Deutschland geht wieder einmal im Datenchaos unter – die Mehrheit der Deutschen misstraut den Zahlen, die Gesundheitsämter und das Robert-Koch-Institut (RKI) bereithalten. Die Behörden geben sich alle Mühe, dass die Corona-Politik im Blindflug bleibt; nach fast zwei Jahren Pandemie in Deutschland kann man hier wohl mindestens von bewusster Inkaufnahme sprechen.
Bevor man sich nun einfach ins Getümmel der Debatte über die nächste Welle stürzt, sollte man einen Moment innehalten und die letzte betrachten. All die Debatten der letzten Monate, die Panikmache, der beispiellose staatliche Zwang, die Impfpflicht, das Berufsverbot für nicht-geimpfte Pflegekräfte – am Ende wegen einer Corona-Welle, welche in der Dimension einer Grippesaison liegt?
Im Verlauf von Corona in Deutschland und Europa sind einige grundlegende Erkenntnisse offensichtlich geworden:
- Neue Virus-Varianten weisen erheblichere Veränderungen auf als gedacht und treten in kürzeren Zeitabständen auf.
- Neue Virus-Varianten sind mit großer Wahrscheinlichkeit deutlich ansteckender und deutlich weniger tödlich als ihre Vorgänger.
- Die Wirkung der Impfung ist auf die Gesundheit des Geimpften beschränkt; die Idee, durch sie die Ausbreitung einer Welle zu verhindern, ist utopisch.
Omikron: Das Comeback des schwedischen Wegs
Und nun kommt Omikron. In vielen Staaten Europas ist die neue Welle schon da – mit extrem hohen Infektionszahlen. Die 7-Tages-Inzidenz steigt im Vereinigten Königreich auf über 1.800, in Frankreich auf über 1.600, in Dänemark auf über 2.700 – immerhin fast das Sechsfache des Allzeithochs in Deutschland. Für Aussagen über Hospitalisierungen oder Tote ist es hier noch zu früh, zudem wachsen auch in Großbritannien gerade die Zweifel an der Verlässlichkeit der Hospitalisierungs-Statistiken.
Neue Studien zeigen jedoch abermals die deutlich geringere Krankheitsschwere von Omikron, die sich auch in Südafrika beobachten ließ (TE berichtete). Eine englische Studie zeigt eine um 40 Prozent niedrigere Wahrscheinlichkeit, ins Krankenhaus eingewiesen zu werden, eine Studie von Public Health Scotland geht gar von einer um rund zwei Drittel gesunkenen Gefahr aus, die Daten sind jedoch vorläufig. Omikron bestätigt also zunächst das, was zu vermuten war: viele Infektionen, wenige schwere Verläufe. Auch in Deutschland steht das nun bevor.
Auch in Deutschland zeigen erste Daten des RKI, dass die Hoffnung auf den Booster, jedenfalls was das Infektionsgeschehen angeht, übertrieben sind: Von den symptomatischen Omikron-Fällen, für die der Impfstatus bekannt ist, waren über 25 Prozent geboostert. Fast 40 Prozent der Bevölkerung sind geboostert.
Doch nicht nur im Inselstaat des „Freedom Day“ fällt die Corona-Politik überraschend liberal aus. In Spanien liegt die Inzidenz bei über 1.200 und dennoch bleibt das Land geöffnet, man setzt stattdessen auf Selbsttestung und telefonische Krankschreibungen. In Israel wird gar über eine kontrollierte Massendurchseuchung diskutiert, die Rede ist laut Channel 12 News von einer „schwedischen Politik“. Auch in Dänemark reagiert man recht gelassen; das eigentlich sehr restriktive Frankreich schließt einen neuen Lockdown aus, und Joe Biden lässt seine Impfpflicht-Pläne nach einer Schlappe vor Gericht ruhen.
„Perfektes erstes endemisches Virus“
Es liegt eine Wechselstimmung in der Luft. Immer mehr Länder erkennen in Omikron die Chance, die Pandemie zu beenden und den Teufelskreis endlich zu durchbrechen: Eine harmlose, hoch ansteckende Variante könnte Immunitätslücken schließen und gefährlichere Varianten verdrängen. Das Ende dieses Wahnsinns, soviel ist jedenfalls schon lange klar, kann nur auf diese Weise kommen: Das Virus wird niemals ausgerottet werden können, aber es wird endemisch werden und uns in Zukunft als Grippe oder Erkältung begleiten und nicht als tödliche Seuche.
Auch Christian Drosten meint, Omikron könnte sich als „perfektes Nach-Pandemie-Virus“ herausstellen, als „perfektes erstes endemisches Virus“, auch wenn er meint, Deutschland wäre für eine endemische Phase noch nicht bereit. TE weist auf diese Zusammenhänge schon seit Monaten hin (unter anderem hier im Februar).
Man wird wohl den Weg gehen, den die Regierung Merkel stets vorexerzierte: Statt einer klaren Strategie oder eines Stufensystems, tastet man sich von Woche zu Woche, von Corona-Gipfel zu Corona-Gipfel in die Welle hinein, das Regierungssegel immer auf der Suche nach dem Wind der allgemeinen Befindlichkeit. Deutschland reagierte daher meist spät, dafür mit besonderer Härte.
Doch der internationale Fortschritt in Sachen nüchterner Wahrnehmung des Corona-Geschehens wird vor Deutschland am Ende nicht ganz halt machen können. Die breiten, wachsenden Proteste in der ganzen Republik zeigen, dass auch hier der Wunsch nach einem Richtungswechsel immer größer wird. Es setzt sich eine Erkenntnis durch: Nicht die Impfung wird diese Pandemie beenden, sondern neue Virus-Varianten.