Tichys Einblick
Ein persönliches Stimmungsbild

Die AfD ist für immer mehr Migranten das kleinere Übel

Wie und warum die etablierten Parteien mit ihrem jahrelang bewährten Ausgrenzungs- und Diffamierungsvokabular nunmehr an ihre Grenzen gekommen sind, erklärt Selma Duman.

Symbolbild

IMAGO / Bettina Strenske

Die AfD legt zu. Wir lesen es überall und so langsam wird auch dem letzten bewusst, dass es nicht nur am „Osten“ Deutschlands liegt, dass die AfD bereits die 20-Prozent-Marke geknackt hat und somit vor allen anderen Parteien in Umfragen zweit- oder drittstärkste Partei neben CDU und SPD ist.

Zwanzig Prozent. Das ist für eine Partei generell ein sehr hoher Wert. Ich weiß nicht, wann die Linke überhaupt jemals solche Zahlen aufweisen konnte. Rechts ist eben nicht links. Wenn ich mir Alice Weidel und Sahra Wagenknecht so anschaue, sehe und nehme ich zwar viele Unterschiede wahr. Aber die Themen, auf die es ankommt, bedienen diese zwei Frauen gleichermaßen – wenn auch mit anderem Vokabular.

Mit Wagenknechts Art und Weise sympathisiere ich zwar mehr, aber wahrscheinlich liegt es auch daran, dass ich ihr mehr misstraue als Weidel. Denn bei Sarah Wagenknecht vergesse ich oft bei den Dingen, die sie sagt, wessen Geistes Kind sie ist. Da lässt mich das Gefühl nicht los, dass es am Ende eine ähnliche Reise werden könnte wie mit der CDU, die ohne Zweifel jetzt grün ist. Bei Wagenknecht überblendet man gerne mal, bei all dem was sie so rhetorisch klug und präzise auf den Punkt bringt, was sie für mich politisch sehr verführerisch macht, dass sie eine von den Linken ist. Da lässt mich das Gefühl von der Alpha-Wölfin im Schafpelz nicht ganz los.

Bei Weidel hingegen weiß man, wessen Geistes Kind sie ist. Auch wenn sie mir zu harsch ist. Sie erinnert mich mit ihrer Strenge und ihrem Auftreten an meine alte Ballett-Lehrerin, die alles andere als nett und sympathisch war. Ich halte sie dafür aber für transparenter, wenn nicht sogar für authentischer.

Ich mag es, dass sie eine „Power-Lesbe“ ist. Den alten weißen Männern in ihrer Partei zeigt, wo es lang geht. Führt sie sogar an. Da ist ein sehr starker Flow, der von ihr ausgeht und manchmal würde ich gerne mal mit ihr einen Kaffee trinken, um zu schauen, ob sie wirklich so eine Kratzbürste ist, wie sie einem manchmal erscheint. Wagenknecht lässt es sanfter anmuten. Aber genau das ist der Punkt. Da ist etwas in mir, das ihr unbedingt glauben möchte, dass sie es wirklich so meint, wie sie sagt. Da ist mehr der Wunsch Vater des Gedankens. Aber dafür das Kreuzchen bei den Linken setzen? Das ist mir zu riskant. Nicht mal ihre eigene Partei traut ihr über den Weg. Ich bin da Pragmatikerin. Aber anscheinend geht es da vielen ziemlich ähnlich. 20 Prozent AfD, 5 Prozent Linke. Hier ist offenbar längst die Runde an die AfD gegangen.

Aber wir sind es ja auch gewohnt, dass selbst objektive Zahlen schlecht sind und ihre naturgegebenene Neutralität komplett verschwindet, wenn sie mit der AfD zusammenhängen, weil die Leitmedien das so wollen.

Das ändert aber nichts an dem dem Wert, den diese Zahlen ausdrücken und bedeuten. Das wissen auch die Medien, versuchen es aber trotzdem noch – so gut es geht – umzudeuten. Das Narrativ immer wieder in dieselbe Richtung zu lenken.

Die Bürger der deutschen Bevölkerung würden die AfD nicht wählen, weil sie sie gut oder überzeugend finden, sondern weil die anderen Parteien ihren Job nicht gut machen, und ihnen deswegen einen Denkzettel verpassen wollen. Das mag zu gewissen Anteilen zutreffen. Aber so kommen keine zwanzig Prozent zustande.

Da dieses Narrativ mehr als fragil ist, und das auch den Medien, die es verwenden, bewusst ist, kommt dann immer der Klassiker: die AfD werde vorrangig von den (bösen) Menschen im Osten Deutschlands gewählt. Also von Menschen aus „Dunkeldeutschland“. Ist ja klar, dass nur dort solche teuflischen Wahlen getätigt werden.

Laut bpb beträgt der prozentuale Anteil der Bevölkerung von Ostdeutschland 19,5%. Das würde dann bedeuten das ausnahmslos jeder einzelne in Ostdeutschland zu Wahl ginge und die AfD wählt.

Denn ein aufgeklärter ordentlicher Wessi würde doch niemals die AfD wählen, oder?

Doch, das würde er. Und dafür muss er nicht einmal ostdeutscher Nazi in Springerstiefeln sein. Nein, jemandh, der heute AfD sofort wählen würde, wenn er könnte, bin auch ich. Eine hier in Deutschland geborene junge Türkin und, wenn man so will, Muslimin mit Verwandten in Anatolien – also mit einem echten Migrationshintergrund, der immer wieder auch zum Vordergrund wird, weil ich gute Kontakte in das Heimatland meiner Familie habe und oft dort bin.

Ich bin keine Denkzettelverpasserin. Dafür bin ich viel zu besonnen. Rache liegt mir nicht. Allein dieser Ansatz zu behaupten, dass die Wähler der Politik einen Denkzettel verpassen wollten und deswegen AfD wählten, zeugt von dem infantilen Geist unserer Medienvertreter, aber auch der Regierenden, die eben durch das Horn der Medien unverblümt blasen dürfen. Mich stört vor allem, dass dieses Denkzettelnarrativ den etablierten Parteien unterstellt, dass da irgendeiner mitdenkt.

Darüber hinaus werden die AfD-Wähler dargestellt wie kleine trotzige dumme Kinder, die riskieren, sich selbst zu schaden, nur um denen da oben eins auszuwischen. Das machen Kinder im Trotzalter von Helikoptereltern. Aber nicht alle Kinder trotzen. Vor allem nicht diejenigen, bei denen das angeborene Gen nach Autonomie nicht unterdrückt wird. Aber so ähnlich verhält sich offenbar das Verhältnis zwischen unserem Staat und seiner Bevölkerung. Nur, dass es der Staat ist, der denkt, er sei Mama und Papa und der uns nicht als erwachsene Menschen betrachten will oder kann. Weil er selbst noch zu sehr trotziges Kind ist, um zu verstehen, was Autonomie bedeutet, und meint, uns bevormunden zu müssen.

Das tut er seit langem, aber dennoch sehe ich mich nicht als eines seiner Kinder, die er schlecht oder gut behandelt. Höchstens das adoptierte Prestige-Kind, für das sich in Wirklichkeit keiner interessiert, aber das gut ist für die Selbstdarstellung.

Von meiner Seite aus ist da kein Gefühl in mir dem Staat gegenüber, dass er sich so sehnlichst wünscht. Manchmal kommt nur ein undefinierter Impuls, der nur noch Kopfschütteln auslöst und sich einfach jenen zuwenden will, von denen man sich voll und ernstgenommen fühlt. Und während der Corona-Zeit war da öfter dieser Ekel in mir, als der Staat versuchte zu zeigen, wie wichtig ich für ihn bin, dass er sich um mich sorgt und mich nur deswegen sinnlos zuhause einsperren wollte – und mich nur deswegen zwang, mich impfen zu lassen.

Bei Sätzen wie „Impfen ist Liebe“ wollte ich nur noch im Kreis kotzen. Aber selbst da zog ich mich einfach zurück und lebte einfach mein Leben, so gut es ging, weiter. Begab mich nur noch in Kreise, in denen keiner danach fragte, ob ich denn auch geimpft sei. Vor allem Kreise, denen es tatsächlich egal war, ob ich es war oder nicht. Und hier muss ich sagen, es waren überwiegend Menschen mit Migrationshintergrund, die nicht geimpft waren und sind, und eben diese, die niemals auf die Idee gekommen wären, mich ausschließen, weil ich es nicht bin. „Hilfsangebote“ in Form von helfenden Ärzten kamen ganz unverblümt aus dem Kiosk nebenan. Die meisten standen offen dazu, dass sie es nicht wollten und eben deswegen auch nicht zuließen. Sie fürchteten insofern keinen gesellschaftlichen Ausschluss, weil sie sich zumeist nicht als ein Teil der Gesellschaft gesehen haben, welche zu dieser Zeit komplett frei drehte. Und danach erst recht keines mehr sein wollten.

Sie können sich sicher vorstellen, dass ich in dieser Zeit mehr als froh war, wenigstens in den Parallelgesellschaften auch als Ungeimpfter weiterhin als Mensch zu gelten – im Gegensatz zu der deutschen Gesellschaft, die mich mit meinem Impfstatus als Aussätzige und als Abschaum behandelt hat – was es in all den Jahren zuvor in dieser Form noch nie gegeben hatte.

Im Februar 2023 bekam ich das erste mal Corona und glaube nun zu wissen, was eine echte Männergrippe ist. Ganze drei Tage schaffte ich es kaum, ohne Ibuprofen 800 über die Runden zu kommen. Danach hatte ich etwa zwei Wochen eine Art Erschöpfungsyndrom. Ich verharmlose nicht. Aber der Psychoterror, den der Staat in dieser Zeit mit uns abzog, ist für mich im Verhältnis definitiv schlimmer gewesen. Seitdem gibt es für mich keinen Funken Vertrauen mehr in diesen Apparat.

Zu dieser Zeit hat „Der Staat” gezeigt, was er kann und vor allem was nicht. Entpuppte sich als toxischer Big Brother.

Aber zusammenhaltende Migranten, die dieser Staat selbst tagtäglich ins Land ruft und hereinlässt, können wirklich mehr. Das zeigen uns die Clans, und glauben sie mir, diese sind effizienter, als es der Staat jemals zu träumen wagen würde.

Da müssen Sie sich vor Altersarmut keine Sorgen machen. Darauf würde ich Brief und Siegel geben. Das ist eine Tatsache. Und der einzige Grund, weshalb ich die AfD nicht wählen würde. Ohne Migranten gäbe es keinen Schutz vor dem Staat für mich. In der Hinsicht bin ich privilegiert. Profitiere ausnahmsweise wirklich mal von meiner Herkunft auf eine Weise, die mehr ist als ein glitzerndes Diversitäts-Emblem, was keiner braucht. Schutz braucht man. Und leider braucht es mittlerweile Schutz vor diesem verrückt gewordenen Staat.

Wie gesagt: für Rache bin ich viel zu besonnen und mir viel zu schade. Ich glaube an Karma und nehme jede noch so harte Retourkutsche mit einem lächelnden und weinenden Auge auf.

Doch ab und an frage ich mich: Was denken diese Politiker, die sich selbst einreden, dass die AfD eben nur deswegen erstarkt sei?
Wie verblendet muss man sein, um das selbst zu glauben. Ist es so abwegig, dass die AfD bisher einen guten Job gemacht hat?

Denn jedesmal wenn ich mich vor allem während der Corona-Panik fragte „wie kann das sein, wir haben doch ein Grundgesetz?!“ – folgte eine direkte Anfrage der AfD im Bezug auf diese Themen. Da war ein Hauch von Hoffnung, wenn sich zumindest diese eine Partei klar erkennbar gegen die Menschenrechtsverletzungen unseres Staates stellte. Dafür war ich dankbar.

Selbstverständlich liegt es auch daran, das die Ampel einfach gar nichts taugt und die Menschen genug haben von Politikern, die lieber das Wetter als uns vertreten. Jedoch steht fest: kaum jemand wählt die AfD, nur um sich an der Ampel zu rächen. Diese Art der Rachegelüste sind eher ein Markenzeichen unserer aktuellen Regierung, die sich gefühlt jeden Monat an uns rächt und uns nochmal aufs Auge haut, eben weil immer mehr die AfD wählen und einfach existieren.

Die Menschen, die die AfD wählen, haben gute Gründe dafür, und sie wählen sie, weil sie die einzig echte wahrnehmbare Opposition ist, und egal, was die AfD jetzt tun würde – es könnte nur besser werden als das, was wir bis jetzt erleben mussten. Denn eine in Zügen faschistoid agierende Regierung, die mir alles nimmt, was meine Rechte und mich als Mensch als solcher ausmacht, waren auch von heute auf morgen weg in der staatsorchestrierten Massenpanik in der Corona-Krise.

Das groß geschriebene NIE WIEDER wurde von jenen mit Füßen getreten, die heute sagen, dass die AfD erstarkt sei durch rechte Ossis oder linke Assis. Während diese für die Einhaltung der Grundrechte einstand. Was genau soll man dazu noch sagen?

Ich für meinen Teil denke: schlimmer gehts nimmer. Aktuell wäre die AfD auch die einzige Partei, die noch keine Gelegenheit zur Enttäuschung geben konnte und für die Leute darum hält, was drauf steht. Sie ist eine Alternative zu dem Einheitsparteienblock, den die Menschen aus guten Gründen, ob Ossi oder Wessi, mit oder ohne Migrationshintergrund, ablehnen.

Ich denke, es ist auch sinnlos so zu tun, als hätte die AfD keinen problematischen und verachtenswerten Rechtsaußen-Flügel. Den gibt es und ich hoffe lieber an dieser Stelle, dass dieser schwächer wird, als zu hoffen, dass die CDU und Grünen uns eines Tages retten, vor was auch immer.

Im Gegensatz zu den anderen Parteien ist es bei der AfD ein Flügel innerhalb der Partei, der faul ist, und nicht der komplette Laden selbst.

Daher denke ich, dass die AfD-Partei zumindest die Stoßrichtung in die richtige Bahn lenken kann. Ein Brise AfD wird gut tun. Was danach käme, würde man ja immer wieder, so wie es sich in einer Demokratie gehört, neu verhandeln. Neu wählen.

Man sollte auch nicht vergessen, dass vor zig Jahren sowohl die FDP als auch die CDU öffentlich in den Medien genauso behandelt wurden wie die AfD heute. Dem Narrativ von damals zufolge sind wir heute längst rechts regiert. Und grün ist das neue rot. Also back to the roots. Starten wir das Spiel neu.

Ich werde wohl AfD wählen. Wenn es möglich wäre, eher gestern als morgen. Und wenn es ein Denkzettel für die anderen sein sollte, warum nicht? Umso besser. Aber soweit wollen wir nicht gehen.

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