Die Augsburger Puppenkiste hat legendäres Marionettentheater gemacht. „Jim Knopf und Lukas, der Lokomotivführer“ kennt buchstäblich jedes Kind. Dasselbe gilt für das „Urmel aus dem Eis“. Etwas weniger bekannt, aber kein bisschen weniger großartig ist „Kleiner König Kalle Wirsch“. Dabei geht es um die Anführer von zwei Stämmen aus dem Volke der Erdmännchen, die sich um den Thron duellieren sollen. Einer von den beiden denkt aber gar nicht daran, wirklich zu kämpfen. Stattdessen versucht er mit vielen hinterhältigen Tricks, sich die Herrschaft über alle Erdmännchen zu erschleichen.
Damit wären wir bei Olaf Scholz und seiner Wahlkampfrede im Bundestag, die fälschlicherweise als „Regierungserklärung“ angekündigt war.
„Ich bin froh, dass ich Verantwortung getragen habe in dieser besonderen Zeit: Weil es dazu beigetragen hat, dass wir besonnen und vernünftig gehandelt haben. (…) Lassen Sie uns bis zur Neuwahl zum Wohl des Landes zusammenarbeiten. Lassen Sie uns dafür sorgen, dass die Fleißigen in diesem Land, die sich jeden Tag anstrengen, entlastet werden.“
Man reibt sich verwundert die Ohren. Drei Jahre hatte der Bundeskanzler Zeit, die Fleißigen zu entlasten. Drei Jahre lang hat seine Regierung das genaue Gegenteil getan. Aber jetzt soll es plötzlich gehen, und zwar noch vor Januar.
Es ist halt Wahlkampf.
In seiner Regierungserklärung erklärt Olaf Scholz: nichts. Er sondert wie eh und je genau jene hölzernen Sprechstanzen ab, die ihm schon vor vielen Jahren den Spitznamen „Scholzomat“ eingebracht haben. Das wenig schmeichelhafte Wort stammt übrigens nicht etwa vom politischen Gegner, sondern aus der SPD – aus der eigenen Partei. Und Scholz tut nichts, absolut nichts, um seinen Ruf als Redner zu verbessern.
„Große Kraftanstrengungen sind notwendig. Die braucht es jetzt, und die wird es auch in Zukunft brauchen. (…) Es geht um Deutschlands Zukunft und um eine gemeinsame Zukunft in Europa. (…) Die Zeiten, in denen wir leben, sind verdammt rau.“
Leider verzichtet die Opposition in diesem Moment auf die Zwischenfrage: „Wer hat sie rau gemacht?“
Olaf Scholz ist deutlich anzusehen, wie wenig ihm öffentliche Auftritte vor vielen Menschen behagen. Körperhaltung, Gestik, Mimik, Stimmlage und der monotone Vortrag: Alles wirkt leblos, unbeteiligt, empathiefrei. Wie konnte dieser Mann es tatsächlich zum Bundeskanzler bringen?
Darauf gibt es zwei Antworten: Erstens hätte die SPD ihn vor drei Jahren niemals zum Spitzenkandidaten gemacht, wenn die Partei damals auch nur ansatzweise damit gerechnet hätte, tatsächlich das Kanzleramt zu erobern. Doch mitten im Wahlkampf sabotierte sich der haushoch führende CDU-Mann Armin Laschet plötzlich selbst.
Zweitens ist Olaf Scholz ein begabter Zyniker der Macht: egoistisch, opportunistisch, skrupellos. Seine Stärke ist der Deal im kleinen Kreis in Hinterzimmern. Damit ist er wie geschaffen für unseren real existierenden Demokratismus, in dem man nicht das Volk überzeugen muss, um Karriere zu machen, sondern wo es reicht, sich in der Partei nach oben zu intrigieren.
Alles, was Scholz öffentlich äußert, ist Show.
„Lassen Sie uns da, wo wir einig sind, auch einig handeln. Es wäre gut für unser Land. (…) Ich bin sehr stolz darauf, dass Deutschland ein Land ist, das gut mit seinem Geld umgeht.“
Hier können sich selbst die künftigen Scholz-Koalitionspartner bei der CDU/CSU das Lachen nicht verkneifen.
Deutschland hat einen Bundeskanzler, der sich nur für sich selbst interessiert. Scholz zeigte keinen Hauch von Empathie, als der Ukraine-Krieg begann. Er zeigte keinen Hauch von Empathie, als Messermigranten deutsche Passanten abgestochen haben. Er zeigte keinen Hauch von Empathie, als – wiederum meist eingewanderte – Gruppenvergewaltiger so vielen Frauen das Leben ruinierten.
Nur zweimal in drei Jahren zeigte Scholz so etwas wie Energie in der Öffentlichkeit: einmal im Bundestag, als seine SPD-Fraktion ihn ultimativ zu mehr sichtbarem Kampfgeist aufforderte – also als es für seine eigene Macht gefährlich wurde. Das zweite Mal, als er Christian Lindner öffentlich übel beschimpfte, weil der FDP-Chef mit seinem Festhalten an der Schuldenbremse wiederum die Machtposition des Kanzlers direkt in Frage stellte.
Olaf Scholz zeigt Empathie und Emotion nur dann, wenn es um ihn selbst und seine Macht geht.
Um an der Macht zu bleiben, zeichnet sich bei Scholz ein Hauptargument ab: die Ukraine. Phasenweise muss ein unvoreingenommener Zuhörer den Eindruck haben, Scholz sei Kanzler in Kiew und nicht in Berlin. Der größte Teil seiner Rede handelt von der Ukraine.
„Wir müssen dafür sorgen, dass die Ukraine als demokratische souveräne Nation eine gute Perspektive hat. (…) Ich werde die Bürger nie vor die Wahl stellen: Entweder wir unterstützen die Ukraine, oder wir investieren in Deutschland. Dieses Entweder-Oder ist falsch und führt unser Land in die Irre.“
Damit ist der kommende Wahlkampf vorgezeichnet. Die SPD wird sagen: Wir geben so viel für die Ukraine aus, dass es bei uns nicht mehr reicht. Deshalb müssen wir mehr Schulden machen, um auch in Deutschland investieren zu können. Eine anhaltende Milliarden-Unterstützung für Kiew wird hier in Merkel-Art für „alternativlos“ erklärt. Dass sich Deutschland zu Lasten künftiger Generationen bis über beide Ohren verschuldet, um einem anderen Staat zu helfen, darf nach dieser Lesart auch keinesfalls diskutiert werden.
An einem Punkt wirbt der Kanzler fast unverhohlen für eine Große Koalition. Und er macht klar, worauf er sich mit CDU-Chef Friedrich Merz in der Kungelei rund um den Neuwahltermin offenbar schon geeinigt hat:
„Eine Sache ist mir besonders wichtig: der Schutz des Bundesverfassungsgerichts. Wir haben eine gute Tradition, übrigens auch aus den Lehren, die die Weimarer Republik uns hinterlassen hat. (…) Ich bitte um den Schutz des Bundesverfassungsgerichts. Ein Blick in Nachbarländer zeigt, dass das manchmal schwer werden kann, wenn Populisten zu stark werden. Und deshalb ist das eine Sache, die keinen Aufschub duldet.“
Da geht es um nichts anderes als darum, dem Kartell der etablierten Parteien den möglichst ungehinderten Zugriff auf Deutschlands oberstes Gericht zu sichern – und künftige Parlamentsminderheiten von der Mitentscheidung auszuschließen. Das ist ein Anti-AfD-und-Anti-BSW-Projekt. Scholz und Merz haben offenbar vereinbart, das noch in diesem Kalenderjahr durchs Parlament zu peitschen.
Ansonsten ist der Vortrag eine reine „Was-ich-mir-wünsche“-Wahlkampfrede. Gefühlt jeden dritten Satz beginnt Scholz mit „Ich…“. Die Botschaft: Käpt’n Olaf hält Kurs.
„Ich werde meine Haltung nicht ändern, was die Lieferung eines Marschflugkörpers aus Deutschland in die Ukraine betrifft.“
Auch sonst ändert der Noch-Kanzler seine Haltung nirgends. Die „Regierungserklärung“ am Mittwoch zeigte einen echten Scholz: ohne jeden Anflug von Selbstkritik, stur, unbelehrbar. Vielleicht glaubt der Hamburger ja wirklich, dass er es diesen durchweg negativen Persönlichkeitsmerkmalen verdankt, dass er Bundeskanzler wurde.
Dann irrt er sich: Olaf Scholz wurde nicht wegen Olaf Scholz Kanzler, sondern wegen Armin Laschet – und allenfalls trotz Olaf Scholz.
Es ist gleichwohl nicht auszuschließen, dass der jetzige Bundeskanzler nach den Wahlen einem neuen Bundeskabinett erneut angehören wird – dann wieder als Minister unter dem Kanzler Friedrich Merz. Das gab es zwar noch nie, und es wäre maximal stillos.
Aber es wäre ein echter Scholz, reif für die Augsburger Puppenkiste.