Tichys Einblick
Zeugnis für die Kindergrundsicherung

Lisa Paus und die Ampel waren stets bemüht

Die Sozialverbände gehören zu den treuesten Verbündeten von Rot-Grün. Doch selbst sie zerpflücken die geplante Kindergrundsicherung. Nur die gute Absicht halten sie der Regierung zugute.

Hubertus Heil (SPD), Lisa Paus (Grüne), Christian Lindner (FDP), Pressekonferenz zur Kindergrundsicherung, Berlin, 28. August 2023

IMAGO / IPON

Arbeitgeber sollen im Zeugnis sagen, was für ein Arbeitnehmer sie da verlässt. Aber: „Er war ein fauler Trottel“, dürfen sie nicht schreiben. Der Text soll positiv sein. Also helfen sie sich mit Formulierungen aus, die positiv klingen, anderen Arbeitgebern aber anzeigen, dass da ein fauler Trottel auf sie zukommt. Die berühmteste davon: „Er war stets bemüht.“ Wer das auf seinem Zeugnis liest, sollte nochmal in sich gehen – oder zum Anwalt.

Verschiedene Verbände haben zur geplanten Kindergrundsicherung Stellungnahmen abgegeben. Daher kommt der Paritätische Wohlfahrtsverband zu dem Ergebnis: „Der Paritätische begrüßt, dass sich die Bundesregierung im Koalitionsvertrag den Kampf gegen Kinderarmut und die Reform des Systems der finanziellen Absicherung von Kindern und Jugendlichen zur Aufgabe gemacht hat.“ Also die Idee findet der Verband gut. Doch in der Bewertung wird der Verband deutlicher, als es Arbeitnehmer in Zeugnissen sein dürfen: „Von einem echten Systemwechsel im Bereich der Familienförderung ist Deutschland daher noch immer weit entfernt.“

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Grüne Ministerin Lisa Paus schweigt zu peinlichen Details
Die Verbände fordern zum einen mehr Geld. Das ist wenig überraschend, das würden sie auch tun, wenn der Sozialetat bei 230 Prozent der Steuereinnahmen angekommen wäre. Zum anderen kritisieren sie aber auch die Umsetzung der Kindergrundsicherung durch die zuständige Familienministerin Lisa Paus (Grüne).

Der Sozialverband Deutschland begrüßt zum Beispiel, „dass nach monatelangem Ringen um die Kindergrundsicherung eine Einigung gefunden wurde“ – stets bemüht und so. „Vom Ergebnis sind wir dennoch enttäuscht“, attestiert der Sozialverband. Eine Kritik lautet: Der bisherige Entwurf sei zu wenig konkret. Außer einem Internetportal, das erst 2029 an den Start gehen soll, stehe wenig Konkretes in dem Entwurf, kommentiert der Sozialverband.

Ein anderer Kritikpunkt ist der hohe Verwaltungsaufwand, mit dem Paus die Kindergrundsicherung versehen hat. Ursprünglich war die Idee, dass das Gesetz Bürokratie abbaut. Nun entstehen zusätzliche Verwaltungskosten von 500 Millionen Euro. Das sei ein „schlechtes Verhältnis“, attestiert der Sozialverband. Denn gerade mal 1880 Millionen Euro stellt der Bund für zusätzliche Zahlungen an die Eltern bereit. Von fünf Euro gehen nicht mal vier Euro an die Familien – mehr als ein Euro versackt in der Verwaltung.

Ein Beispiel dafür, wie Paus mit ihrem Versprechen gescheitert ist, die Bürokratie abzubauen, ist das „Teilhabepaket“. Das Paket sieht Geld für den Besuch von Museen oder den Kauf von Büchern vor – damit das staatliche Geld für Kinder nicht für Kippen oder Sky-Abos draufgeht. Paus besteht weiter auf eine Nachweispflicht, der Sozialverband sähe das Geld gerne pauschal an die Eltern ausgezahlt. Paus vermeidet damit Missbrauch – hält aber auch den bürokratischen Aufwand hoch. Allerdings lässt sich hier noch ein Sinn erkennen, das gilt nicht für das nächste Beispiel:

Auch der „Kindergrundsicherungscheck“ wird für zusätzlichen Aufwand in der Verwaltung sorgen. Der Check soll laut Sozialverband ermitteln, ob Kinder Anspruch auf mehr Geld haben. Das Ergebnis, so kritisiert der Verband, dient aber nur der Beratung. Das eigentliche Antragsverfahren starte dann erst, ohne dass die Beamten die im Check mühsam ermittelten Ergebnisse berücksichtigen dürften. Reinhard Meys Parodie auf den „Antrag auf Erteilung eines Antragformulars…“ macht Paus zur Realität in deutschen Amtsstuben.

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Die Agentur für Arbeit zweifelt an der Kindergrundsicherung
Ebenfalls zum Bürokratieabbau sollte führen, dass alle staatlichen Leistungen für Kinder nun bei der Familienkasse gebündelt werden. Die untersteht der Agentur für Arbeit. Doch die Ampel werde dieses Versprechen nicht einhalten, beklagt der Sozialverband Deutschland. Gerade Familien in einer ohnehin komplizierten Antragslage müssten weiter zusätzlich zum Jobcenter. Obendrein kommen manche Zahlungen für kulturelle Dienste vom Bund, andere von den Ländern. Die Frage, woher welches Geld kommt, bleibt also kompliziert.

Dann soll die Kindergrundsicherung Kinder aus Armut holen. Doch nicht nur, dass mehr als jeder fünfte Euro in der Verwaltung versackt. Der steuerliche Kinderfreibetrag bevorteile Familien mit einem hohen Einkommen, kritisiert der Sozialverband Deutschland. Familien mit niedrigen Einkommen würden nicht mal annähernd so viel Geld erhalten. „Scharfe Kritik“ kommt für diese Entscheidung auch vom Paritätischen Wohlfahrtsverband.

Die AWO – Fleisch aus dem Fleisch der SPD – kritisiert gar: „Aus Sicht der AWO gibt es mit dem vorgelegten Entwurf keine echte Kindergrundsicherung.“ Die Ampel würde die Zahlungen an Familien gar nicht erhöhen. Die zusätzlichen 1,9 Milliarden Euro stellten lediglich einen Inflationsausgleich dar, zu dem die Bundesregierung ohnehin gesetzlich verpflichtet sei. Auch gebe es nicht wirklich ein automatisiertes Antragsverfahren oder eine Zusammenführung der wesentlichen Zahlungen.

Der Paritätische teilt die Kritik der AWO: „Die bestehenden Leistungen werden nicht angehoben.“ An der einen Stelle würde die Ampel zwar Zahlungen erhöhen, um sie dann an anderer Stelle wieder zu kürzen: „Ohne höhere Leistungen bleiben arme Kinder arme Kinder.“ Zudem stört sich der Paritätische daran, „dass zahlreiche Kinder und Jugendliche aus der Kindergrundsicherung ausgeschlossen sind“. Das gelte für Geflüchtete und Kinder in Haushalten mit prekären Aufenthaltsrechten.

Nun können die Ausgaben fürs Soziale aus Sicht der Sozialverbände nie hoch genug sein. Der „Bundesverband Die Arbeitgeber“ sieht das anders: Die geplante Kindergrundsicherung schaffe keine Anreize für die Eltern zu arbeiten. Da auch nicht arbeitende Menschen mit Vermögen die Zusatzbeiträge erhalten, verabschiede sich der Staat vom Bedürftigkeitsprinzip – auf Kosten der Menschen, die das Geld mit ihrer Arbeit erwirtschaften.

Genau wie die Sozialverbände kritisieren die Arbeitgeber, dass Paus das Ziel der automatisierten Auszahlung nicht umsetzt. Es seien weiterhin Anträge mit entsprechenden Bearbeitungszeiten nötig. Die Pläne seien „ambitioniert“, würden aber verfehlt, bemängeln die Arbeitgeber. Mit anderen Worten: Paus und die Ampel waren stets bemüht.

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