Tichys Einblick
Es rumort im Volk

Pardon, die Chefetage weilt in anderen Sphären

Steinmeier, der (als Außenminister) Trump einen »Hassprediger« nannte, aber (als Präsident) dem Iran gratulierte, verleiht Draghi, der Sparen zur Dummheit machte, das Bundesverdienstkreuz. Wenn das nicht Verspottung des Volkes ist, was ist es dann?

Tobias Schwarz/AFP/Getty Images

Wir alle kennen diese ganz spezielle Art von Unternehmen, wo die Angestellten das eine Image abzugeben bemüht sind – und die Chefetage, wenn man näher hinschaut, ein ganz anderes.

Ein solches Unternehmen kann ein Restaurant sein, wo die Angestellten super freundlich sind und auch der Koch redlich bemüht ist, doch der Besitzer spart an Zutaten und Arbeitskräften, und irgendwann merken es entgegen aller Bemühungen auch die Gäste, dass das Personal überlastet und das Essen von diskutabler Qualität ist. – Es könnte eine Bank sein, wo die Front-Angestellten die Kunden gern solide beraten – es sind ja oft ihre eigenen Nachbarn und Freunde! – während die Chefetage zockt und spekuliert bis die Bank in Schieflage gerät. Es könnte ein Unternehmen sein, das von sogenannten »Investoren« (Tiervergleiche sind ja verpönt) aufgekauft wird, in Tranchen zerschnitten und teilweise absurd beliehen wird) – solche Unternehmen werden oft früher oder später in Not geraten, egal wie sehr sich die Angestellten mühen, und es ist kein Ruhmesblatt für den Kapitalismus, wenn die Angestellten, die sich doch alle Mühe gaben, dann doch ihre Arbeitsstelle und ihr Einkommen verlieren, während die verantwortlichen Chefs womöglich noch mit Boni »belohnt« werden und lukrative »Anschlussverwendungen« finden.

Wenn die armen Angestellten solcher Unternehmen auf das Gebaren in den höheren Stockwerken angesprochen werden, was sollen sie sagen? »Pardon, die Chefetage weilt in anderen Sphären«?

Ich halte weiterhin einen überwachten Kapitalismus für die beste Wirtschaftsform, welche die Menschheit jemals ausprobiert oder auch nur angedacht hat, und mit »beste« meine ich, dass sie am ehesten das Wohl mehrt, das Leid mindert, das Lernen fördert, das Glück möglich macht und den Menschen motiviert, nach Höherem zu streben. Zugleich bin ich mir sehr wohl dessen bewusst, dass einige der Werkzeuge, welche unseren Wohlstand erst möglich machen – hier: die Firmen und Investitionen – in Verbindung mit Gier, Trickserei und Abwesenheit von allgemein nachvollziehbarer Moral auch zu Leid, Ungerechtigkeit und Zerstörung führen können – womit wir bei der Politik wären.

Warum bloß?

Es war ein auf ironische Weise passender Tag, an dem Mario Draghi sein Bundesverdienstkreuz vom »sozialdemokratischen Schlossherrn« (Zitat SPD Berlin) verliehen bekam. Der 31. Januar 2020 ist »Brexit Day«, der letzte Tag, an dem Großbritannien offiziell Teil des Brüsseler Glücksvereins ist. (Warum wollen britische Arbeiter sich nicht von ethischen Größen wie einem Herrn Juncker oder einer Frau von der Leyen herumschubsen lassen? Warum bloß?)

Mario Draghi erhielt das »Großkreuz« für seine angeblichen Verdienste um den Euro als Chef der Europäischen Zentralbank von 2011 bis 2019 (siehe etwa n-tv.de, 31.1.2020). Unter Draghi wurde bekanntlich der Leitzins auf 0,0% gesenkt, was dazu führte, dass die so wichtige deutsche Tugend des Sparens zur Dummheit wurde. Ich bin noch damit aufgewachsen, Geld aufs Sparbuch einzuzahlen, denn mehr Zinsen als die Inflation gab es allemal. Heute sind Sparbücher eine Form der schleichenden Geldvernichtung.

Wenn man die Leute aufzählen müsste, die Deutschland in den letzten Jahren am meisten geschadet haben, wäre Draghi wohl in der »Top 10« mit dabei. Und diesem Herrn wird das Bundesverdienstkreuz verliehen?

Nicht so wichtig (?)

Der Bundespräsident leistet, ähnlich wie etwa die Kanzlerin, einen Amtseid, der beinhaltet, Schaden vom deutschen Volk mit seiner »ganzen Kraft« abwenden zu wollen (GG Art. 56). Es erschließt sich mir nicht unmittelbar, wie es mit dem Geist eines solchen Eides in Einklang zu bringen ist, einem Draghi auch nur die Hand zu schütteln. Aber gut, wir reden von demselben Herren, der dem iranischen Mullah-Regime zum Nationalfeiertag gratulierte (welt.de, 25.2.2019: »auch im Namen meiner Landsleute«), dafür aber, damals noch als Außenminister, den damaligen Kandidaten Donald Trump als »Hassprediger« beschimpfte (welt.de, 4.8.2016). Der Amtseid zumindest des Bundeskanzlers ist, da sind sich genug Juristen und Politiker tendenziell einig (spiegel.de, 30.10.2000), eher »ein politisches Versprechen und kein Eid in einem gerichtlichen Verfahren«, was gewiss höflicher klingt als etwa »Verhöhnung der Bürger«.

Ich lobe ja selten die Grünen – es gibt halt wenig zu loben an denen – doch eine Aktion der 1. Parlamentarischen Geschäftsführerin der Grünen-Bundestagsfraktion hatte durchaus Substanz. Britta Haßelmann beantragte eine Unterbrechung der Sitzung, da kein Vertreter der Regierung anwesend war, nicht einmal Peinlichminister Maas, in dessen Ressort die laufende Debatte fiel (focus.de, 31.1.2020). Haßelmann sprach von einem »Affront gegen das Parlament« und von »Geringschätzung« gegenüber den Parlamentariern – diese sind ja noch immer die Stellvertreter des Volkes. Wenn eine Grüne bei Sonnenschein sagt, dass die Sonne scheint, werde ich nicht sagen, dass es regnet – sie sagen ja ohnehin so selten etwas Richtiges!

Man könnte sich ja manchmal fragen, ob sich die deutschen Eliten einen aktiven Spaß daraus machen, uns ihre Verachtung zu zeigen. – Machen sich die-da-oben einen Spaß daraus, täglich zu beweisen, wie sehr sie uns verachten? Nein, wir wollen nicht den Fehler der Verschwörungstheoretiker machen, die sich für so wichtig halten, dass man angeblich »Bots« auf sie ansetzt oder ihre Gedanken via elektromagnetischer Strahlung ausliest (wogegen sie dann der Metapher nach einen »Aluhut« tragen). Ich fürchte, Sie und ich sind nicht so wichtig, dass irgendwer Draghi einen Orden verleihen würde, nur um uns seine Verachtung uns gegenüber zu zeigen.

Diese Leute wirken als hätten sie ihre eigene Welt, mit eigenen Ritualen und Werten. So lange die Deutschen schuften und Steuern zahlen, solange die Fleißigen fleißig sind, so lange die Sparsamen sparen und dann dennoch schlucken, dass sie keine Zinsen aufs Ersparte bekommen, so lange scheint es denen da oben reichlich egal zu sein, ob wir zuschauen oder nicht, wenn sie sich einander Orden an die Brust heften (sie auch »Fünf Tonnen Blech«), und es kann denen erfrischend wurscht sein, was wir hier unten von all dem halten, zumindest so lange, wie der Staatsfunk eine ausreichende Zahl der Wähler dazu bewegen kann, so zu wählen (oder nicht zu wählen), dass sich nichts wirklich verändert.

Stolz und selbstverständlich

Wie lange kann ein Unternehmen bestehen, wenn die Chefetage und die Malocher in unterschiedlichen Realitäten leben? Wie lange kann ein Land bestehen, wenn die Elite sich vom Volk entfremdet hat, wenn ihre Handlungen kaum anders als offene Verachtung zu deuten sind?

Wie lange wird ein Unternehmen bestehen, wenn die Chefs verzocken, was die Angestellten unter ihnen erarbeiten? Wie lange wird eine Familie bestehen, wenn der Vater verjubelt, was die Familie mühsam zusammenkratzt? Wie lange wird ein Land bestehen, wenn seine Eliten in einer anderen Realität mit anderen Werten leben, als das Volk, auf dessen Rücken das Land getragen wird?

Im Text »Zerbrich die Ordnung und du zerbrichst die Heimat« beschreibe ich, wie Elli und ihr Gatte einmal eine Regel fürs Ablegen der Schuhe einführten, und dann, als ich mich selbst nicht an diese Regel hielt, meine Kinder mich voller Ernst zur Einhaltung dieser Regel ermahnten – selbstverständlich war ich stolz und selbstverständlich befolgte ich die entsprechende Regel dann wieder schnell. Heimat wie auch Glück beginnen mit Ordnung: Man kann Ordnung halten, und doch unglücklich sein (dann ist es wohl eine »falsche« Ordnung, siehe eventuell Relevante Strukturen), doch man wird nicht in Unordnung leben und glücklich sein können (man könnte Glück als den Zustand bezeichnen, wenn man mit der Ordnung seines Lebens zufrieden ist und sich dessen auch bewusst ist).

Es liegt an den Bürgern, von ihren Eliten etwas Anstand zu verlangen – und das ist in Deutschland heute das Problem: Zu viele Bürger glauben den Staatsfunkern, deren Chefs längst Teil der Elite sind, dass selbst ein Weiterso mit vom Zusammenbeißen gesplitterten Zähnen einer Veränderung vorzuziehen sei.

Solange es rumort

Für die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes an Draghi gilt, was für manche politische Handlung im Zeitalter der gefühlten Wahrheit und bauchgesteuerten Moral gilt: Es ist ein Skandal, dass es kein Skandal ist.

Es rumort im Volk. Die Entfremdung der Eliten vom uns-hier-oben geht mit einer symmetrischen Entfremdung des Volkes von den Eliten einher. »Hey, ihr da Ohm, macht Watt ihr Volt!«, so ging einst ein Elektrikerwitz, und es die-da-Ohm scheinen es auch befolgt zu haben, und sie sagen: »Klar, was sonst?«

Nein, es ist nicht die Mehrheit. Doch solange es rumort, solange zumindest einige von uns gegen die da oben protestieren, ihnen ins Gesicht lachen, ihnen sagen, was wir wirklich vor ihnen halten, solange ist zumindest die Idee von Anstand da.

Das ist, was wir heute haben: Zumindest die Erinnerung an Anstand, zumindest die theoretische Möglichkeit von Anstand, hier unten, im Volk, gegen eine moralisch verwahrloste Elite.

Die Möglichkeit von Anstand, das ist nicht viel, doch es ist auch nicht nichts. Solange wir schimpfen, sind wir noch nicht seelisch tot. Wir sind nicht wie die, die einander Orden dafür verleihen, dass die Ehrlichen enteignet werden und die Sparsamen verhöhnt.

Es hört sich wie ein Märchen aus längst vergangenen Zeiten an, dass es einst Leute da oben gegeben haben soll, zumindest einige, die man seinen Kindern zum Vorbild geben konnte. Lang ist es her, fremd wirkt es heute.

Es liegt an uns, zumindest die Idee des Anstands nicht ganz sterben zu lassen! Solange wir es nicht still schlucken, was die Damen und Herren machen, solange lebt zumindest die Erinnerung an den Anstand, als Konzept, als Gedanke, als Möglichkeit.


Dieser Beitrag erschien zuerst auf dushanwegner.com

Dushan Wegner (geb. 1974 in Tschechien, Mag. Philosophie 2008 in Köln) pendelt als Publizist zwischen Berlin, Bayern und den Kanaren. In seinem Buch „Relevante Strukturen“ erklärt Wegner, wie er ethische Vorhersagen trifft und warum Glück immer Ordnung braucht.

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