Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) hat im Zuge der Stärkung der Nato-Ostflanke angekündigt, zwei Bataillone der Bundeswehr zur „Brigade Litauen“ zusammenzulegen und dauerhaft als „Panzerbrigade 42“ im Baltikum zu stationieren. Pistorius nennt diesen jetzt entschiedenen Plan ein „Leuchtturmprojekt der Zeitenwende“. Es geht bei den beiden Bataillonen um das Panzergrenadierbataillon 122 aus Oberviechtach (Kreis Schwandorf, Oberpfalz, Bayern) und das Panzerbataillon 203 aus Augustdorf (Kreis Lippe, NRW). Ausgestattet sind diese Einheiten bislang mit dem Kampfpanzer Leopard 2 sowie dem Schützenpanzer Puma (Augustdorf) und dem Schützenpanzer Puma (Oberviechtach).
Hintergrund: Die Nato wird als Reaktion auf Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine die Zahl ihrer schnell verfügbaren Soldaten vervielfachen. Die Nato-Staaten hatten im Juni 2022 anlässlich ihres Gipfeltreffens in Madrid angekündigt, dass die „Nato Response Force“ (NRF) von etwa 40.000 auf mehr als 300.000 Soldaten erhöht wird. Die Nato-Streitkräfte werden bestimmten Gebieten zugeordnet. Die Bundeswehr war damals schon für Litauen eingeplant.
Wie die Bundeswehr Soldaten „de luxe“ anlocken will
Neben der Schaffung der Infrastruktur vor Ort in Litauen dürfte die Gewinnung der 4.800 „Mann“ eines der Hauptprobleme sein. Das weiß Pistorius. Soldaten einfach versetzen oder abordnen, das scheint in einer Armee, in der längst auch die „Work-Life-Balance“ eingezogen hat, nicht mehr so einfach möglich. Pistorius will denn Soldaten auch mit Prämien und Privilegien für eine dauerhafte, freiwillige Stationierung in Litauen gewinnen. Ein internes Papier skizziert für die Anwerbung ein Motivationsbündel an Auslandszuschlägen, Mietzuschüssen, regelmäßigen Heimfahrten nach Deutschland, Schulgeld, Schulen und Kitas vor Ort sowie Aufstiegsmöglichkeiten und einer Absenkung des Pensionsalters. Aus ersten Entwürfen geht jedenfalls hervor, dass eine Stationierung in Litauen höchst attraktiv wäre.
Die Bundeswehr soll zudem für die Heimaturlaube ihrer Angehörigen aufkommen. Dafür sollen eigene Flugzeuge gechartert werden. Die (Ehe-)Partner der Soldaten sollen ihren Job in Litauen nicht aufgeben müssen. Für sie sollen Büros und W-Lan bereitgestellt werden, damit sie im Homeoffice arbeiten können. Wer sich bereit erklärt, in Litauen seinen Dienst zu leisten, soll zudem mit einem attraktiven Jobangebot für die Zeit danach belohnt werden. Außerdem lockt ein früheres Pensionsalter – und zwar „um das Doppelte der in Litauen geleisteten Dienstzeit“.
Leuchtturm oder nur Leuchtboje? Wenn von einer vollen Einsatzfähigkeit erst in fünf Jahren, also ab 2028, die Rede ist, dann muss man nicht unbedingt von einem Leuchtturmprojekt sprechen. Zudem: Der Schützenpanzer Puma soll in Litauen zum Einsatz kommen. Dabei war es bis zuletzt unsicher, ob die seit Jahren bekannten Probleme mit dem Puma überhaupt jemals behoben sein werden und der Puma nicht doch wieder durch den alten Marder ersetzt werden muss. Der deutsche Marder war jedenfalls noch im Sommer 2023 bei Manövern in Litauen im Einsatz. „Leuchtturm“ sind eigentlich nur die schier söldnerhaften De-luxe-Bedingungen, die nicht überall gut ankommen werden, in der Bevölkerung Litauens nicht und zumal nicht bei Tausenden Soldaten, die zwischen 2001 und 2021 etwa in Afghanistan gedient haben.
Litauens Sorgen
Litauen ist wie seine baltischen Bruderstaaten Estland und Lettland ein militärischer Zwerg. Das Land, in dem rund 2,8 Millionen Menschen leben, ist 65.000 Quadratkilometer groß und damit etwas kleiner als Bayern. Es hat im Süden eine 260 Kilometer lange Grenze zu Russland (der hochgerüsteten Exklave Kaliningrad) und eine 100 Kilometer lange Grenze zum Nato-Partner Polen, im Osten eine 680 Kilometer lange Grenze zu Belarus und im Norden eine 590 Kilometer lange Grenze zum Nato-Partner Lettland. Von der litauischen Hauptstadt Vilnius zur belarussischen Grenze sind es nur 35 Kilometer.
Litauen hatte im 20. Jahrhundert eine sehr wechselvolle Geschichte. 1940 wurde es Sowjetrepublik, im II. Weltkrieg von der Wehrmacht besetzt und von der Roten Armee im Sommer 1944 befreit. 1990 erklärt es im Zuge des Zerfalls der Sowjetunion seine Unabhängigkeit. Spätestens seit der Annexion der Krim durch Russland im März 2014 ist man in Litauen sehr besorgt. 2008 hatte man dort die Wehrpflicht abgeschafft und sie wegen „Krim“ 2015 wieder eingeführt. Die Sorgen Litauens, es könnte den baltischen Ländern gehen wie der Ukraine (Putin-Narrativ von der „russischen Erde“), sind seit dem 24. Februar 2022 stark gewachsen, zumal Gefolgsleute Putins Begehrlichkeiten in Richtung Baltikum signalisierten.
Die Armee Litauens, das 2004 der Nato beitrat, besteht aus 17.000 aktiven Soldaten, 20.000 Reservisten kommen hinzu. Das ist keine Streitmacht, die Russland beeindrucken könnte. Die Nato hat auf die Sorgen der Balten denn auch bereits 2016 reagiert. Es wurde in Litauen die EFP-Battlegroup Lithuania (EFP = Enhanced Forward Presence) als Nato-Kampfverband eingerichtet. Die Aufstellung dieser Nato-Einheit war am 8./9. Juli 2016 auf dem Nato-Gipfeltreffen in Warschau beschlossen worden. Sie ist mit einer Stärke von 1.200 Mann seit August 2017 mit Truppenteilen rotierend aus Belgien, Deutschland, Frankreich, Kroatien, Luxemburg, den Niederlanden und Norwegen kampfbereit vor Ort.