Tichys Einblick
Des Kanzlers Staatsdemokratie

Olaf Scholz vermisst Egon Krenz am Tag der Deutschen Einheit

Schon als Juso-Vorsitzender übernahm Scholz die Bezeichnung „Demokraten“ für alle jene, die eine linke und später grüne Gemeinwohldiktatur anstreben. Wer wie der Kanzler prahlt, dass die ganz große Mehrheit mit ihm ist, der kennt nicht den einfachsten Prüfstein der Demokratie: Sie erweist sich erst im Respekt vor den Rechten der Minderheit als Demokratie.

Bärbel Bas, Bundestagspräsidentin, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), und Bundesverfassungsgerichtspräsident Stephan Harbarth, Schwerin, 3. Oktober 2024

Olaf Scholz, noch Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland, hat den Tag der Deutschen Einheit zum Tag der Deutschen Demokratischen Einheitsrepublik gemacht und in SED-Manier der Spaltung das Wort geredet. Wenn er über die DDR redet, dann hört es sich an, als sei Erich Honecker aus dem Grabe gestiegen wie der alte Hamlet. Doch leider sind die Ostdeutschen so wenig lernfähig, weshalb es eben in Ostdeutschland eine „besondere Stimmung“, eine „besondere Verstimmung“ und „politische Besonderheiten“ gäbe. Wie hatte doch in den späten Tagen des Politbüros Erich Honecker mit schlechten Reimen sich aus der Wirklichkeit geradebrecht: „Den Sozialismus in seinem Lauf, hält weder Ochs, noch Esel auf.“

Wehmütig dürfte Scholz an seine so kuscheligen Treffen wie im Januar 1984 mit dem FDJ-Chef Eberhard Aurich und dem Sekretär des ZK der SED Egon Krenz an einem Tag wie dem 3. Oktober zurückdenken. Der Historiker Hubertus Knabe zeigte anhand von Dokumenten, dass „Scholz … für die SED besonders interessant“ war, „weil sich der damals 24-Jährige nicht nur als vehementer Kritiker der NATO hervorgetan hatte, sondern auch dem marxistischen Stamokap-Flügel der Jusos angehörte“. Die FDJ würdigte in einem Papier „die Rolle der Jusos in der Bundesrepublik. Sie hätten sich ‚als konsequentester Teil innerhalb der SPD‘ von Anfang an für ein eindeutiges Nein zur Raketenstationierung ausgesprochen … Zu Scholz wurde vermerkt, dass er der Stamokap-Gruppe angehöre, die oft stärker bereit sei, ‚mit Kommunisten zusammenzuarbeiten‘.“

Zeit zum Lesen
„Tichys Einblick“ – so kommt das gedruckte Magazin zu Ihnen
Nach der Wahl von Olaf Scholz zum Bundesvorsitzenden der Jusos rückte der Jugendverband der SPD noch weiter nach links. Hubertus Knabe kommt zu dem Resümee: „Tatsächlich wurde Scholz zu einem wichtigen Verstärker von DDR-Positionen im Vorstand der Jungsozialisten. In der Nachrüstungsfrage, so schrieb er nach seiner Wahl in der ‚Zeitschrift für Sozialistische Politik und Wirtschaft‘, ‚kann es für die fortschrittlichen demokratischen Kräfte in diesem Land nur ein entschiedenes NEIN geben‘.“ Schon damals übernahm Scholz die Bezeichnung „Demokraten“ für alle jene, die eine linke und später grüne Gemeinwohldiktatur anstreben. Denn: Eine dauerhafte Friedenssicherung ist „nur möglich …, wenn das kapitalistische Gesellschaftssystem vom Sozialismus abgelöst wird“. Im Mai 1988 reiste Scholz wieder zu einem Seminar in die DDR. „Der Juso-Funktionär wird mit den Worten zitiert, dass es legitim sei, ‚Vorstellungen über eine andere Entwicklung im jeweils anderen System‘ zu entwickeln – was jedoch nicht bedeute, dass die SPD je wieder ein ‚Ostbüro‘ eröffnen würde. Anschließend äußerte er die Überzeugung, „dass im Zuge der Entwicklung der sozialistischen Länder die sozialistische Demokratie Züge des bürgerlichen Parlamentarismus annehmen werde“, dokumentiert Hubertus Knabe.

Ein Jahr später erhoben sich wohl sehr zum Leidwesen des Juso-Funktionärs Bürger der DDR gegen das Regime, das den Juso-Funktionär Olaf Scholz so sehr hofierte und dem er auf Kosten der Opposition in der DDR zu weit entgegenkam. Ulbrichts Maxime „Es muss demokratisch aussehen, aber wir müssen alles in der Hand haben“ dürfte ihm so tief eingeleuchtet haben, dass er sich noch heute an sie zu halten scheint. Denen, die sich nicht mit Egon Krenz getroffen, sondern ihn von der Macht verdrängt haben, von denen er lernen könnte, was wirklich Demokratie heißt, beschimpft er in seiner Rede als unanständig. Doch Olaf Scholz wusste schon immer in bester Klassenkampfmanier, wo der Feind steht, er sah ihn 1988 im Militär-Industrie-Komplex der USA, sowie in der Stahlhelm-Fraktion“ der Unionsparteien, so wie er sie heute in den „Populisten“ sieht, „die unsere freiheitliche Demokratie bekämpfen“. Scholz droht: „Es wird noch viel harte Arbeit nötig sein, um die Entwicklung zurückzudrehen.“ Wohin „zurückzudrehen“, hat Scholz vergessen zu erwähnen, vielleicht in das Jahr 1984, wo er sich so gut mit Egon Krenz verstand?

Steinmeier spaltet weiter
Verdienstkreuz für Alena Buyx: Der Tag der deutschen Falschheit
Denn, so sagt Scholz: „Die ganz große Mehrheit von Bürgerinnen und Bürgern überall in Deutschland steht fest auf dem Boden“ des Sozialismus, nein „unserer freiheitlichen Ordnung. Das sind die Vernünftigen und Anständigen, das sind die, die nicht nur motzen, sondern auch anpacken für unser Land.“ Der Satz hätte auch von Lenin, Stalin, Ulbricht oder auch Honecker stammen können, man kennt die Schmäh-Figur des Kritikers als des Faulen, der nie mit anpackt, der immer nur „meckert“ oder „motzt“, des unzuverlässigen Intellektuellen, des Klassenfeindes, des Populisten. Die Namen wechseln, der Feind jedoch bleibt, den man so bitter benötigt, um die Folgen eigener Fehler dem Feind als Resultat seines Handelns anzudichten. Schuld sind immer die anderen, schuld ist immer der Feind. Denn Scholzens klimaneutrale Gesellschaft hält in seinem Lauf, weder Ochs, noch Esel auf. Scholz, der am Tisch von Krenz saß, beschimpft die Ostdeutschen, wenn er sagt, dass ein Drittel von ihnen ihre Stimme dem Klassenfeind gegeben, dass sie eine „autoritäre und nationalradikale Politik“ gewählt hätten.

Was an der Politik von Scholz und Faeser und Habeck und Baerbock ist nicht autoritär? Dass die Beweispflicht für Beamte umgekehrt werden soll, ist sicher liberal, so liberal wie eine Zeitschrift zu verbieten und den Herausgeber mit Medien und Polizistenaufgebot aus dem Schlaf zu klingeln. Eine Partei verbieten zu wollen, sie ihrer demokratischen Rechte zu berauben, nur weil man ihr argumentativ nicht beikommt, ist nur allzu demokratisch im Sinne der sozialistischen Demokratie. Und in Verschwörungstheorien abzutauchen, hilft sicher gegen (Des-)Information. Und dass sich die Brandmauerparteien, die Grünen, die SPD, die FDP und die Union sich ein Beispiel an der Nationalen Front der DDR nehmen, stellt staatssicher den Gipfel der demokratischen Kultur dar.

Man gewinnt beim Zuhören den Eindruck, die Bürger einfach nur so wählen zu lassen, sei falsch verstandene Demokratie, weil die Bürger nämlich zu einfältig sind und sich ständig immer nur von den Populisten, von den Motzern, von dem Über-Putin, vor allem von den Marsmännchen verführen lassen, muss man ihnen auch sagen, was sie wählen sollen. Darin besteht die Aufgabe der Demokraten, dem Volk zu sagen, was es zu wählen hat. Warum druckt man die Wahlzettel nicht gleich mit den gesetzten Kreuzen aus? Denn man beginnt sich allmählich zu fragen, weshalb die Parteien, die sich vor der Wirklichkeit hinter der Brandmauer verstecken, nicht sich auf einen Mandatsschlüssel einigen, einen gemeinsamen Wahlvorschlag erarbeiten, der auch die Anzahl der Mandate festlegt, die jeder Partei zustehen. Schließlich unterscheiden sie sich kaum noch in ihren politischen Angeboten. So schwer kann es doch nicht sein, die DDR hat es vorgemacht. Auf diese Weise entfällt auch die lästige Wahlkabine.

Olaf Scholz behauptete, dass die Wahlergebnisse der „Populisten“ „nicht nur in Ostdeutschland“ „unserer Wirtschaft und unserem Ansehen in der Welt“ schaden. Ist der Wirtschaftsminister Robert Habeck für Olaf Scholz etwa ein Populist, denn Robert Habeck verantwortet die rasante Deindustrialisierung, den Niedergang des Wirtschaftsstandorts Deutschland, sodass man die Rezession, in der Deutschland versinkt, wohl Habeck-Rezession nennen darf. So geht wenigstens auf diese Art sein Name in die Geschichte ein. Ist Annalena Baerbock eine Populistin, denn sie hat Deutschlands Ansehen so sehr geschadet, dass „noch viel harte Arbeit nötig sein“ wird „um diese Entwicklung“, die Deutschland zur Lachnummer in der Welt macht, „zurückzudrehen“?Gerade eben bestellte das ungarische Außenministerium die deutsche Botschafterin Gross ein, die nicht als Diplomatin, sondern als politische Aktivistin in Budapest agiert.

Doch man erwartet zu viel von dieser Regierung, wenn man von ihr nichts erwartet, denn es wäre schon viel gewonnen, wenn sie nichts, als wenn sie etwas täte.

Und Olaf Scholz? Er hat so laut auf den Tisch des Bundeskabinetts gehauen, dass keine Strafzölle auf E-Autos made in China gelegt werden sollen, dass die sich in Brüssel erst vor Lachen gekugelt und dann beschlossen haben, dass die Strafzölle kommen, aber vonderleyensicher. Sehr zum Schaden der deutschen Autoindustrie, sehr zum Nutzen der französischen.

3. Oktober statt 17. Juni
Freiheit statt Einheit: Zum Tag der Deutschen Einheit
Doch besser als die Wirklichkeit sind die Träume des Olaf Scholz schon: „Inzwischen lassen sich viele globale Technologieunternehmen gerade auch in Ostdeutschland nieder. Sie kommen, weil Strom aus Wind und Sonne hier schon reichhaltig zur Verfügung steht.“ Schade, dass Olaf Scholz nicht noch hinzugefügt hat: zu jeder Tages- und Nachtzeit und zu allen Jahreszeiten. Dieser Satz hatte zur Perfektion seines Traumes gefehlt. Den Satz über Ochs und Esel äußerte Honecker, der ihn in der DDR zum Gespött machte, am 14. August 1989, als ihm während des Besuches des Erfurter Mikroelektronikwerks „Karl Marx“ ein 32-bit-Speicherchip vorgestellt wurde. Honecker glaubte mit Blick auf den 32-bit-Speicherchip an den Siegeszug der DDR.

Doch am gleichen Tag schloss die bundesdeutsche Botschaft in Budapest, die 180 DDR-Bürger, die in die Bundesrepublik wollten, aufgenommen hatte, aus Überlastung die Pforten. Der Anfang vom baldigen Ende der DDR war eingeläutet. In Unkenntnis dieser Geschichte erwähnte Olaf Scholz mit einer an Erich Honecker erinnernden Freude angesichts des 32-bit-Speicherchip an die Leistungen der Mikroelektronik in der DDR, in Dresden und in Erfurt. Scholzens klimaneutrale Gesellschaft in ihrem Lauf, halten weder Habeck, noch Baerbock auf. Jedenfalls ist die Regierung Scholz die beste Bundesregierung nach den Merkel-Administrationen ab 2011, die wir je hatten, zumindest wenn es gegen die Interessen der deutschen Bürger geht.

Ein letztes noch: Diejenigen Ostdeutschen, die Scholzens Beschimpfung von einem Drittel vor allem der ostdeutschen Wähler als unanständig hörten und applaudierten, sollten sich schämen. Mir geht es nicht um die AfD. Mir geht es um die demokratischen Spielregeln. Wer die Demokratie durch Einschränkung der Demokratie retten will, der rettet die Demokratie nicht, der schafft sie ab. Wer prahlt, dass die ganz große Mehrheit mit ihm ist, der kennt nicht einmal den einfachsten Prüfstein der Demokratie. Denn eine Demokratie erweist sich erst im Respekt vor den Rechten der demokratischen Minderheit als Demokratie. Das gilt für alle.


Die mobile Version verlassen