Tichys Einblick
"Rechtsextremisten greifen Deutschland an"

Olaf Scholz sieht sich von Rassisten umzingelt

Der Bundeskanzler beschwört Horrorszenarien von einem rechtsextremistischen Angriff auf die Demokratie, nivelliert den Protest des Mittelstands und instrumentalisiert die Correctiv-Affäre für sein Turbo-Einwanderungsgesetz. Scholz kann es nicht nur nicht. Er will es auch nicht können.

Screenshot / X

Videobotschaften statt Regierungserklärungen – das ist mittlerweile zum etablierten Konzept der politischen Elite geworden. Robert Habeck hat es vorgemacht, der Kanzler nachgemacht. Dabei erschien die letzte Nachricht von Olaf Scholz an das Volk teils wie ein Habeck-Plagiat. Offenbar hat sich Scholz die Kritik zu Herzen genommen. Er hat heute nachgeliefert. Und die neue Ansprache hat es in sich – selbst für Ampelverhältnisse.

„Rechtsextremisten greifen unsere Demokratie an“ – was wie ein billiger C-Movie klingt, ist tatsächlich die Hauptbotschaft des Bundeskanzlers. Massenmedien würden es vermutlich einen aufrüttelnden Appell nennen. In Wirklichkeit befremdet das Video von der ersten bis zur letzten Minute; befremdet, weil es Menschen in Deutschland anspricht, die es in der Masse nicht gibt, sondern Phantome der SPD-Wahlstrategen und Gutmeinenden sind.

Eine Woche ist seit dem Beginn der Correctiv-Affäre vergangen. Und wie so häufig: Nach einer Woche sind Details, Interpretationen und Dichtungen dazu gekommen, die sich mittlerweile selbst vom Original abheben. Das bekannteste Beispiel ist der Begriff „Deportationen“, der weite Teile der Massenmedien und Massenpolitik erobert hat. Correctiv mag dies suggeriert haben, doch im Ursprungsbericht kommt es nicht vor. Der Kanzler macht den Spiegel, indem er zur Nazi-Erzählung noch ein paar Fragmente hinzufügt.

Es wäre falsch zu behaupten, Olaf Scholz fiele auf seine eigenen Narrative herein. Und es greift zu kurz zu schließen, er spinne diese Narrative nur weiter. Der Kanzler baut das private Treffen dreier Dutzend Leute zu einer „Geheimkonferenz“ auf, in der nicht weniger beschlossen wurde, als die Vertreibung von Millionen von Menschen. Man muss sich von Rassisten und Nazis umzingelt sehen, wenn man so offen die eigene Regierungszeit zur demokratischen Endphase in Analogie zur Weimarer Republik verklärt. O-Ton:

„Familien, die seit vielen Jahren und Jahrzehnten hier leben. Unsere Nachbarinnen und Nachbarn, Arbeitskolleginnen und Schulfreunde, Frauen und Männer, die in unseren Krankenhäusern und Pflegeheimen arbeiten, denen das Restaurant oder die Bäckerei an der Ecke gehört, die an unseren Schulen unterrichten und unseren Universitäten forschen. Bei diesem Gedanken läuft es einem eiskalt den Rücken runter.“

Das Problem: Nichts davon ist passiert. Es ist das pure Aufbauschen eines privaten Zusammenkommens einer Gruppe von Leuten mit verschiedenen Hintergründen, die sich eine Reihe von Vorträgen angehört haben. Der „Remigrationsvortrag“ von Martin Sellner war nur ein Veranstaltungspunkt, und seine Verlautbarungen auch kein Geheimplan. Insbesondere ist bisher nirgendwo belegt, dass jemals über die Ausweisung von Staatsbürgern gesprochen wurde. Hier wird dem Correctiv-Bericht in einer Art und Weise geglaubt, als handele es sich um einen vom Himmel gefallenen Koran. Im derzeitigen Zustand einiger Journalisten und Politiker könnte Correctiv diesen sogar die Hitler-Tagebücher unterjubeln – und man würde die Geschichte glauben.

Was der Kanzler tut, das ist: Horrorszenarien aufbauen. Er malt Szenen, die im Kulturgedächtnis klingen, weil sie in der europäischen Geschichte als Schreckensmomente wach sind. Jüngere Generationen fühlen sich bei der Beschreibung an Kinofilme erinnert. Da arbeitet die Tochter einer türkischen Familie in 3. Generation im Bäckerladen und wird dann von den rechtsextremen AfD-Horden abgeführt. Das ist ein Niveau, das eines Kanzlers nicht nur unwürdig ist. Das Heraufbeschwören einer Rückkehr der Nazi-Zeit hat kein deutscher Regierungschef bisher in dieser Art und Weise beschworen.

Allein die Vorstellung wäre vor einem Jahrzehnt nur als Satire möglich gewesen. Doch der Kanzler meint es ernst. Offenbar ist das Vertrauen in die Demokratie bei Scholz so gering ausgeprägt, dass er das Potsdamer Treffen für eine existenzielle Bedrohung hält. Noch einmal bedrückende Emotion, tiefes Verständnis, gespielte Anteilnahme, bei welcher Scholz die Phrasen über die Lippen blättern:

„Und ich versuche mir vorzustellen, wie es wohl den mehr als 20 Millionen Bürgern geht, die eine Migrationsgeschichte haben. Sie wissen: Diese Rechtsextremisten meinen uns. Wir wären von diesem teuflischen Pakt direkt betroffen. Manche von ihnen fragen sich, ob sie hier in Deutschland noch eine Zukunft haben. Das ist fürchterlich.“

Schön, dass der Bundeskanzler so offen fragt. Als einer dieser 20 Millionen Menschen kann der Autor offen sagen: Bitte? Auswanderungsphantasien wegen Stammtischen in Potsdamer Villen mögen manche fragilen Sozialdemokraten zu Auswanderungsgedanken zwingen, so, wie der Wahlsieg von Trump weniger unter Latinos denn unter Linksdemokraten zu delirierenden Zuständen geführt hat. Fürchterlich ist wohl eher die Bankrotterklärung eines Bundeskanzlers, der seine eigene, gescheiterte Politik mit dem Hinweis auf die AfD zu erklären sucht. Eine so billige Ausrede eines deutschen Regierungschefs für das eigene Versagen hat die deutsche Geschichte seit Otto dem Großen nicht gesehen. Von der intellektuellen Beleidigung wollen wir gar nicht erst anfangen.

Direkt betroffen sind Menschen mit Migrationshintergrund zuerst einmal von dem teuflischen Pakt, den die Ampel geschmiedet hat, und der von ihrer betriebenen ruinösen Politik. Nicht die AfD, sondern die seit Jahren und Jahrzehnten dominierende Parteienpolitik treibt die Unternehmen ins Ausland – oder den Bankrott. Dazu passt, dass der Kanzler am Anfang mit Freude von den „Hunderttausenden“ Menschen schwärmt, die in Deutschland gegen die AfD auf die Straße gehen, und seinen eigene Teilnahme betont – und damit die wochenlangen Proteste von Bauern und Mittelständlern nivelliert. Gute Demo, schlechte Demo. Gut, was der eigenen Regierung nützt, schlecht, was ihr schadet. Das ist die sozialistische Mathematik. Die wahren Proteste werden ausgelöscht, die regierungstreuen absolut gesetzt.

Teuflisch ist, das, was gut ist, als schlecht zu verfemen; und das, was schlecht ist, als gut zu deklarieren. Teuflisch sein bedeutet auch, das Richtige mit dem Unrichtigen zu verbinden, um das letzte als richtig wirken zu lassen. Eine teuflische Rhetorik kann man daher auch Scholz attestieren, wenn er das heute verabschiedete Gesetz zur Staatsbürgerschaft in die Debatte wirft. Er instrumentalisiert die Correctiv-Affäre für sein eigenes politisches Projekt. So, als hätte derlei noch vor Tagen eine Rolle gespielt. Zitat:

„Sie gehören zu uns. Unser Land braucht Sie. Der Bundestag hat genau das festgeschrieben – in einem Gesetz. Mit dem neuen Staatsangehörigkeitsrecht sagen wir allen, die oft seit Jahrzehnten in Deutschland leben und arbeiten, die sich an unsere Gesetze halten, die hier zu Hause sind: Ihr gehört zu Deutschland. Wer für sich und seine Familie sorgt, wer sich für unser Land entscheidet und unsere Werte teilt, der kann den deutschen Pass künftig nach fünf Jahren erwerben, statt wie bisher nach acht. Dabei muss niemand, der hier lebt, und seinen Beitrag leistet, seine Wurzeln verleugnen.“

Dass Scholz die Viten all jener Migranten entwertet, für die der deutsche Pass keine Ramschware war, sondern eine mit Schweiß und Tränen erworbene Angelegenheit, etwas, worauf man stolz sein konnte, etwas, um das man kämpfen und ringen musste, das ist egal. Denn auch Scholz ist die Passfrage und die individuelle Biografie gleichgültig. Würde er sich für das interessieren, was den „Bürgern“ und „Menschen mit Migrationshintergrund“ unter den Nägeln brennt, dann würde er längst wissen, dass es eine deutliche Schnittmenge in den Bedürfnissen gibt. Hier ist das Volk längst geeint, ob mit oder ohne Staatsbürgerschaft.

Wonach sich diese Menschen sehnen, das sind etwa: bezahlbare Lebensmittel. Sprit ohne Sondersteuern. Erschwingliche Autos statt Begrenzung des motorisierten Individualverkehrs. Lösung der herkulischen Probleme bei Krankenkassen und Pflege, inklusive der Aufarbeitung der Corona-Jahre. Konzepte für den Wohnungsmarkt, die nicht darauf hinauslaufen, mit Mietpreisdeckel und Vermieterdämonisierung die Lage noch schlimmer zu machen. Universitäten, an denen Forschung und Vermittlung von Wissen vor ideologischer Geistesverengung rangieren. Kindergärten und Schulen, in denen die Bedürfnisse der Kinder vor den Phantasien von Sexualpädagogen und den Selbstverwirklichungsträumen von Transgenderreferenten stehen. Die Möglichkeit für Familien, über die Runden zu kommen, ohne bang auf das Monatsende zu schauen, obwohl beide Elternteile arbeiten.

Ach ja: und einen legalen, gerechten Haushalt. Das Geld dafür hätten wir. Man müsste nur die eigenen ideologischen Bedürfnisse zurücknehmen. Stichwort Klima, Stichwort Energiewende, Stichwort gesellschaftlicher Umbau, oder eben: Große Transformation. Und an dieser Stelle hapert es bei der Ampel, die immer noch glaubt, die jahrzehntelange Verschiebungstaktik Angela Merkels fortführen zu können, indem sie nur die politischen Themen anpackt, die ihr gefallen. Es gäbe zahlreiche Probleme, die sowohl autochthone Deutsche wie Zuwanderer in diesem Land betreffen.

Doch statt diese anzupacken – Stichwort: Mittelstandsproteste –, fährt die Bundesregierung eine Sündenbockpolitik, die – nun ja – auch ihre Vorbilder in der deutschen Geschichte hat, und das nicht nur für einen bestimmten Zeitraum, der dieser Politik als einiger Referenzrahmen ihres selbst verschlafenen Geschichtsunterrichts dient. Die mittelalterliche und frühneuzeitliche Bauernschelte lebt stattdessen wieder auf.

Das ist keine bloße Ablenkung, kein bloßer Hohn. Das ist schlichte Arbeitsverweigerung.

Nicht nur Menschen mit Migrationshintergrund dürfte deswegen nach dieser fünfminütigen Selbstdemontage klar sein: Dieser Kanzler kann es nicht nur nicht, er will es auch nicht können.

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