Oikophobie ist der Hass auf das Eigene, etwa die eigene Kultur, das eigene Land, oder die eigene Herkunft, also das Gegenteil von Xenophobie, Fremdenhass. In vielen westlichen Ländern haben wir mittlerweile ein Klima erreicht, in dem jede Verbundenheit mit spezifisch westlichen oder gar nationalen Traditionen schon als eine Form von Xenophobie gilt. Das einzige Heilmittel dagegen ist dann aus der Sicht der woken, „weltoffenen“ Linken offenbar eine massive Ablehnung alles Eigenen.
Diese Form der Oikophobie, die in den angelsächsischen Ländern, aber zum Teil auch in Deutschland besonders stark ausgeprägt ist, nimmt mittlerweile groteske Züge an. In Großbritannien ist man sich jüngst sogar „bewusst geworden“, dass Landschaftsbilder gefährlich sein können. Sie verherrlichen oft die heimische Landschaft und schaffen damit ein Gefühl nationaler Identität. Das ist aus der Sicht vieler Kuratoren an den Museen an sich schon bedenklich, wird aber umso verwerflicher, wenn Personen, die aus anderen Ländern stammen und vielleicht auch eine andere Religion oder Hautfarbe haben, damit von der gesellschaftlichen Teilhabe implizit ausgeschlossen werden.
Von daher ist es konsequent, dass das früher durchaus renommierte Fitzwilliam-Museum in Cambridge nun seine Besucher vor den düstereren Aspekten der klassischen Landschaftsmalerei nachdrücklich warnt. Eine verspätete Triggerwarnung, die hoffentlich zukünftige Betrachter dieser Bilder vor schweren Traumata bewahren wird.
Das Berliner Stadtschloss als Hassobjekt der Wokies
Aber noch schlimmer als Landschaftsbilder können Skulpturenprogramme an öffentlichen Gebäuden sein, so sehen es zumindest unsere woken Freunde. Der Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses war von Anfang an umstritten. Die politische Linke sah im Wiederaufbau in weiten Teilen eine Verhöhnung des real existierenden Sozialismus, der bis 1989 in der DDR sein segensreiches Wirken entfaltete und in dessen Namen das alte Stadtschloss nach dem Krieg abgerissen worden war. An die Stelle des Palastes der Republik, den man pietätlos zerstörte, wurde in den letzten Jahren das barocke Stadtschloss der Hohenzollern in Teilen wiedererrichtet.
Bei denjenigen, die den Aufbau von jeher abgelehnt hatten, war die Kuppel besonders umstritten, weil ihr architektonisches Programm sich mit einem expliziten Bekenntnis zum Christentum verband, das etwa in einem Spruchband am Sockel der Kuppel seinen Ausdruck fand. Ein solches Bekenntnis so die Kritiker, sei mit der Funktion des neuen alten Gebäudes, das jetzt als Museum Kunstwerke und Artefakte aus der ganzen Welt und aus sehr vielen unterschiedlichen Kulturen präsentiert, nicht vereinbar.
Dabei scheinen manche Feinde der Rekonstruktion wirklich zu glauben, dass man im heutigen Berlin, in dem die Christen jedweder Konfession schon jetzt eine marginalisierte Minderheit sind (etwa 20 Prozent der Bevölkerung nach den Statistiken), genauso in politischer Absicht an ein christliches Lebensgefühl appellieren könne, wie das vor 170 Jahren vielleicht noch teilweise möglich war. Das ist ersichtlich nicht der Fall. Vielmehr wirkt das Schloss mit seiner Kuppel vor allem museal. Allerdings erinnert es natürlich schon an eine Epoche, in der die Kultur Berlins in der Tat noch preußisch und christlich geprägt war. Wenn das schon ein Skandalon ist, müssen wir freilich alle baulichen Zeugnisse älterer Epochen, die in unseren Städten sichtbar sind, schleifen.
Sind die Propheten des Alten Testamentes islamophob?
Nun haben freilich die Kritiker der Wiederherstellung des Schlosses und seiner Kuppel einen weiteren Stein des Anstoßes gefunden: Am Fuße der Kuppel wurden am 19. März acht Figuren biblischer Propheten, darunter Daniel und Jesaja aufgestellt, nachdem schon zuvor auf der Balustrade des Daches Moses und Elias ihren Platz gefunden hatten. Für den recht einflussreichen Kolonialhistoriker Jürgen Zimmerer in Hamburg und den Architekturtheoretiker Philipp Oswalt von der Universität Kassel ist damit endgültig eine rote Linie überschritten: „Man muss inzwischen von einer bewussten fundamental-christlichen Unterwanderung des Stadtschlosses ausgehen, die sich bestens in die islamophoben Tendenzen der Zeit einfügt,“ so schreiben sie wutentbrannt auf einem Blog der Universität Hamburg zum Thema Kolonialismus.
Es wird kleinliche Gegner ihrer Polemik geben, die darauf verweisen, dass die Propheten des Alten Testamentes für alle drei abrahamitischen Religionen, für das Judentum ohnehin, aber eben auch für den Islam zentrale Gestalten sind; im Islam ähnlich wie im Christentum als Vorläufer eines späteren Verkünders der göttlichen Botschaft, der die Offenbarung vollendet. Aber dieses Ausmaß religionsgeschichtlicher Kenntnisse sollte man wohl von Professoren in Hamburg und Kassel nicht verlangen, das wäre unfair. Wo würden wir hinkommen, wenn Universitäten diese Art von Bildung bei ihren Dozenten voraussetzen würden? Dann wären viele Professuren vielleicht gar nicht mehr zu besetzen.
Am Ende besitzt das wiederhergestellte Skulpturenprogramm der Berliner Schlosskuppel für Oswalt und Zimmerer „völkische Anklänge“. Sie werden uns sicher noch erklären, in welcher Weise die religiöse Botschaft von Figuren aus der Bibel, die, wenn sie denn überhaupt noch als solche wahrgenommen wird, sich an alle Menschen auf der Welt richtet, unabhängig von ihrer Herkunft, völkisch sein soll. Aber das wird ihnen sicher gelingen, auch wenn der Umstand, dass der Erbauer der Kuppel, Friedrich Wilhelm IV. mit der deutschen Nationalbewegung seiner Zeit eigentlich eher wenig anfangen konnte und 1849 die ihm angebotene deutsche Kaiserkrone verächtlich ablehnte, ein zusätzliches Problem darstellt.
Deutlich haben Oswalt und Zimmerer aber eines gemacht: Dass wir alle, aber auch wirklich alle baulichen und künstlerischen Zeugnisse der Vergangenheit, dort, wo sie in irgendeiner Weise christlich, westlich-europäisch oder gar horribile dictu „deutsch“ geprägt sind, mit Ablehnung und Widerwillen betrachten müssen. Nur dann können wir hoffen, eines Tages in einer Welt zu leben, die moralisch rein ist.
Sollen wir alle sichtbaren Zeugnisse der älteren europäischen Geschichte im öffentlichen Raum beseitigen?
Das Ausmaß an Oikophobie, an Hass auf die eigene kulturelle Tradition, das in den Äußerungen aus Hamburg und Kassel zur Rekonstruktion des Berliner Schlosses zum Vorschein kommt, ist erschreckend, zumal diese Äußerungen sicherlich typisch sind für eine in der Gesellschaft und den Medien mittlerweile breit verankerte Haltung. Überdies offenbart sich hier ein zutiefst unhistorisches und unwissenschaftliches Denken; es zählt nur der politische Aktivismus, jedes differenzierte Urteil, das etwa die ästhetische Wirkung von Kunstwerken berücksichtigt oder versucht, sie aus ihrer Zeit heraus zu verstehen, wird abgelehnt.
Folgt man den beiden „Kathederaktivisten“, dann müsste man im Grunde genommen auch Stadtlandschaften, die Zeugnis ablegen von einer älteren, vordemokratischen, durch Fürsten, Patriziate und adlige Eliten geprägten Kultur – man denke an alte Reichsstädte in Deutschland oder an Städte wie Wien oder auch an Florenz – radikal reinigen, wenn nicht gar ganz zerstören, weil sie an ein Wertesystem erinnern, das mit unserem heutigen nicht mehr verträglich ist. So dachten in Frankreich die Jakobiner nach 1789, die daher auch Klöster und Kirchen in großem Umfang dem Abbruch überantworteten, freilich auch nicht wenige Köpfe rollen ließen, um auch die Welt der Gedanken zu säubern. Und in der Tat stellt sich die Frage, ob ein Fanatismus, der sich mit einem so intensiven Hass auf die architektonischen Spuren der Vergangenheit verbindet, beim Kampf gegen Kunstwerke stehen bleiben wird, oder ob er nicht weiterschreiten muss.
Abzuwarten bleibt jetzt noch, ob die beiden eminenten Gelehrten aus Hamburg und Kassel oder ihre loyalen Schüler jetzt auch Hammer und Meißel in die Hand nehmen und ihren Worten Taten folgen lassen, um die Symbolfiguren einer so schändlichen christlich-fundamentalistischen Tradition mit eigener Hand vom Sockel zu stoßen. Das wäre eine ähnlich bedeutsame Tat wie die Zerstörung des Porträts des „Imperialisten“ und vermeintlichen „Zionisten-Freundes“ (aus der Sicht seiner Kritiker) Arthur Balfour im Trinity College in Cambridge durch eine Studentin, ein Akt der kulturellen Reinigung, für den sicherlich viele Vertreter einer konsequenten Dekolonialisierung unserer Kultur auch in Deutschland Sympathie empfinden.