Tichys Einblick
Austritt aus der Linken

Oskar Lafontaine wirft ein letztes Mal hin

Oskar Lafontaine ist aus der Partei Die Linke ausgetreten. Es ist der letzte von vielen Paukenschlägen in der Karriere eines politischen Trommlers. Für ihn wie für die Linke ist es das lang ersehnte Ende eines Dramas.

IMAGO / BeckerBredel

Die größte Straße der Welt befand sich im Jahr 2008 im saarländischen Dillingen. Es war die Straße, in der Oskar Lafontaine aufwuchs. Der große Sohn der Stadt hatte seine Rückkehr angekündigt. Seine Partei die Linke feierte ihm zu Ehren im Dillinger Stadtpark ein Volksfest, Hunderte Zuschauer warteten nun auf ihn und erzählten Anekdoten: Dass „der Oskar“ in der selben Straße wie sie aufgewachsen sei.

Auf der Bühne läuft Musik aus der Dose. The Sun of Jamaica. Die Goombay Dance Band aus dem Jahr 1979. Die Masse wartet auf Oskar und schwärmt. Vom Wehner. Von Brandt. Und – erstaunlich für eine Fete der Linken – von Strauß. Das seien noch Politiker gewesen. Die hätten sich noch was getraut. „Der Oskar“ sei einer aus ihrem Holz. Deswegen setzten sie auf ihn. Er war 2008 der Mann, der die Saarländer vorwärts in die Vergangenheit führen sollte.

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Schon damals war Oskar Lafontaine ein Mann, der für die Vergangenheit lebte. Für die Rache. Dabei war er als Mann der Zukunft gestartet. Ursprünglich: In Saarbrücken jüngster Oberbürgermeister aller Zeiten. Im Saarland jüngster Ministerpräsident aller Zeiten. Hoffnungsträger der SPD. „Enkel von Willy Brandt“. Im Januar 1990 verteidigt er das Amt des Ministerpräsidenten an der Saar, holt 54,4 Prozent. In einem erzkatholischen Land, das in den 50er Jahren zwei christdemokratische Parteien hatte, die beide allein jeweils stärker waren als die Sozialdemokraten. Die Partei machte ihn daraufhin zum Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl. Lafontaine führt in den Umfragen klar vor Kohl.

1990 dann die Zäsur. Im Wahlkampf attackiert eine Geisteskranke Lafontaine mit einem Messer. Er wird schwer verletzt, unterbricht den Wahlkampf, rappelt sich aber auf. Doch eben diese Wahl bereitet ihm die Verletzung, die den Rest seines Lebens prägen wird: Lafontaine verliert deutlich gegen Kohl. Der hat die Euphorie über den Zusammenbruch des Kommunismus und die Deutsche Einheit im Rücken. Lafontaines Botschaften, wie viel Geld und Arbeitsplätze im Osten diese Einheit kosten werde, will keiner hören. 1990.

Lafontaine macht das, was künftig die Hälfte seiner Laufbahn ausmachen sollte: Er schmeißt hin. Obwohl ihn SPD-Chef Jochen Vogel und die mächtige, graue Eminenz Brandt bitten, die Partei und die Fraktion in der Opposition gegen Kohl zu führen, verzichtet er auf die Ämter und zieht sich zurück. Björn Engholm nimmt seinen Platz ein. Es folgen Jahre, die gleichermaßen für die SPD wie für die Union eine Krise bedeuten: Engholm muss zurücktreten, weil er nachträglich in den Barschel-Skandal verwickelt wird. Kohl gilt als „Umfaller“, weil sein Versprechen nicht zu halten war, die Einheit sei aus der Portokasse zu zahlen.

1994. Jetzt könnte der Mann glänzen, der vier Jahre vorher genau darauf hingewiesen hat, nämlich dass die Einheit eben nicht aus der Portokasse zu zahlen sei. Doch Lafontaine tritt nicht an. Die SPD hat Rudolf Scharping aufgestellt. Bräsig, tollpatschig und befreit von jedem Charisma versemmelt er die Chance, die Ära des müden Kohls zu beenden. Dass Scharping überhaupt kandidieren konnte, lag an zwei Momenten, die immer wieder Lafontaines Stil prägen: Er hält sich zuerst für superschlau und fällt dann damit schmerzhaft auf die Nase.

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Als Engholm über Nacht zurücktreten muss, wünschen sich Vogel, Brandt und Johannes Rau einen Moment der Pietät. Diesen wartet der niedersächsische Ministerpräsident Gerd Schröder aber nicht ab und kündigt seine Kandidatur um den Vorsitz an. Vogel, Brandt und Rau haben jetzt die Wahl: Entscheiden sie sich für den besten Kandidaten oder für ihr gekränktes Ego? Die Wahl fällt auf das gekränkte Ego und Rudolf Scharping. Damit es besser aussieht, ruft die Partei eine Direktwahl aus, in der die drei Granden aber bei den Mitgliedern massiv für den rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten werben.

Auch Lafontaine unterstützt Scharping. Es heißt, der Rheinland-Pfälzer habe dem Saarländer die nächste Kandidatur ums Kanzleramt versprochen, wenn er Vorsitzender werde. Doch nach der Wahl zum SPD-Chef bricht er dieses Versprechen und kandidiert selbst. Mit Schröder und Lafontaine bildet er eine „Troika“. Im Spot wandeln sie den Säulengang des Reichtags entlang: Schröder und Lafontaine stehen hinter Scharping – so wie einst Brutus und Marcus Antonius hinter Julius Caesar.

Die Iden des März finden dann im November 1995 statt. Und es passiert das, was die andere Hälfte der Karriere Lafontaines nun ausmacht: ein Comeback, das eine Rache ist. Lafontaine hält auf dem Mannheimer Parteitag eine vernichtende Rede auf den tollpatschigen SPD-Chef, kandidiert am nächsten Tag gegen ihn – und gewinnt. Oskar ist wieder da und hofft darauf, auch die Niederlage von 1990 wettmachen zu können. Als siebter Bundeskanzler und als Enkel von Willy Brandt.

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Doch er verliert wieder. Er lässt sich im Vorfeld mit Schröder auf eine Art Wette ein: Wenn der die Landtagswahl in Niedersachsen gewinne, werde er auch Kanzlerkandidat. Schlau von Oskar, denn die Wahl scheint aussichtslos. Doch Schröder gewinnt, wird Kandidat und letztlich Kanzler. Noch gibt Lafontaine nicht auf. Er wird „Superminister“, der starke Mann, der Schröder gefügsam hält. Eine Taktik der tausend Nadelstiche soll den Kanzler zermürben. Der hat nicht mehr als die politische Faust, um Lafontaine wegzuhalten – und schlägt den Saarländer gnadenlos nieder.

Lafontaine schmeißt wieder hin. Ein halbes Jahr nach der Regierungsbildung. Kurz vor dem Einsatz der Bundeswehr im Krieg auf dem Balkan. Lafontaine gibt eine wirre Pressekonferenz auf der heimischen Terrasse, in der er anfängt, an seiner Legende zu basteln: Das Herz schlage immer noch links. Es folgen sechs Jahre der Ziellosigkeit. Lafontaine wird Kolumnist. Er kommentiert die Politik von Rot-Grün zusammen mit Peter Gauweiler, dem Rechtsaußen der CSU.

2005 bricht Rot-Grün ermüdet auseinander. Und was macht Lafontaine jetzt? Wieder ein Comeback. Wieder Rache. Mit der SED-PDS und einigen sozialdemokratischen Sektierern namens „WASG“ gründet er „Die Linke“. Die SED-PDS soll unter diesem neuen Segel im Westen ähnlich stark werden, wie sie es im Osten bereits ist. Auf Bundesebene gestaltet die Linke bis heute nicht. Aber sie holt Schröder die Stimmen weg, die er gebraucht hätte, um vor Angela Merkel zu landen – den Zweck, Rache für Oskar zu sein, erfüllte sie somit.

Gegen den SED-Stasi-Block in der Linken kann sich Lafontaine von Anfang an nicht so recht durchsetzen. Also folgt auf das nächste Comeback die nächste Flucht: Lafontaine kehrt zurück ins Saarland – eine Million Einwohner und so strukturschwach, das es aus eigenen Kräften nicht existieren könnte. Das letzte Kapitel im Niedergang Lafontaines hat begonnen. Er lässt sich darauf ein, weil es den Geschmack von Comeback hat. Und den Geschmack von Rache.

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Die Saarländer feiern ihren Oskar anfangs. Er hat ihnen seinerzeit mit seiner Kandidatur ums Kanzleramt Selbstvertrauen gebracht. Er hat bis zuletzt – wider besseren Wissens – an dem Lied festgehalten, das die Saarländer so gerne hörten: Die Kohle habe eine Zukunft. Das singt er 2008 immer noch und erntet frenetischen Applaus. In den Umfragen klettert die Linke auf bis zu 30 Prozent, liegt kurzzeitig vor der SPD. Lange vor Winfried Kretschmann oder Bodo Ramelow hätte er der erste Ministerpräsident werden können, der nicht von SPD oder Union gestellt wird. Neben seiner Beliebtheit verfügt Lafontaine 2008 über einen weiteren großen Trumpf: In den Behörden, Ministerien, Gewerkschaften und im Sozial- sowie im Gesundheitswesen sitzen noch viele, deren Karrieren Lafontaine einst aufs Gleis gesetzt hatte.

Wir sind wieder auf dem Fest im Jahr 2008. Oskar ist mittlerweile da und redet mit Journalisten. Im Hintergrund läuft jetzt Ofra Haza, 80er Jahre Ethno-Pop. Lafontaine erzählt Dinge, die viel seriöser klingen als das „Wehner, Brandt und Strauß waren noch Politiker“-Gerede des Publikums – aber inhaltlich nicht viel tiefer gehen: Der Staat solle so stark sein wie möglich und dann dafür sorgen, dass alles so werde, wie es früher mal war. Auf der Bühne hat jemand die Musik gewechselt. Haza wurde mitten im Lied abgewürgt, jetzt läuft wieder die Goombay Dance Band.

Lafontaine sieht 2008 die Chance, doch er verkennt die Gefahr: Er hat sich auf ein Bundesland eingelassen, das eine obskure Politik und zwielichtige Politiker hervorbringt, wie es nur ein Land kann, das seinen eigenen Lebenserwerb nicht finanzieren kann – und sich folglich aber auch nicht um seinen Lebenserwerb sorgen muss. Die Wahl von 2009 endet mit einem Patt: SPD und Linke sind in etwa so stark wie CDU und FDP. Die Grünen werden zum Königsmacher. Alle rechnen mit dem ersten R2G der Geschichte. Lafontaine wäre zwar nur stellvertretender Ministerpräsident geworden. 24 Jahre nachdem er das höhere Amt bereits erreicht hatte. Doch es hätte trotzdem ein bisschen was von Comeback gehabt. Und irgendwie auch was von Rache. Aber die Grünen entscheiden sich für Jamaika.

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Warum sich die Grünen für Jamaika und gegen R2G entscheiden, ist eine sehr saarländische Geschichte. Sie endet mit Affären, Bestechung und einem politischen K.O.. Sie beginnt mit politischen Karrieristen. Etwa Hubert Ulrich. Der führte die saarländischen Grünen über Jahrzehnte in einem Stil, der ihm den Spitznamen „Panzer“ einbrachte. Seine Macht beruhte auf einer echten oder vermeintlich hohen Mitgliederzahl im heimischen Saarlouis und einer echten oder vermeintlich hohen Mitgliederzahl in Homburg, wo sein Kumpel Andreas Pollak saß.

2008 ist das Jahr der Wende. Pollaks alte Truppe sieht die gleichen Chancen wie Lafontaine und läuft zur Linken über. Allen voran Pollacks Ehefrau Barbara Spaniol, die für die Grünen in den Landtag gezogen war und für die Linke nun dort sitzen bleibt. Im Jahr 2009 soll Ulrich aber mit den Abtrünnigen regieren, die zu einem entscheidenden Sechstel aus Menschen besteht, die ein Machtmensch wie Ulrich als Verräter empfinden kann? Er entscheidet sich für Jamaika.

Dramaturgisch ist Lafontaines Niedergang hier zu Ende. Der Rest ist traurig und hält das Publikum nur noch davon ab, zur Garderobe zu verschwinden. Der alte Mann findet eine kluge Frau, eine schöne Frau obendrein: Sahra Wagenknecht. Er könnte jetzt glücklich sein. Aber er streitet sich in Land und Landtag mit seinen „Genossen“ wie ein alter Mann, der die zehnjährigen Lausbuben von seinem Kirschenbaum fernhalten will. Es sind Leute, die es nicht wert sind, genannt zu werden: Sektierer in einer Sektiererpartei in einem nicht lebensfähigen Bundesland.

Die Tragik des Oskar Lafontaine ist es, dass er nicht loslassen konnte, als es vorbei war. Dass er von der Politik so abhängig war, dass er sie noch mit diesen unwürdigen Duellanten ausfechten musste. Dass er hoffte, seine Karriere würde auf einem Comeback enden. Nun ist es aber – wie es zu erwarten war – doch ein Hinwerfen.

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