Kai Buchmann wird nun die Geschicke der nordthüringischen Stadt weiter leiten. Er hat die Wahl mit letztlich 54,9% der Stimmen gegen Jörg Pophet von der AfD, für den 45,1 % der Stimmen ausgezählt worden sind, entschieden. Damit hatte Prophet sein Wahlergebnis vom ersten Wahlgang noch um 4 % verbessern können.
Zur Erinnerung: Der Kandidat der AfD, Jörg Prophet, ging mit 42,1 Prozent der Stimmen als eindeutiger Sieger aus dem ersten Wahlgang hervor, während der parteilose Kandidat Kai Buchmann nur 23,7 Prozent erhielt, gefolgt von der SPD-Kandidatin Alexandra Rieger mit 18,6 Prozent, dem parteilosen Kandidat Andreas Trump mit 11,2 Prozent, Stefan Marx von der FDP mit 3 Prozent und schließlich der Grüne Carsten Meyer mit 1,4 Prozent. Dass Jörg Prophet in die Stichwahl musste, entspricht den demokratischen Gepflogenheiten. So weit, so normal.
Doch Jörg Prophet ist nicht nur ein Kandidat der AfD, sondern er hat in einem verschwurbelten Beitrag für die Homepage seines Kreisverbandes unter dem Titel „Trauer um die Opfer von Dresden 1945“ ein wirres Geschichtsbild offenbart, in dem seine Gegner rechtsradikale Chiffren lesen. Darüber kann und muss diskutiert werden. Doch stellt es das Gegenteil einer Debatte dar, wenn das Mitglied einer Chefredaktion mit Blick auf Nordhausen „spitzfindige und akademische Debatten“ im Umgang mit der AfD ablehnt. Die „Grenzen des Sagbaren“, die „Grenzen des Denkbaren“, die da beschworen werden, haben in der Geschichte stets herrschende Reaktionäre oder ihre Zensoren aufgestellt. Für die Aufklärung jedoch galt und gilt hingegen im Kampf gegen das Dunkelmännertum immer der Grundsatz: Ich bin zwar nicht Ihrer Meinung, aber ich werde alles tun, damit Sie Ihre Meinung frei äußern dürfen. Denn nur so kommt der Diskurs in Gang.
Dass sich die Berliner Republik zunehmend in Veitstänzen bewegt, kann man nicht nur an der Deindustrialisierung oder an der Massenmigration in die deutschen Sozialsysteme beobachten. Es reicht, in das nordthüringischen Städtchen zu blicken, das vor der AfD gerettet werden sollte, und zwar vor allem von der aufgeregte Hauptstadtpresse und von den vielen zivilgesellschaftlich Engagierten, die in der überwiegenden Mehrheit eines gemeinsamen haben. Dass sie nicht in Nordhausen wohnen.
Einige dürften nicht einmal wissen, wo dieses Nordhausen, das vor der AfD gerettet werden muss, eigentlich liegt. Schnell bildete sich ein „überparteiliches“ Bündnis unter den Namen „NordhausenZusammen“. Angeführt wird das Bündnis von Jens-Christian Wagner, der als Stiftungsdirektor der Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora. Er hat die Aufgabe, die Fragen zu stellen, die der AfD-Kandidat in seinen Reden aufwirft. Aber er überschreitet seine Neutralitätspflicht, wenn er als zur Neutralität verpflichteter Stiftungsdirektor sich dennoch parteipolitisch engagiert und die Opfer des Nationalsozialismus parteipolitisch für einen lokalen Wahlkampf instrumentalisiert – und gleichzeitig die Opfer des Kommunismus ignoriert. Wäre es nicht besser gewesen, wenn der Stiftungsdirektor eine öffentliche Diskussion mit dem Autor des von ihm kritisierten Beitrag geführt hätte? Als Stiftungsdirektor eben und nicht als Wahlkämpfer?
Das seltsame Eingangstremolo des Tagespiegel-Artikels über die Wahl nimmt Wagners Unterstellungen auf, wenn es in ihm heißt: „Ein paar Kilometer nördlich von Nordhausen in Thüringen stand einst das KZ Mittelbau-Dora, wo Häftlinge Zwangsarbeit leisten mussten. Heute ist dort eine Gedenkstätte, die an die Verbrechen der Nazis erinnert. In der Gedenkstätte ist man in diesen Tagen alarmiert: Denn in Nordhausen wird am Wochenende der Oberbürgermeister gewählt. In der Stichwahl hat der AfD-Kandidat Jörg Prophet gute Chancen.“ Der Tagespiegel insinuiert, dass mit der Wahl Jörg Prophets der Nationalsozialismus in Gestalt des AfD-Kandidaten wieder zur Herrschaft kommt und beruft sich dabei auf Jens-Christian Wagners Engagement.
Auch der Superintendent der Evangelischen Kirche des Kirchenkreises Nordhausen, dem offensichtlich die politische Gesinnung wichtiger als der christliche Glaube ist, eilte zur Unterschrift. Geht man die lange Unterstützerliste von NordhausenZusammen durch, fallen für eine Kommunalwahl zwei Besonderheiten ins Auge: erstens gehören die meisten Unterstützer Institutionen, Vereine oder Firmen an, die vom Staat finanziert werden, und zweitens wohnen viele Unterzeichner von NordhausenZusammen nicht in Nordhausen, viele nicht einmal in Thüringen. Berlin liest man da, Hamburg liest man da, Halle liest man da. Die beliebte Aufforderung Gesicht zeigen, erweist sich angesichts der vielen auch anonymen Unterstützer übrigens durchaus als notwendig.
Der Berliner Tagesspiegel wusste jedenfalls, dass nach dem ersten Wahlgang sich „spontan…um die 300 Menschen zusammengefunden“ hatten, „die Prophets Wahl verhindern wollen“. Der wahlkämpfende Redakteur jedenfalls empörte sich darüber, dass weder die CDU, noch die FDP eine Wahlempfehlung gegen Prophet und für Kai Buchmann abgegeben hätten. Sie hätten auf die rüffelnde und sie zur Rede stellende Anfrage des Tagespiegels nicht einmal geantwortet, ereiferte sich der Redakteur. Der Kreisvorsitzende der CDU, Stefan Nüßle, hätte sogar zuvor „gesagt, man wolle die Menschen nicht bevormunden.“ Sowas aber auch. Vor Ort reagierte man also kühler auf das Geschehen; mit jedem Kilometer Entfernung dagegen nimmt die Erregung sichtbar zu.
Am Freitag publizierte die Regionalzeitung nnz-online einen Artikel, der sich wie eine Werbung für eine Kundgebung las, die „Nordhausenzusammen“ am Samstag vor der Wahl veranstaltete. nnz-online schrieb: „„Nordhausen zusammen“ ist ein überparteiliches Bündnis aus sozialen Vereinen, des StudentenRats der Hochschule, Künstlern, dem Theater, engagierten Stadtratsmitgliedern, proaktiven Privatpersonen und der Gedenkstättenstiftung Buchenwald und Mittelbau-Dora. Es lädt am Samstag, 23. September ab 14 Uhr auf den Rathausplatz zum Familienfest ein. Dort erwarten die Besucher Redebeiträge von Prof. Dr. Jens-Christian Wagner, Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, und Andreas Schwarze, Superintendent des Kirchenkreises Südharz. Außerdem werden verschiedene Musiker erwartet, die anlässlich des Festes auftreten wollen.“ Pflichtschuldig endet der Artikel mit den Sätzen: „,,Nordhausen zusammen“ engagiert sich für Vielfalt, Weltoffenheit und Solidarität in Nordhausen, Thüringen und darüber hinaus. Die Initiative aus Menschen aller Couleur will nach eigener Aussage „Hass und Ausgrenzung aktiv entgegentreten, indem es sich für ein wertschätzendes Miteinander und Diversität einsetzt.“ … Alle Nordhäuser, die sich den Werten und Zielen des Bündnisses verbunden fühlen, sind herzlich eingeladen, gemeinsam zu feiern.“
Besser jedoch als jedes Urteil oder Vorurteil aus der Ferne spiegeln die Leserkommentare die Stimmung wieder, beispielsweise:
„Muss man der AfD eigentlich alles nachmachen und die Bürger der Stadt mit einer Party zur Wiederwahl bestechen?“
Oder:
„Solange die selbsternannten Demokratischen Parteien die Sorgen und Nöte der Bürger nicht wahrnehmen und weiter ignorieren gewinnt die AFD hinzu.“
Oder:
„Hätten ALLE derzeit im Amt befindlichen Personen den ganzen persönlichen Einsatz und die Zeit, welche dass Verfassen von Wahlaufrufen benötigt hat in die Problemlösung und Umsetzung selbiger gesteckt, dann gäbe es den derzeitigen Höhenflug der AfD sicher gar nicht.
Egal ob in Sülzhayn bei der Integration, im Straßenbau, in überlasteten Schulen, im Krankenhaus und Pflegeheim, bei Öffnungszeiten der öffentlichen Verwaltung in der Stadt oder dem Landkreis. Probleme gibts genug. Die muss man lösen und nicht ewig diskutieren.“
Oder:
„Allen Wahlaufrufern möchte ich sagen: Nehmt die Andersdenkenden endlich ernst und redet mit und nicht übereinander! Das ist nämlich echte Toleranz.“
Oder:
„Man feiert also ein „Familienfest“ und als Redner wird der Leiter der KZ-Gedenkstätten aufgefahren? Werden dort schon wieder menschliche Opfer für politische Zwecke instrumentalisiert?
Was haben wir zu erwarten? Hass und Hetze der Toleranten gegen einen Unternehmer, der sich für seine Stadt engagieren will, aber gerade der „falschen“ Partei angehört?“
Oder:
„Also….ich zitiere….„Nordhausen zusammen“ ist ein überparteiliches Bündnis aus sozialen Vereinen, des StudentenRats der Hochschule, Künstlern, dem Theater, engagierten Stadtratsmitgliedern, proaktiven Privatpersonen und der Gedenkstättenstiftung Buchenwald und Mittelbau-Dora.
Also Menschen, die noch keine Strasse, kein Dach, keine Heizung repariert,…..keinen Menschen gepflegt, keinen Müll eingesammelt, keine Patienten gerettet haben….
Also Menschen, die von unseren Steuergeldern leben.
Ganz ehrlich….während meiner Schicht….hätte ich keine Zeit, einen solchen Aufruf zu starten…..Respekt !“
Jörg Prophet hat zwar nicht die Wahl gewonnen, doch in der Stichwahl Wähler hinzu. Die Wahl in Nordhausen ist entschieden. In Nordhausen jedoch ist nichts entschieden. Die Gräben sind tiefer geworden. Sie können nur mit offenen und ehrlichen Diskussionen zugeschüttet werden.