Dass das Gefühl längst zur tragenden Komponente politischer Entscheidungen in Deutschland geworden ist, ist spätestens seit Angela Merkels Politik der offenen Grenzen und eines eklatanten Mangels öffentlicher Kritik an eben jener Politik ersichtlich geworden. Der Fall der zunächst abgeschobenen Schülerin Bivsi Rana, die nun mit ihrer Familie auf Beschluss des Auswärtigen Amtes zurückkehren darf, legt dabei nicht nur offen, wie fehlerhaft das deutsche Asylrecht schon lange vor der Flüchtlingskrise war und wie fahrlässig deshalb, die Grenzen zu öffnen, er zeigt auch, wie weit Deutschland von einer Rückkehr zu einer Politik des Rechts entfernt ist und wie groß immer noch die Übermacht der Politik des Gefühls, die bis heute von einem beachtlichen Teil der Bevölkerung aktiv mitgetragen und von den deutschen Medien mindestens wohlwollend kommentiert wird.
Keiner möchte „Buhmann“ sein
Als der Journalist Robin Alexander in seinem Bestseller „Die Getriebenen“ offenlegte, was man in kritischen Kreisen bis dato nur zu befürchten wagte, dass der Zustand des permanenten Kontrollverlusts durch dauerhaft offene Grenzen und eine bis heute nicht zurückgenommene Einladung an sämtliche Migranten dieser Welt, nur deshalb zu einem Dauerhaften erwuchs, weil sich unter den verantwortlichen Politkern niemand fand, der den „Buhmann“ spielen wollte, schüttelten nicht wenige zunächst mit dem Kopf. Der große Skandal blieb dennoch aus. Allein die der Kanzlerin unterstellte humanitäre Intention ihrer Entscheidung, der tiefe Glaube, Angela Merkel hätte aus dem Gefühl, das moralisch Gebotene zu tun, gehandelt, rechtfertigt, so scheint es bis heute, jedweden Rechtsbruch. Ob er, wie ursprünglich geplant, nur eine Woche andauert, oder eben seit nun mehr fast zwei Jahren, spielt dabei nicht wirklich eine Rolle. Ob aus Gründen eines etwaigen humanitären Imperativs oder schlicht aus Feigheit, dem nicht vorhandenen Willen, Verantwortung zu übernehmen, genauso wenig. Auch zwei Jahre später nehmen wir Deutschen es da nicht so genau, weshalb Alexanders Zeilen, die jeden Kritiker der Politik Merkels mindestens eine schlaflose Nacht gekostet haben werden, auch nahezu geräuschlos wieder in der Versenkung verschwanden und die CDU in den Umfragen so gut dasteht wie vor der Flüchtlingskrise.
Eine allgemeine Hippie-Attitüde
Wer im Privaten Fünfe nicht grade sein lassen kann, gilt als Spießer und ist es vermutlich auch. Rentner, die am Fenster sitzen und akribisch Falschparker aufschreiben, ziehen dabei genauso wenig die Sympathie ihrer Mitmenschen auf sich, wie der Pfennigfuchser, der genau berechnet, wie oft er von Freunden auf ein Getränk eingeladen wurde und wie oft er selbst eines ausgab. Wer sich im Privaten auf Recht und Ordnung beruft, macht sich nicht selten und in den meisten Fällen auch zurecht lächerlich. Problematisch wird diese Attitüde erst dann, wenn sie sich auf die große Bühne nationaler und internationaler Politik verlagert. Wenn derjenige, der in Bezug auf Asyl und Einwanderung auf die Notwendigkeit der Einhaltung geltenden Rechts verweist, als ebenso großer Spießer gilt, wie derjenige, der Falschparker in einer verkehrsberuhigten Zone aufschreibt. Wenn private Entspanntheit zur allgemeinen Hippie-Attitüde auf der großen politischen Bühne wird, die die von ihr Erfassten darüber hinwegtäuscht, dass die Einhaltung des Rechts und damit ein einheitlicher rechtlicher Rahmen für alle in so essentiellen Fragen wie der des Asyls und der Einwanderung Grundvoraussetzung für den Fortbestand der liberalen Demokratie ist. Dass es hier spätestens seit 2015 nicht um die Ahndung von Falschparkern geht, sondern um staatliche Kernaufgaben wie die Wahrung der territorialen Integrität und Sicherheit.
Jede Party hat ihren Preis
Jede nationale Hippie-Party hat ihren Preis. Das Problem ist, dass sich jener Preis zumeist erst mit einiger Verzögerung zeigt. Wer am Anfang bei falschen Angaben, illegaler Migration und anderen Rechtsbrüchen auch und nicht zuletzt durch die verantwortlichen Politiker unter der Prämisse eines vermeintlich moralischen Imperativs „Fünfe gerade sein lässt“, der mag zunächst sein egoistisches Einzelinteresse nach temporärer „Gerechtigkeit“ stillen, in dem er den vermeintlich Armen und Schwachen dieser Welt zur Hilfe eilt. Indem der Staat Menschen wie die Familie Rana und andere, die nie Anrecht auf Asyl hatten, jedoch im Einklang mit einer gefühligen, moralisch selbstüberhöhten Gesellschaft gewähren lässt und geltendes Recht zunächst nicht konsequent durchsetzt, verschiebt er das Problem lediglich nach hinten.
Fakt ist: Fälle wie der der Familie Rana werden sich im Zuge der Einwanderung von mehr als 1,5 Millionen Menschen häufen. Nicht jeder dieser Fälle kann mit einer Petition und einem Schülervisum wie in diesem Fall gelöst werden. Umso gebotener erscheint es, endlich von einer kopflosen Politik des Gefühls und ihrer anschließenden Symptombekämpfung zu einer Politik des Rechts zurückzukehren, die diese Symptombekämpfung obsolet macht. Die den Weg ebnet für langfristige, gerechte Lösungen durch einen einheitlichen rechtlichen Rahmen für alle und nicht nur temporäre Gerechtigkeit für einige Wenige zu Lasten anderer.