Tichys Einblick
Deutliche Warnung für Aufmerksame

Der Parteitag der gefühlten Sieger

Die Inszenierung eines Jubelparteitages, eines Parteitages der gefühlten Sieger, kann doch nicht ganz das Stück verstecken, das aufgeführt werden würde, wenn die Grünen im Herbst in die Regierung kommen. Insofern war der Parteitag lehrreich.

IMAGO / photothek

Mediale Inszenierung und Realität müssen nicht immer übereinstimmen. Auch das Pfeifen im Wald kann man – medial verstärkt und als close up aufgenommen – als Aufbruchssignal verstehen. Jetzt müssen die Grüne nur noch die kleine Formalität erledigen und haushoch die Wahl gewinnen, dann können sie die große Transformation, die unter Angela Merkel bereits im Gange ist, beschleunigen, weil sie ihnen viel zu langsam voran geht. Was früher Kommunismus hieß, nennen die Grünen Klimaneutralität, die neue, sehr alte Weltbeglückung heißt: klimaneutraler Wohlstand, worunter sie verstehen, den Bürgern den Lebensstil vorzuschreiben, ihnen zu diktieren, wie sie zu leben, wie sie sich fortzubewegen haben, wohin sie reisen dürfen, was sie essen und was sie trinken, wie sie zu denken und wie sie sich sprachlich auszudrücken haben.

Habecks Parteitagsrede:
Die Ökodiktatur als höchstzumutbare Form von Freiheit
Auf ihrem Parteitag haben die Grünen das Wahlprogramm mit 98 % der Stimmen der Delegierten angenommen, das ich im Wesentlichen auf TE bereits analysiert habe. Im Vorfeld gab es eine Flut von Anträgen, die das Wahlprogramm deutlich nach links verschieben wollten. Das reicht bis zu dem Antrag, aus dem Titel: „Deutschland. Alles ist drin“ das Wort Deutschland zu streichen. Die Antragsteller sehen in jedem, der unser Land Deutschland und sich selbst einen Deutschen nennt, einen potentiellen Anhänger der AfD, schließlich denke man bei dem Begriff „Deutschland“ an „eine nationalistische Politik“ und fühle sich an die AfD erinnert, außerdem, begründete ein anderer Antragsteller seine Forderung, den Begriff Deutschland aus der Überschrift des Wahlprogramms zu streichen, mit den Worten: „Im Mittelpunkt unserer Politik steht der Mensch in seiner Würde und Freiheit. Und nicht Deutschland“. Damit hat er eigentlich Recht, denn im Mittelpunkt der Politik der Grünen steht wirklich nicht Deutschland, sondern „das beste aus aller Welt“ (Baerbock). Es ist also nicht etwa so, dass die Grünen antideutsche Ressentiments abgelegt hätten, sie haben nur begriffen – oder jemand hat es ihnen erklärt – , dass man schlecht Deutschland aus dem Wahlprogramm streichen kann, wenn man Deutschland regieren will. Wenn man erst einmal an der Macht ist, kann man ja Deutschland von Tag zu Tag stärker reduzieren, bis von Deutschland nichts mehr übrig ist als ein Siedlungsgebiet „für das beste aus aller Welt“. Auch die Antragsteller scheinen, das schließlich verstanden zu haben, und zogen es deshalb wohl aus wahltaktischen Gründen vor, ihren Antrag zurückzuziehen.

Andere Anträge, wie die sogenannte Reichensteuer, die bisher bei 45 % steht, auf 53 % zu erhöhen, wurden abgelehnt. Man gibt sich erst mal bescheiden mit einer Erhöhung auf 48 % zufrieden. Ab 2030 wollen die Grünen mittels Bürgerausplünderungssteuer den CO2-Preis auf 60 Euro pro Tonne erhöhen, ein Antrag, der eine größere Erhöhung vorsah, kam nicht durch, wie auch die Forderung, die Geschwindigkeit auf Landstraßen auf 70 kmh zu begrenzen. Dass der Antrag scheiterte, war – wie bei anderen Änderungsanträgen – wahltaktischen Motiven geschuldet. Kommen die Grünen an die Macht, werden sie dieserart Änderungsanträge zur Grundlage ihres Regierungshandelns machen. Man will nur vor der Bundestagswahl keine potentiellen Wähler verprellen. So wollte die Grüne Jugend die „Vergesellschaftung der Bestände großer Wohnungskonzerne“ ins Wahlprogramm aufnehmen, wurde aber vom Wohnungsmarktexperten der Grünen, Chris Kühn, darüber belehrt, dass sie mit „Vergesellschaftung … Enteignungen“ meinen. „Wir sollten es unseren Gegnern nicht zu einfach machen. Lasst sie uns stellen und ihnen keine Steilvorlage geben.“ Reden wir nicht jetzt über Enteignungen, sondern führen wir sie durch, wenn wir die Macht dazu haben. So viel zum Thema grüne Ehrlichkeit.

Interessant ist auch das Argument, das den Antrag, den Mindestlohn statt auf 12 auf 13 Euro zu erhöhen, zu Fall brachte. Der Bundesgeschäftsführer Michael Kellner argumentierte ebenfalls rein wahltaktisch: „Wir sind uns einig, der Mindestlohn muss dringend erhöht werden.“ Schließlich habe man das mit den Gewerkschaften beschlossen. „Jetzt einfach 13 Euro in das Wahlprogramm zu schreiben, macht das Leben für niemanden besser. Aber es schwächt unsere breite Allianz mit den Gewerkschaften.“

So kommentiert der Parlamentarische Geschäftsführer der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Stefan Müller, dem Portal t-online gegenüber den Parteitag zurecht so: „Dieser Parteitag zeigt endgültig: Die Grünen wollen Deutschland täuschen“. Er kommt zu dem Schluss: „Weichgespülte Formulierungen und eine sympathieheischende Frontfrau können nicht darüber hinwegtäuschen, dass ihr Programm nur der altbekannte linke Mix von Umverteilung, umfassender staatlicher Lenkung und moralisierender Besserwisserei ist.“. Für den Arbeitgeber-Präsident Rainer Dulger ist das Wahlprogramm der Grünen ein „wildes Sammelsurium aus höheren Steuern, zusätzlichen Regulierungen, mehr Abgaben“ Es würde nur Barrieren errichten und für mehr Belastungen sorgen, aber nicht für „Dynamik und Beschäftigung.“ Auch der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD im deutschen Bundestag, Achim Post, kommt zu einer kritischen Einschätzung: „In puncto Finanzierung dominiert aber bei den Grünen statt Realismus das Prinzip Hoffnung.“ Finanzpolitisch sei das Wahlprogramm der Grünen eine Mogelpackung.

Wenn man also wissen will, was die Grünen wirklich wollen, sollte man sich nicht auf das Wahlprogramm allein verlassen, sondern sich auch den Komplex der Änderungsanträge anschauen, denn erstes gilt vor der Wahl, zweiter nach der Wahl.

In einer schwarz-grünen Koalition wären die Änderungsanträge zwar vom Tisch, nicht aber das Wahlprogramm, das die Grünen wahrscheinlich zu großen Teilen umsetzen können, ist die CDU-geführte Bundesregierung in den letzten Jahren bereits in der Wirtschaftspolitik, in der Klimapolitik, in der Migrationspolitik, in der inneren und äußeren Sicherheit den Grünen erstaunlich weit entgegen gekommen, im Grunde ist sie ihnen gefolgt, langsamer allerdings, als die Grünen es wünschen.
Die Grünen wollen die enormen Ausgaben über Schulden und natürlich über die Erhöhung der Steuern und Abgaben finanzieren. Sie greifen dem Bürger tief in die Tasche, um mittels Verteilung des zuvor dem Bürger abgenommen Geldes die Richtung, die Art, wie die Bürger ihr Leben leben, zu bestimmen. Hinter all den wohltönenden Worten versteckt sich ein moralischer Totalitarismus.

Ein "Pakt" mit der deutschen Industrie
Annalena Baerbocks Absage an die Marktwirtschaft und Deutschland
Wichtig ist der Hinweis auf den Zusammenhang von Wahlprogramm und Änderungsanträgen vor allem deshalb, weil die Grünen von anderen Parteien im hohen moralischen Diskant einfordern, was sie selbst nicht im geringsten erfüllen, schließlich sind sie die Partei der Bessermenschen. Die Grundlage des grünen Selbstverständnisses lautet deshalb Doppelmoral. So sagte Baden-Württembergs grüner Ministerpräsident, Winfried Kretschmann: „Da werden Ungenauigkeiten im Lebenslauf von Annalena aufgebauscht, Versäumnisse bei der Meldung von Einkünften als Bundesvorsitzende zur Staatsaffäre erklärt und die Zahl der Änderungsanträge bei unserem Parteitag in die Nähe eines Misstrauensvotums gerückt.“ Man muss mehr als einen Grundkurs in maoistischer Dialektik und in der Theorie des Klassenkampfes besucht haben, um die Kritik an einem Lebenslauf, von dem einem das Gefühl beschleicht, dass bis auf das Geburtsdatum nicht viel übrig geblieben ist, vor allem, was Ausbildung und Qualifikation betriff, als „Ungenauigkeiten“ herunterzuspielen. Das ist schon dreist. Wenn Winfried Kretschmann diese Standards generell an Lebensläufe anlegt, dann sollte man sich in Baden-Württemberg große Sorgen um das Land machen, nämlich um die Grundsätze von Kretschmanns Personalpolitik. Dann spielen Qualität, Qualifikation, Seriosität und Ehrlichkeit keine Rolle, dann geht es einzig um den richtigen Parteiausweis. Das nennt man übrigens Kaderpolitik.

Noch im März hatte Annalena Baerbock den Zeigefinger weit in den Himmel gehoben: „Generell muss an der Haltung, wie man eigentlich mit Transparenz, wie man eigentlich mit einem Mandat und Nebeneinkünften umgehen muss, dringend, dringend was geändert werden, weil es geht eben nicht nur um das Vertrauen in die Union, sondern auch in den Parlamentarismus, in die Demokratie in Gänze verloren.“

Annalena Baerbock beim Wort zu nehmen, ist für Winfried Kretschmann der „schäbige“ Versuch, „Versäumnisse bei der Meldung von Einkünften als Bundesvorsitzende zur Staatsaffäre“ zu erklären. Das hat niemand gemacht. Annalena Baerbock wurde lediglich an den Maßstäben gemessen, die sie selbst erstens verkündet und zweitens an politische Mitbewerber anderer Parteien anlegt. Gedanklich scheint Winfried Kretschmann wieder in das Denkschema seiner Jugend zurückgekehrt zu sein, wenn er Kritik an den Grünen, wenn er die Benennung von Tatsachen als „schäbig“ diffamiert – das ist in Wahrheit „schäbig“.

Und weil die Grünen nicht einzusehen vermögen, dass für sie die selben Maßstäbe gelten wie für den Rest der Republik, sind Baerbocks „Ungenauigkeiten“ und Baerbocks „Versäumnisse“ nicht vom Tisch, weil die Doppelmoral, die die Grünen an den Tag legen, nicht vom Tisch ist. Die Inszenierung eines Jubelparteitages, eines Parteitages der gefühlten Sieger kann doch nicht ganz das Stück verstecken, das aufgeführt werden würde, wenn die Grünen im Herbst in die Regierung kommen. Insofern war der Parteitag lehrreich.


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