Als Wörter des Jahres 2022 standen Begriffe zur Auswahl wie Gaspreisbremse, Klimakleber für die konstruktiv für den Klimaschutz arbeitenden Pattex-Extremisten oder Glühwein-WM. Ausgewählt worden ist dann von der Gesellschaft für deutsche Sprache die Zeitenwende, also ein Schlagwort, das signalisieren soll, dass die Politik sich mit den Fragen der Zeit beschäftigt, sich diesen zuwendet und konstruktiv etwas ändern will. Ein Wort des Jahres soll den sprachlichen Nerv treffen und einen Beitrag zur Zeitgeschichte darstellen. Exakt dazu hätte auch der Doppel-Wumms die richtige Strahlkraft gehabt. Da, wo es in der Politik an Nachvollziehbarkeit und verständlichen Erklärungen fehlt, arbeiten die politischen Fachkräfte mit onomatopoetischen Ausdrücken.
Trendgerecht zeigt auch die Politik hybride Tendenzen
Es ist eine strategische Kombination von an eigene Kompetenz glaubende Hybris und einem die Bürger in trügerischer Sicherheit wiegenden Narrativ, mit dem die Volkserziehung geprobt wird. Eine für die Demokratie risikoreiche und das Leitbild des mündigen Bürgers untergrabende Blaupause liefert aktuell das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL). Dem Minister und seinen zunehmend mit NGO-Erfahrungen ausgestatteten Führungskräften gelingt es besonders gut, ein geeignetes Narrativ zu entwickeln. Sie behaupten, das Volk schlanker und gesünder machen zu wollen. Da fällt der Widerspruch auf den ersten Blick schwer. Was soll an dieser guten Absicht kritikfähig sein?
Die Behauptung, die Volksgesundheit zu stärken und Kinder zu schützen, liefert eine Begründung, mit der Herrschaft über das Verhalten der Menschen kaschiert wird. Es ist ein Prozess, der im Sinne von Hybris politische Denkweisen verbirgt, die eine Gefährdung von Demokratie in ihren Ansätzen erkennbar werden lassen. Hier erhebt sich Macht über Rechtsstaatlichkeit. Und das mit dem vermeintlichen Anspruch von Vernunft.
Die Ernährungsstrategie des BMEL ist grundsätzlich im Hinblick auf die ideologisch basierten Ziele und die relevanten Fakten kritisch zu prüfen. Das Ministerium hat klar definiert, dass eine pflanzenbetonte oder sogar vegane Ernährung favorisiert werden soll. Als wesentliches Argument wird neben der angeblichen Verbesserung der Volksgesundheit der Klimaschutz angeführt. Hier wird mit gezinkten Karten operiert. Mantraartig wird wiederholt, dass wir den Konsum tierischer Nahrungsmittel reduzieren sollten, also den Verzehr von Fleisch und Milchprodukten, weil diese Lebensmittel wegen des starken Ressourcenverbrauchs tendenziell eher klimaschädlich sind.
Das ist tendenziell eine irreführende Behauptung. Die Daten und Fakten sprechen eine andere Sprache. Wenn der Gesellschaft pflanzliche Eiweißquellen für die Proteinversorgung verordnet werden, hat das erhebliche Konsequenzen für den Ressourcenverbrauch und die Klimabelastung. Die als wesentlicher Faktor der Treibhausgasemissionen diskriminierte Fleischerzeugung ist tatsächlich an den Treibhausgasen nur mit 37 Prozent beteiligt.
Es fehlt die Ackerfläche
Auch bei der Landnutzung, die durch die Produktion von Lebensmitteln verursacht wird, sprechen die tatsächlichen Zahlen eine andere Sprache, als die Ideologen einer pflanzenbetonten Ernährung behaupten. Für die Produktion tierischer Lebensmittel werden 35 Prozent der Landnutzung benötigt. Die Produktion pflanzlicher Lebensmittel beansprucht 47 Prozent der Landnutzung. Und noch ein weiterer Aspekt, den die plakativen Aussagen vom regionalen Einkauf sehr gut kaschieren, ist relevant. Deutschland ist bei Lebensmitteln notwendigerweise ein Importland, weil die landwirtschaftliche Nutzfläche nicht annähernd reicht, um eine Versorgung mit Lebensmitteln sicherzustellen. In konkreten Zahlen: Für die gesamte Ernährung werden 377.841 qkm benötigt. Die Gesamtfläche Deutschlands beträgt 357.000 qkm. Davon stehen für die Landwirtschaft anteilig 136.603 qkm zur Verfügung. Da wir in Deutschland für eine pflanzenbetonte Ernährung nicht über ausreichende Flächen verfügen und der Flächenbedarf noch signifikant steigen würde, wäre dies eine Verlagerung ins Ausland.
Wir exportieren Umweltprobleme
Im BMEL hat man offenbar noch den Glauben, die angebotenen Lebensmittel würden auf ganz natürliche Weise im Supermarkt vorkommen. Und dabei ist noch nicht einmal der klimarelevante Transport das eigentliche Problem. Es ist ein irreführendes Narrativ, dass von den ministeriellen Aktivisten der Eindruck erweckt wird, der Landwirt aus der Nachbarschaft würde die gesunden Feldfrüchte mit dem Trecker im Supermarkt vorbeibringen. Die angestrebte Verlagerung auf pflanzliche Ernährung ist eine gezielte Umweltschädigung durch einen Minister der Grünen. Importierte Lebensmittel sind exportierte Umweltprobleme. Es ist wie vieles andere in der geplanten Ernährungsstrategie weder faktenbasiert noch verantwortungsvoll.
Eine vegetarische oder vegane Ernährung würde besonders in den Ländern, in denen Wasser Mangelware ist, den Wasserverbrauch deutlich erhöhen. Bei der derzeitigen Ernährung liegt der Wasserverbrauch pro Kopf und Jahr für die Nahrungsmittelproduktion bei 29,21 m3. Der größte Teil davon entfällt mit 24,08 m3 auf pflanzliche Lebensmittel. Fleisch und Wurst nehmen hier mit 3,27 m3 sowie Milch, Käse, Eier etc. mit 1,86 m3 einen deutlich geringeren Teil ein. Bei einer flexitarischen Ernährung, also einer stärker pflanzenbasierten Kost und einem maßvollen Fleischkonsum, steigt der Wasserverbrauch pro Kopf und Jahr auf 38,9 m3, davon allein 36,33 m3 für pflanzliche Lebensmittel. Bei einer vegetarischen Ernährung steigt der Verbrauch auf 39,41 m3. Das teilt sich auf in 38,76 m3 für pflanzliche Lebensmittel und einen geringen Anteil von 0,65 m3 für Milch, Käse, Eier etc. Eine vegane Ernährung würde dagegen fast zu einer Verdoppelung des Wasserbedarfs führen. Hier liegt der Verbrauch pro Person und Jahr bei 45,41 m3. Dieser Wert entspricht exakt der Produktion der notwendigen pflanzlichen Lebensmittel.
Steuern durch Steuern
Das grundsätzliche Thema einer staatlich gesteuerten Ernährung durch den Fiskus wird strategisch geschickt vorbereitet. Aktuell gewöhnen sich die Menschen an eine zunehmende Steuerung der Wirtschaft durch den Staat. Preise werden gedeckelt, Kosten werden ausgeglichen und Steuergelder in mehrstelliger Milliardenhöhe machen aus Wirtschaftsunternehmen Staatskonzerne. Warum nicht auch dann bei den Lebensmitteln? Sie gehören zu den Treibern der aktuellen Inflation. Und ihre Kosten sind in der privaten Haushaltskasse spürbar. Hier durch Senkungen der Mehrwertsteuer einzugreifen, was natürlich auch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer bei unliebsamen Produkten impliziert, kann mit Zustimmung der Verbraucher rechnen. So gewöhnen wir uns an die Lenkungswirkung fiskalischer Maßnahmen in der heimischen Küche. Und grundsätzlich gewöhnen wir uns auch an die Zunahme staatlicher Einflüsse auf die Preisgestaltung der Wirtschaft. Von einer staatlich gesteuerten Wirtschaft sind wir noch ein gutes Stück entfernt. Aber die Grundprinzipien werden erkennbar.
Sofort melden sich Fürsprecher der Regulation zu Wort. Bernhard Burdick, Gruppenleiter Ernährung bei der Verbraucherzentrale NRW will eine Steuersenkung nur für pflanzliche Grundnahrungsmittel erreichen. Im Gegensatz dazu kann er sich einer Anhebung der Mehrwertsteuer bei tierischen Produkten vorstellen, um Anreize für eine angeblich gesündere, klimaschonende Ernährung zu schaffen. Das passt gut zur populistischen Linie von Preisdeckeln und Preisbremsen, mit denen aktuell in die Preismechanismen des Marktes massiv eingegriffen wird.
Vorauseilender Gehorsam im Handel
Populismus ist aber auch an anderer Stelle zu registrieren. In diesem Fall ist er sehr bedenklich. Lidl ist offenbar zu der Erkenntnis gekommen, dass man als Discounter eine maßgebliche Schuld daran trägt, dass die Menschen ungesund leben und dicke Kinder verzweifelt an der Reckstange hängen. Nun will die Discounter-Kette, die mit rund 24 Milliarden Umsatz zu den führenden Unternehmen im Lebensmittelhandel zählt, Verantwortung übernehmen. Im Marketing soll künftig mehr Rücksicht auf die Gesundheit von Kindern geachtet werden. Werbung für Eigenmarken sowie deren Verpackungen sollen ab Frühjahr dieses Jahres entsprechend angepasst werden. Der Kreativität sind dabei keine Grenzen gesetzt. Der Hinweis auf der Schokolade „Wenn Du ausschließlich Schokolade isst, wirst Du ein unsportliches Pummelchen“ wird es aber wohl kaum werden.
Von den Foodwatch-Aktivisten kommt natürlich sofort Beifall. Sie behaupten, damit würde sich Lidl an dem wissenschaftlich fundierten Nährwert-Profil-Modell der WHO orientieren. Mit Wissenschaft hat dieses Modell nichts zu tun. Die Adipositas-Phobie der WHO ist nicht wissenschaftlichen Erkenntnissen geschuldet, sondern nachweislich der Korruption. Niemand interessiert sich offenbar dafür, dass die angebliche Adipositas-Epidemie und in diesem Kontext speziell die Verteufelung des Zuckers durch Schmiergelder entstanden ist. Als Prof. Philip James, der Ernährungsguru der Organisation, daraus ein zentrales Thema der WHO konstruierte, hatte er keine wissenschaftlichen Fakten, sehr wohl aber Millionen-Überweisungen als Gegenleistung für seine gezielte Konstruktion eines Ernährungs-Problems. Weder James noch die WHO haben diese Finanzierung ihrer Strategie je bestritten.
Ein Problem der gesamten Diskussion ist deren mangelhafte Grundlage. Sie orientiert sich nicht an Fakten, sondern an Meinungen, die mantraartig wiederholt werden. So entwickelt sich aus ideologischen Vorstellungen allmählich eine vermeintliche Datengrundlage. Das Narrativ von grundsätzlich ungesunden Lebensmitteln wird von seriösen Ernährungswissenschaftlern nach wie vor als nicht zutreffend abgelehnt. Zucker, Fett und Salz als Bestandteile von Lebensmitteln machen weder dick noch krank. Das Übergewicht, das in Relation zur Bildungsferne der Betroffenen steigt, ist eine Folge ungesunden Lebensstils. Darüber aufzuklären, erscheint aber dem Ministerium zu schwierig, einem Unternehmen wie Foodwatch als wenig zuträglich bei der Akquisition von Spendengeldern und einem Discounter wie Lidl als Information außerhalb des Zuständigkeitsbereichs. So kann man den Marketing-Strategen von Lidl nur wünschen, dass der Absatz mit unattraktiven Verpackungen der Eigenmarken nicht dramatisch einbricht und dass Kinder und Jugendliche sich mit attraktiven Markenprodukten gelegentlich eine leckere Belohnung verschaffen.
Die Diskrepanz zwischen einem ernährungspolitischen Anspruch und staatlichen Maßnahmen einer durch Ideologie getriebenen Lenkung zeigt sich besonders deutlich in der Diskussion von Werbeverboten. Werbung, ein in einer freien Gesellschaft gewohntes und allgegenwärtiges Segment der Kommunikation, hat auch erhebliche Relevanz für die Demokratie.
Werbeaufwendungen der Wirtschaft finanzieren in wesentlichem Umfang die Medien, die für das System der Demokratie notwendig sind. Vor diesem Hintergrund sind Werbeverbote immer auch Einschränkungen der Kommunikationsfreiheit. Werbung hat aber auch in anderer Weise etwas mit Demokratie zu tun, speziell auch bei Kindern und Jugendlichen. Ohne eine Konfrontation mit Werbung können Kinder und Jugendliche nicht die notwendige Kompetenz erlernen, mit der sie in ihrem Leben mit einer immer vorkommenden Werbung umgehen können und müssen. Es sind Kommunikationsverbote, um die es hier geht. Für eine Demokratie ein bedenkliches Ansinnen.
Am 3. Januar 2023 hat sich die Chefin der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) Ramona Pop geäußert und eine deutlich strengere Regulierung der Werbung für solche Kinderprodukte gefordert, die den korrupten Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation nicht entsprechen. Sie kritisiert lustige und niedliche Bildchen auf den Lebensmitteln, fordert eine „Bannmeile“ rund um Kitas und Schulen sowie Restriktionen für Fernsehen, Radio, Influencer und Influencerinnen. Für Plakatwerbung soll eine Hundert-Meter-Bannmeile um Kitas, Schulen und Spielplätze gelten. Werbeverbote in den Medien sollen für die Zeit von 6:00 bis 23:00 Uhr erlassen werden. Nicht zuletzt fordert Pop auch eine Strafsteuer für Süßgetränke, die sich am Zuckergehalt orientiert.
Die Politik verschließt sich auch hier der Realität und den Fakten. Es existieren bereits einschneidende Werbebeschränkungen. So gibt es eine umfangreiche Selbstregulierung der Unternehmen, um beispielsweise keine Werbung in klar definierten Kindersendungen zu schalten. Eine inhaltliche Regulierung der Werbung wird in wirkungsvoller Weise zudem durch die Verhaltensregeln des Deutschen Werberats geleistet. Mit der paternalistischen Politik werden die Verantwortlichkeiten von Unternehmen ebenso beschnitten wie der innovative Wettbewerb.
Verantwortungsbewusste Organisationen wie der Werberat werden ad absurdum geführt. Als Vormund der Bürger wird Cem Özdemir, der sich besser sachlich mit den Anbauflächen für sein favorisiertes Gemüse beschäftigen sollte, wirklich nicht gebraucht. Aber Hybris ist nun offenbar mit einer allumfassenden Kompetenz verknüpft.
Detlef Brendel ist Wirtschaftspublizist.