätzlich feindlich gegenübersteht, der denkt, dass LGBITQ-Menschen in ihr ›Schicksal‹ überredet werden und davor eigentlich ›normal‹ waren, jemand, der den Medien nicht mehr vertraut und nur noch Artikel von ›Journalistenwatch‹ liest und YouTube-Videos schaut.«

Die arme Briefeschreiberin, eigentlich ein Papakind, ist nur noch entsetzt. Gott sei Dank, hat Kummerkastentante Ella eine ganz ähnliche Mutter, so dass ihr die Antwort nicht allzu schwerfällt. Ihre Reaktionsvorschläge – und die anderer Autoren – sind freilich übersichtlich.

1. Psychologisieren

Die Briefeschreiberin und Papatochter soll sich fragen: »Gibt es persönliche Themen, die bei ihm liegen geblieben sind und sich jetzt mit den Angeboten rechtspopulistischer Weltdeutung verhaken?« Schuld an den politischen »Ressentiments« der Elterngeneration seien »diffuse Ängste aus allen möglichen Ecken des Lebens«. Lebensweltliche Sorgen – in welcher Gesellschaft wollen wir leben? – sind offenbar grundsätzlich illegitim.

2. Streiten

Daneben soll die Tochter versuchen, ihren seltsamen Vater im Streit von der eigenen, natürlich richtigen Position zu überzeugen: »Stay strong!« Ähnliches findet sich auch in einem neueren »Stern«-Artikel unter der Überschrift »So übersteht ihr Weihnachten mit der Familie«. Als erstes fiktives Problem figuriert hier »der AfD-Onkel«, der gegen Flüchtlinge hetzt und »ganz unverhohlen« seine Sympathien für eine Partei äußert, die sich mit ihren Positionen scheinbar am Rand der möglichen, denk- und vorstellbaren Welt befindet. Hic sunt leones. Allerdings soll man die »Konfliktgespräche«, so die befragte Familientherapeutin, nicht eskalieren lassen, dann lieber vertagen. Immerhin, man redet miteinander. Ähnlich beruhigend liest es sich in der »Welt«, wo eine Kölner Psychologin daran erinnert, dass »auch mal zwei Meinungen nebeneinander stehen dürfen«.

3. Kämpfen für die gute Sache

Siehe die einhakende »Zeit«-Kolumnistin oben.

4. »Ächten!«

Einen Schritt weiter ging schon im November letzten Jahres ein Autor und empfahl: »Wenn deine Eltern AfD wählen, warum nicht den Kontakt abbrechen?« Um genau zu sein, twitterte er das damals und wunderte sich anschließend über den hereinbrechenden Sturm. Natürlich denkt auch dieser »ZEIT«-Autor weitgehend im luftleeren Raum, um seine Eltern geht es ihm jedenfalls nicht. Vielmehr entzündet sich sein Plädoyer für den Kontaktabbruch an dem Fall eines pseudonymen »Tagesspiegel«-Autors, dessen Vater sich vom Sozialdemokraten zum AfD-Wähler gewandelt haben soll (kein ganz unglaublicher Fall). Stellenweise gibt sich der Autor sogar konziliant: »Dem harten Schnitt […] müssen Gesprächsversuche vorausgehen. Aber womöglich ist der Abbruch des Kontakts gerade aufgrund der Liebe zu den eigenen Kindern eine Möglichkeit, die Verwandtschaft zur Besinnung zu bringen.« Erste Hilfe für besinnungslose Eltern.

5. Pädagogisieren

In der bekannt liberalen Pro-und-Contra-Art der Hamburger Wochenschrift durfte ihm damals Raoul Löbbert widersprechen. Allerdings unterscheiden sich beider Positionen allenfalls in Nuancen. Deshalb heißt die fünfte Scheinbewältigung des Problems: Das Ressentiment an der Liebe scheitern lassen. Auch für Löbbert ist die AfD vor allem eine Partei, die »Hass« und Ressentiments verbreitet. Und auch Löbberts Onkel Richard glaubt an diese obskure Islamisierung des Abendlandes, will den Redakteur infamerweise sogar zu diesem Glauben bekehren: »Da habe ich ihm gesagt, dass er mit Abendland und Islamisierung bei mir nicht landen kann.« Anscheinend weder mit dem einen noch mit dem anderen. Die Wagenburg steht.

Bald spürt man die ersten Wellen von Löbberts Mitgefühl; denn angeblich hatte sich der bedauernswerte Onkel »politisch so weit entfernt von jedem Diskurs, dass ich dachte, er sei für immer für die Demokratie verloren«. Ja, wie? Wollte denn Onkel Richard seine Stimme den Habsburg-Monarchisten, der Bayerischen Königspartei oder dem Welfenbund schenken? Um den Mann aus Stein zu erweichen, schleudert Löbbert ihm ein feuriges »Wenn du AfD wählst, wählst du mich ab« entgegen. Seit wann werden eigentlich »ZEIT«-Kolumnisten durch Volkswahl bestimmt?

Beachtlicherweise weiß aber ausgerechnet der Onkel noch zwischen politischen Positionen und persönlichen Beziehungen zu unterscheiden. Seinem Zeitungsneffen sagt er: »Das hat nichts mit dir zu tun. Ich mag dich doch.« Onkel Richard ist eben kein trotziges Kind, das gegen den erziehungsberechtigten »ZEIT«-Redakteur rebelliert. Eher versucht der sich hier in emotionaler Erpressung. Der Onkel – der uns wie eine reale Figur vorkommt – scheint dagegen gleichermaßen vernunftbegabt, intelligent und mitfühlend. Er fühlt auch da noch mit seinem Neffen, wo der von einem apokalyptischen Kampf zwischen Gut und Böse phantasiert und menschliche Bindungen im politischen Streit zu instrumentalisieren versucht. Das ist die eigentliche, traurige Botschaft dieser Weihnachtsgeschichte.

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