Tichys Einblick
Konsumphilosophie à gogo 11

Plakatwerbung von CDU und SPD – Gesicht und Sicht

Die Verheißungen von Werbung und PR scheinen in Zeiten der Haltlosigkeit die letzte Bastion großer Wertvorstellungen zu sein. Das kann traurig machen ... oder glücklich. Ein tiefer, kurzer Blick lohnt, um dann in die Kleinheit unser aller Leben zurückzusinken.

© John MacDougall/AFP/Getty Images

Machen wir uns nichts vor: Das analytische Pulver ist bereits längst verschossen. Klugen Analysten der Werbewirtschaft und Kommunikationswissenschaft haben ihre profunden Urteile hinsichtlich der Überzeugungskampagnen aller Parteien abgegeben. Die Nihilisten unter ihnen schreiben, dass es sowieso immer schlimmer wird, der Humanist rettet sich an das verheißungsvolle Ufer der Kreativität: Noch nie war Parteienwerbung so professionell und überraschend wie 2017 – den schönen Frauen und Männern der FDP, pardon, der Liberalen, sei dank.

Sie alle haben sich, wenn man so sagen darf, im Jahrhundert verlaufen. Denn unsere Epoche befindet sich (so liest man) in einem rasanten Übergang von einer Schriftkultur in eine Bildkultur (Sie sind also hoffnungslos outdated – wie man so sagt – lieber Leser!). Bilder ließen sich (so liest man) nämlich auf den Smartphones dieser Welt viel schneller „begreifen“ als Schriften. Die von mikroskopisch kleinen Bildchen geschulten jungen Leute werden nach dem Verklingen der Gutenberg-Galaxis, die Welt und ihre Logiken nur noch über Bildwelten verstehen – 76% der sogenannten Millenials nehmen ihre Informationen über das Smartphone auf und das immerhin durchschnittlich 248 Minuten pro Tag. Man wundert sich, dass diese Jahrtausend-Generation überhaupt noch Zeit zum Zähneputzen hat.

Sechs Damen und drei Herren
ARD und ZDF: Schlussrunde
Versierte Kommunikationswissenschaftler haben herausgefunden, dass sich die Anzahl von Bildern in FAZ, Süddeutscher und  WELT seit 1950 vervierfacht habe. Der gute alte Kommunikations-Guru, Marshall McLuhan, machte deutlich, dass erst die Schrift, den homo individualensis geschaffen habe. Zuvor, so McLuhan, lebten nicht-alphabetisierte Gesellschaften im Gleichklang des „akustischen Raums“, der eine emotionale Verbindung schuf und Gemeinschaften stabilisierte.  Die zunehmende Bildkultur wäre nunmehr in der Lage, den Menschen zu „retribalisieren“ und zurück zu seinen emotionalen Wurzeln zu führen. Es entstünde wieder ein Mehr an Gemeinschaft. Der Volksmund bringt das viel klarer auf den Punkt: Ein Bild sagt mehr als 1.000 Worte.
Angela Merkel – Falten als Leistungsbeweise

Was sehen wir also bei der CDU dieser Tage? Angela Merkel transportiert ihre Werbebotschaft „Erfolgreich für Deutschland“. Die neue Generation der Parteienwerbung hat die Quadratur des Kreises realisiert: Die totale Austauschbarkeit des Slogans vereint sich mit der faltenbelassenen Person des Star-Models. Hier sind Allgemeinheit mit höchster Individualität kombiniert. Anders gewendet: Der individuelle Anspruch ist nicht irgendeiner, sondern macht Anstrengung und Aufopferung körperhaft.

"Ich liebe Sie"
Klartext mit Merkel: Wir bilden einen Arbeitskreis
Die nächtelangen Gespräche mit Racep, Alexis und Francois finden ihren leiblichen Widerhall im bildhaften Zulassen der Ermüdung in Form gut sichtbarer Falten. Der damit legitimierte Makel der Merkel ist die Repräsentation, das entscheidende Bild, um in Zeiten der Nachvollziehbarkeit, den tatsächlichen Einsatz für das Land nachprüfbar zu verdeutlichen. Diese Werbung ist Verkörperung einer Versprechung persönlichen Totaleinsatzes. Wo früher Gummistiefel reichten, müssen die tiefen Furchen des Lebens wirken. Die Zeiten werden anspruchsvoller. Auch in der Plakatwerbung.
Martin Schulz – Zu schön, um gut zu sein

Herr Schulz versucht sich ebenfalls als Mensch in das Bild zu rücken, aber der Versuch scheitert. „ES IST ZEIT für mehr Gerechtigkeit“ zapft zwar die Genetik der „guten, alten SPD“ an, verknüpft diese wichtige Aussage aber nicht mit einem abgearbeiteten, sturmgegerbten Gesicht – der Bart verdeckt den Unbill des Kampfes. Zuviel Weichzeichner eines bemühten Bildbearbeiters nehmen dem Gesicht die Mühe und das Engagement. Denn das Gesicht als „Spiegel der Seele“ ist das entscheidende Kommunikationsmittel, dass uns als Individuum in der Welt positioniert. Indem der erfahrene Mann seine Erfolge und Niederlagen sichtbar werden lässt, antizipiert er das Gesehenwerden als standhaftes Subjekt, als reiner Ausgangspunkt bedeutender Handlungen und nicht Inszenierungen – eine vom Blick der Öffentlichkeit unabhängige Souveränität – er wird zum Macher statt zum Gemachten.

So bedienen beide Kandidaten in ihrer Plakatwerbung jeweilig die Austauschbarkeit in der Aussage oder im Bild. Indem sie sich politisch (höchstwahrscheinlich) erneut miteinander verbinden, mag das Manko des einen das des anderen oberflächlich gekonnt neutralisieren. Noch nie waren Werbeplakate – vor allem wenn sie nebeneinander stehen – so wahr.

https://www.buero-fuer-markenentwicklung.com/index.html

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