Verfassungsferne Politik scheint zu einem stilbildenden Charakteristikum der Ampel-Regierung zu werden. Das Bundesverfassungsgericht hat geurteilt, dass durch kreative Etatplanungen die Gelder zur Bekämpfung der Corona-Krise nicht mit einem Nachtragshaushalt für andere Aufgaben umgewidmet werden dürfen. Neben einem Finanzierungsloch von 60 Milliarden Euro und der Frage nach der Verfassungsmäßigkeit des rund 200 Milliarden Euro schweren „Sondervermögens“ für die Energiepreisbremsen ist mit dem Urteil eine Situation entstanden, die vor allem der Regierung attestiert, nicht im Rahmen der Verfassung zu arbeiten.
Während noch an den Geld- und Imageschäden laboriert wird, plant der nächste Ampel-Minister einen neuen Gang nach Karlsruhe, um vor dem höchsten Rechtsorgan zu scheitern. Ganz auf der Linie einer von den Grünen praktizierten Verbotspolitik will der Ernährungsminister mit pädagogischem Eifer Informationsfreiheit, Berufsfreiheit und die Spielräume der Wirtschaft beschneiden. Dazu hat sich Cem Özdemir in gewohnter Eintracht mit Ideologen der NGO-Szene eine naive Milchmädchenrechnung gebastelt. Er glaubt erkannt zu haben, dass Werbung dick macht. Wenn Kinder bis 13 Jahre die Werbung für unliebsame Nahrungsmittel nicht mehr sehen würden, so seine realitätsfernen Gedankengänge, würden die Kinder diese Produkte auch nicht mehr essen wollen und damit automatisch schlanker werden.
Nur das Lebensmittelangebot wird schlanker
Mit den geplanten Werbeverboten haben sich bereits Verfassungsrechtler in Gutachten zu der Zuständigkeit des Bundes und den massiven Einschnitten bei grundgesetzlichen Freiheiten sehr kritisch beschäftigt. Die betroffene Werbewirtschaft sieht einen rechtlichen und ökonomischen Kahlschlag. Und nicht zuletzt die Lebensmittelwirtschaft und der Handel reagieren mit Ablehnung auf die ministerielle Verbots-Strategie, da zwischen 70 und 80 Prozent aller Lebensmittel von den Marketing-Einschränkungen erfasst sein könnten.
Welche Auswirkungen das auf die Motivation der Hersteller, entsprechende Produkte zu produzieren, und das breite Angebot im Handel hat, ist ohne viel Phantasie zu prognostizieren. Auch die Auswirkungen auf die Arbeitsplätze sind absehbar. Özdemir gibt damit der Wirtschaftspolitik seines Parteikollegen bei den Grünen weiteren Schwung.
Zwei Dokumentationen der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages, die den Abgeordneten sachliche Informationen liefern sollen, signalisieren Özdemir bereits während der laufenden Beratungsphase eindeutig, dass sein Gesetz vor dem Verfassungsgericht landen und dort scheitern könnte. Mit etwas Vernunft könnte er sich die Arbeit sparen und seine Energie für sinnvollere Projekte, auch wenn diese weniger effekthaschend sind, einsetzen.
In einer Dokumentation wird die Verfassungsmäßigkeit der Werbeverbote auf den Prüfstand gestellt. So existieren deutliche Zweifel, ob der Bund überhaupt in einer solchen Frage über die notwendige Gesetzgebungskompetenz verfügt. Bei einem Verstoß gegen die Kompetenzordnung des Grundgesetzes wäre ein Gesetz formell verfassungswidrig. Nicht zuletzt könnten die Werbeverbote vor Gericht auch an der notwendigen Angemessenheit scheitern. Dabei geht es um die Abwägung zwischen einem behaupteten Gesundheitsschutz für Kinder mit den existierenden Grundrechten im Hinblick auf die Berufsfreiheit der Unternehmen und die Informationsfreiheit der Verbraucher.
Konstruierte Behauptungen statt Fakten
Auch sachlich gibt es nach Experten-Einschätzung keine Rechtfertigung für die Pläne des Ernährungsministers. Im Gegensatz zu seiner Meinung, dass die Werbung eine Ursache für Übergewicht und Adipositas ist, nennt das wissenschaftliche Faktenpapier der Bundestags-Fachleute eine Vielzahl verantwortlicher Faktoren wie genetische, sozio-ökonomische und medizinische Ursachen und zudem Bewegungsmangel sowie Rahmenbedingungen bei der Nahrungsaufnahme. Diese Komplexität, so die unabhängigen Experten, wird durch Werbeverbote nicht aufgelöst. Sie weisen darauf hin, dass selbst in denjenigen Ländern, in denen derartige Verbote existieren, wissenschaftlich fundiert kein entsprechender Effekt nachgewiesen werden kann.
Ideologisch begründete Meinungen sind etwas anderes als wissenschaftliche Fakten. So schreiben die Wissenschaftlichen Dienste dem Ernährungsminister einen klaren Hinweis in sein Stammbuch. „Im Rahmen von Versuchen oder auf der Grundlage statistischer Daten ermittelte korrelative Zusammenhänge lassen in der Regel nicht ohne weiteres Rückschlüsse über einen vorliegenden kausalen Zusammenhang zu.“ Für eine sachlich fundierte Politik darf nicht der Wunsch der Vater des Gedankens sein. Özdemir wird als Volkserzieher ein weiteres Mal scheitern wie bereits 2013 mit seiner Initiative, als Vorsitzender der Grünen einen nationalen Veggie Day einzuführen.
Detlef Brendel ist Wirtschaftspublizist.