Einen größeren Gegensatz, ja die Anwesenheit von zwei Welten in einem Raum, kann man sich kaum vorstellen. Gemeint ist der holzgetäfelte Saal eines der obersten bayerischen Gerichte, der Kammer für Wirtschaftsdelikte. Es ist einer der vielen Prozesstage in den 2000er Jahren in der Schadenersatzklage des Münchener Medienunternehmers Leo Kirch gegen den Vorstand der Deutschen Bank. Kirch, einst der im Mediensektor mächtigste Mann Europas – mit 18 TV-Programmen, darunter SAT1, Pro7, Premiere, u.a., einem Netz von eigenen Produktionsfirmen, nahezu 50-Prozent-Anteil an der Axel Springer AG und Besitzer eines der weltgrößten Archive für Filme und Serien, warf Rolf Breuer, dem Vorstandschef des größten deutschen Bankinstituts, vor, durch rufschädigende Äußerungen im amerikanischen Wirtschafts-TV Bloomberg, den Zusammenbruch seines Imperiums verursacht zu haben. Breuer bestritt dies. Schon damals wussten Insider, dass ein Konglomerat aus Politik, vermeintlichen Partnern und Mitbewerbern die Pleite der Kirch-Gruppe aus vorwiegend politischen Motiven organisiert hatten. Immerhin war Kirch für seinen streng konservativen Kurs bekannt, ebenso wie jeder wusste, dass ihn eine enge persönliche Freundschaft mit Bundeskanzler Helmut Kohl verband.
Auf der rechten Seite vom Richtertisch saßen die Vertreter der Star-Anwaltskanzlei Hengelen & Müller aus Düsseldorf, vor ihnen die Top-Manager ihres Mandanten aus Frankfurt. Allesamt in feinste Kiton-Anzüge gekleidet, um die Handgelenke gut sichtbar die Spitzenprodukte der Schweizer Uhrenindustrie, aus den Brusttaschen ihrer Anzüge ragten die feingefalteten Seidentücher – Ton in Ton mit der Krawatte – hervor. Auffällig war nur die ostentative Haltung Rolf Breuers. Mit geradem Oberkörper, den Kopf aufrecht haltend und die Arme die ganze Zeit über der Brust verschränkend, die wulstigen Lippen noch mehr als sonst herausgepresst, schon durch die Mimik seine ganze Verachtung für dieses aus seiner Sicht wohl nicht standesgemäße Gericht und den noch niedrigeren Gegner ausdrückend – kurzum, eine ganze Armada von Kriegern der Rechtszunft war da angetreten.
Wie gesagt, besser kann man entgegengesetzte Welten nicht erleben. Als einige Zeit später einer der Breuer-Anwälte einen Zeugen präsentieren wollte, der ein Kirch belastendes Statement in Englisch vortragen wollte, schoss Gauweilers Arm nach oben. Nachdem der Richter ihm das Wort erteilt hatte, bemerkte der geborene Münchner, es hat sich vielleicht noch nicht bis Frankfurt herumgesprochen, aber die Sprache vor deutschen Gerichten sei immer noch Deutsch. Fassungslose Gesichter auf der Gegenseite als der Richter leicht schmunzelnd beschied: „Der Kollege Gauweiler hat Recht, und bedenken Sie bitte, die Übersetzung bedarf der Beglaubigung durch einen Gutachter.“ Betretene Mienen im Breuer-Flügel.
Apropos Kirch-Prozess. In der Stunde, als die Entscheidung anstand, gegen die mächtige Deutsche Bank zu klagen, fand sich keine einzige der von Kirch über die Jahrzehnte hochgezahlten Anwaltskanzleien der Bundesrepublik bereit, Kirch beizustehen. Offen erklärten ihm selbst „alte Freunde“, dass sie sich nicht mit der Deutschen Bank anlegen könnten. Diese selbst, aber auch viele ihrer sonstigen Mandanten, seien Partner des Geldhauses. In Kirchs verbliebenem Hauptquartier, der Münchner Kardinal-Faulhaber-Straße, überlegte man schon, ob man nicht eine amerikanische Sozietät beauftragen solle. Kirch sträubte sich energisch dagegen und sagte in einer Runde: „Mir fällt nur noch ein Name ein – Peter Gauweiler.“ Eine Stunde später saß der Anwalt vor ihm, und die Schlacht konnte beginnen. Die führenden Kreise der Republik waren sich einig, das wird ein Rohrkrepierer. Kirch, der Pleitier, werde in diesem Prozess ein zweites Mal vernichtet. Doch wie heißt es so schön: „Erstens kommt es anders, und zweitens als man denkt“. Nach über zehn Jahren voller Teilerfolge und Niederlagen musste der Chefbuchhalter der Deutschen Bank einen Scheck über eine Milliarde Euro austeilen. Erstritten hatte sie durch seine Beharrlichkeit und seinen Kampfgeist Peter Gauweiler. Leo Kirch hat diesen Tag nicht mehr erlebt. Im Juli 2011 hatte ihn der Herrgott abberufen.
Nach einer Zeit als bayerischer Umweltminister wechselte der fast Berufspolitiker in den Deutschen Bundestag – wie immer direkt gewählt. Dort geriet er mit seinen Ansichten zum Europa-Kurs insbesondere in Fragen des Euro schnell in Konflikt mit seiner Partei. Als er sich gemeinsam mit anderen entschloss, entsprechende Klagen beim Bundesverfassungsgericht einzureichen, legte er sein Mandat im Berliner Reichtstag nieder.
Kein Wunder, dass Gauweilers Kanzlei einen weltweit herausragenden Ruf genießt. Seine Mandanten, über die er niemals spricht, gehören zu den internationalen Führungseliten aus Politik, Wirtschaft und Showbiz. Der Multi-Milliardär Baron von Fink ist nur einer davon und Honorare in auch zweistelliger Millionenhöhe sind in der Oberliga üblich. Nur in Deutschland, dem Land des Neides und der Missgunst, ist man darüber empört. Nur, wer die Gauweilers nicht mehr haben will, muss mit dem Mittelmaß leben. Was dabei herauskommt, kann man derzeit in Berlin erleben.