Tichys Einblick
Protestaktion in Chemnitz

„Pflexit“: Wenn Pfleger wegen der Impfpflicht Kliniken und Heime verlassen

Die Politik will Pfleger und Krankenschwestern zermürben. Aber die Impfpflicht für Pfleger und Krankenschwestern verschärft den Pflege-Notstand: Zu denjenigen, die sich aus Furcht vor Nebenwirkungen nicht impfen lassen treten andere, die den Zwang ablehnen. Wir haben mit ihnen gesprochen.

IMAGO / HärtelPRESS

„Urkunde über die Führung der Berufsbezeichnung Krankenschwester“ steht auf einem Papier, es liegt im Dreck, rot durchgestrichen. Was für viele Angestellte des Klinikums Chemnitz einmal ein feierliches Dokument war, scheint nun kaum mehr das Papier wert, auf dem diese Worte stehen. Viele Pfleger, die von ihrem Recht Gebrauch machen, sich nicht impfen zu lassen, müssen mit der nun beschlossenen Impfpflicht damit rechnen, ab März nächsten Jahres keinen Job mehr zu haben. Vor dem Klinikum Chemnitz drücken Pfleger ihre Ohnmacht aus, indem sie ihre Berufsurkunden unter einer Kerze vor den Eingang der Klinik stellen – „Mit jeder Kerze erlischt eine Pflegekraft“ steht da. Es stehen über 100 Kerzen hier am letzten Samstag, dazu Plakate wie „Der Wert eines Menschen hängt nicht von seinem Impfstatus ab“.

Impfpflicht für Pfleger
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Von den rund 2.300 Mitarbeitern im Pflege- und Funktionsdienst der Klinik sind über 150 aktiv gegen die Impfpflicht. TE sprach mit ihnen. Sie berichten von Einsamkeit und Ohnmacht, viele überlegen jetzt, was sie noch tun können: Sich gegen ihre Meinung und gegen ihr Gesundheitsempfinden doch impfen lassen? Sich einen Anwalt nehmen? Unterstützung haben sie kaum: Die Politik hatte für ihren Kampf im Corona-Hotspot nur Worte übrig und Blumen, nie Taten. Die Klinikleitung setzt die Arbeitnehmer in internen Schreiben unter Druck, droht mit dienstrechtlichen Konsequenzen, und selbst die Gewerkschaft kämpft nicht etwa für die Arbeitnehmer, sondern für die Impfung. In einem privaten Facebook-Post fragt der Chemnitzer Verdi-Gewerkschaftssekretär, ob es sich bei den Demonstranten überhaupt um Pflegekräfte handle – „Wenn ja, muss ich an der Kompetenz und Eignung dieser Kollegen zweifeln“. Vielleicht habe man sich bei der Berfuswahl geirrt.

Die Klinikleitung ruft in einem internen Schreiben, das TE vorliegt, sein Personal dazu auf, „seine Leistungsfähigkeit nun diesmal für die Heilung der Ungeimpften unter Beweis zustellen.“ Der Arbeitgeberverband Pflege fordert, den Corona-Bonus nur an geimpfte Pfleger zu zahlen.

Aus Helden wurden Ausgestoßene, in wenigen Wochen. 

Der Wert eines Pflegers scheint für Politik und mediale Öffentlichkeit immer weiter zu sinken. Sie sind austauschbar und werden am Ende ohnehin klein beigeben – meint man. Dass sie wissen, dass es nicht so ist, ist der letzte Trumpf dieser Menschen. Denn ohne Pfleger und Schwestern – so viel ist sicher – läuft hier gar nichts mehr. Der Pflegemangel grassiert seit Jahren, die Lücken werden mit schnell angeworbenen Pflegekräften aus dem Ausland gestopft – oft ohne entsprechende Ausbildung oder Deutschkenntnisse. Manche der Pfleger, mit denen wir hier sprechen, haben mehr als 30 Jahre Berufserfahrung. Die Kliniken können es sich nicht leisten, sie alle zu verlieren. 

Das spürt Italien gerade – dort gilt die Pfleger-Impfpflicht schon. Der Chef der Vereinigung der Krankenhausleiter (ANPO), Giampiero Avrucio schlägt Alarm: “Mit dieser neuen Welle von Krankenhauseinweisungen sind wir am Ende unserer Kräfte. Die paradoxe Situation ist, dass die Entfernung der ungeimpften Kollegen noch stärker auf uns lastet, auf den Menschen, die jeden Tag gegen die Epidemie kämpfen müssen“. Allein am Krankenhaus von Padua, in dem er arbeitet, wurden über 200 Pflegekräfte durch die Impfpflicht suspendiert. Avrucio fordert nun, diese zurückzuholen. 

Dubiose Äußerungen von Klinikchef
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Auch in Deutschland arbeiten die Kliniken an der Belastungsgrenze. Laut Verdi würden durch die Impfpflicht in Nordrhein-Westfalen 2.000 Pfleger das Handtuch werfen. „Diese Menschen verlassen dann ein ohnehin völlig überlastetes System.“, so Jan von Hagen, Gewerkschaftssekretär für die Pflegeberufe, gegenüber Neue Ruhr/Neue Rhein Zeitung. Laut der Deutschen Stiftung Patientenschutz werden sich über 100.000 Altenpfleger auch bei einer Pflicht nicht impfen lassen, rund 200.000 Pflegebedürftige sind damit gefährdet. Mit dem Beschluss der Impfpflicht habe die Politik „die Lunte angezündet“, die Impfpflicht enthalte Sprengstoff. 
„Das ist doch unser Leben, unsere Berufung“ 

Auch der Status Quo führt schon in die Katastrophe – bis 2030 braucht Deutschland zusätzliche 182.000 Arbeitskräfte in der Pflege, um den steigenden Bedarf zu decken, sagt der Pflegereport der Barmer Krankenkasse. Wo die herkommen sollen? Bisher sucht man nach einer Lösung. Weitere Krankenpfleger jetzt loszuwerden ist sicherlich keine. 

Schon 2019 kam ein Text im Ärzteblatt zu dem Schluss: „Eine Umfrage unter Intensivpflegenden zeigt nun, dass sich die Situation in den nächsten Jahren weiter zuspitzen wird. Um den Status der intensivmedizinischen Versorgung zu halten, sind grundlegende Änderungen notwendig.“ Der Normalbetrieb sei in Spitzenzeiten wie der Grippewelle 2017/2018 „häufig nicht mehr aufrechtzuerhalten“. Umfragen unter Pflegepersonal zeigten, dass über 95 Prozent angaben, die Arbeitsbelastung habe in den letzten Jahren deutlich zugenommen und sage und schreibe 37,3 Prozent gaben an, den Beruf in den nächsten fünf Jahren verlassen zu wollen. 

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Die Politik verlässt sich darauf, dass die Pfleger am Ende klein beigeben werden. Sie spekulieren auf die wirtschaftliche Not der Betroffenen, dass sie am Ende einlenken und sich eben einfach impfen lassen werden müssen. In vielen Fällen mag das stimmen. Doch in etlichen auch nicht. Es spielen ohnehin viele mit dem Gedanken, den Beruf an den Nagel zu hängen oder in Frührente zu gehen. „Keiner von uns hätte jemals gedacht, irgendwann nicht mehr in der Pflege tätig sein zu dürfen, das ist doch unser Leben, unsere Berufung“ erzählt eine Pflegerin aus Chemnitz.

Doch dieser Beruf ist nicht mehr das, was er mal war. Vertrauen sei das wichtigste bei dieser Arbeit, erzählt ein anderer. Die Patienten müssen den Pflegern vertrauen, die Pfleger den Ärzten und andersherum. Das ist vorbei:

Ungeimpfte, die sich jetzt schon täglich testen lassen müssen, werden von Ärzten belauert, die ganz genau kontrollieren wollen, dass der Abstrich auch ja ordnungsgemäß erfolgt. Es greift den Berufsethos dieser Menschen an, dass medial behauptet wird, sie seien nicht in der Lage sicherzustellen, dass sie ihre Patienten nicht anstecken. Dabei wurden sie doch genau dafür ausgebildet. Ungeimpfte sollen jetzt als „schlechtes Pflegepersonal“ ausgesondert werden. „Wer hat denn die Patienten in den letzten 2 Jahren versorgt? Nur Geimpfte?“ fragt eine Pflegerin entsetzt. Das alles werde Narben hinterlassen, die nicht heilen werden. Und das spüren auch Pfleger, die sich haben impfen lassen – die ahnen, was auf sie zukommt, wenn sie sich etwa nicht mehr boostern lassen wollen.

Für viele mag diese Stimmung, dieser Vertrauensbruch der Tropfen sein, der das Fass zum überlaufen bringt. 

Das Schlimmste ist die mangelnde Unterstützung, die Hilflosigkeit, erzählt uns eine Schwester. Beim letzten Protestzug vor der Klinik Chemnitz waren weniger Pfleger da als noch vor zwei Wochen. Warum wohl? Aus Angst gesehen zu werden, Angst vor Abstrafung und falscher Verurteilung. Die Polizei bewacht das Krankenhaus vor diesen „Kriminellen“, die verjagt werden und verteilt Bußgelder, nur weil friedliche Menschen eine Kerze abstellen.

Die Mehrheit der Deutschen ist für die einrichtungsbezogene Impfpflicht. Es sind ja nur ein paar Pfleger. Aber die deutschen Pfleger sind nicht hilflos, auch wenn sie sich so fühlen – hilflos sind wir alle, wenn sie gehen. 

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