Tichys Einblick
Nach der Landtagswahl in NRW

Die CDU wird durch diesen Pyrrhus-Sieg zur Provinz der Grünen

Die CDU hat nicht wirklich gewonnen, sondern Hunderttausende Wähler verloren. Der bisherige Kurs aller Parteien nutzt nur den Grünen. Der richtige Schluss aus dieser Wahl wäre eine klare Linie gegen grünen Utopismus – und eine große Koalition.

IMAGO / Emmanuele Contini

Die CDU hat einen wahrlich großen Sieg in NRW errungen – es ist vor allem ein großer Pyrrhussieg. Als Pyrrhus I. von Epirus in der Schlacht bei Asculum 279 vor Christus siegte, hielt er demjenigen, der ihm nach dem Triumph in der Schlacht Glück wünschte, entgegen: „noch einen solchen Sieg über die Römer, dann sind wir vollständig verloren“, wie man in Plutarchs Biographie des Königs von Epirus nachlesen kann. Einhundertdreißig Jahre später war Epirus Teil der römischen Provinz Macedonia. So lange wird man nicht warten müssen, bis die CDU ganz dem grünen Reiche angehört, politische Provinz der Rotgrünen ist sie jetzt schon. Die Forderungen der Grünen für einen schwarze-grüne Koalition, dafür also, wer unter den Grünen Ministerpräsident von NRW werden darf, liegen wohl schon auf dem Tisch von Hendrik Wüst.

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Man hat immer freundlich und teils sogar mit Ehrfurcht gespottet, dass die CDU keine Programmpartei, sondern ein Kanzlerwahlverein wäre, doch griff das zu kurz, denn schließlich verwirklichte die Union das Konzept der sozialen Marktwirtschaft, auch wenn die grüne Außenministerin Baerbock deren Einführung der SPD zuschrieb. Unter Angela Merkel ist die CDU zumindest eine Programmpartei geworden, zwar nicht im originären, sondern vielmehr im kopierenden Sinne, denn in den 16 Jahren von Merkels Kanzlerschaft wurden immer mehr grüne Projekte verwirklicht – auch mit der Schwächung von Deutschlands Verteidigungsbereitschaft folgte sie grünen Vorstellungen – und durch die Abhängigkeit von russischem Erdgas sicherte Merkel praktisch die Utopie der grünen Energiewende ab. Friedrich Merz vermag sich derzeit vor Liebesbekundungen zu den Grünen kaum noch zurückzuhalten. Und Hendrik Wüst auf flinken Freiersfüßen wirbt schon eifrig für eine Liebesheirat.

Was bei all den Siegesfeiern, bei aller Panegyrik für die Grünen durch die öffentlich-grünen Sender aus dem Blick gerät, ist, dass 10 Prozent der Wähler im Vergleich zu 2017 zu Hause geblieben sind. Sie hatten schlicht das Gefühl, keine Wahl zu haben, denn ganz gleich, was sie ankreuzten, würden nach dem politischen Zusammenbruch des konservativen und des liberalen Lagers am Ende die Grünen regieren. 6 von 13 Millionen Wähler sind am Wahlsonntag schlicht zu Hause geblieben. Sie sahen keine politische Kraft, die ihre Interessen vertreten würde. Da ohnehin kein Unterschied zwischen Thomas Wüst und Hendrik Kutschaty oder zwischen Hendrik Wüst und Thomas Kutschaty auszumachen war, blieben infolgedessen vor allem deren Wähler zu Hause.

44,5 Prozent gingen nicht zur Wahl
Der grüne Parteienstaat
Besonders die Wählerwanderungen müssten CDU und SPD als „Volksparteien“, aber auch der FDP zu denken geben. Die CDU verdankt ihren Wahlsieg vor allem der FDP, die 260.000 Wähler an die Union abgegeben hat. In gleicher Größenordnung verlor die SPD Wähler an die Grünen, nämlich auch 260.000. 190 000 Wähler der CDU entschieden sich, nicht zu wählen. Heißt, dass die CDU viele Wähler verloren hat und nur durch Wähler, die mit der FDP unzufrieden waren, gerettet wurde. Diese Bürger goutieren den grünen Kurs der FDP in der Bundes-Ampel nicht und flüchteten in die vermeintlich bürgerliche CDU, deren konservativere Wählerschicht sich aber auch von der CDU enttäuscht zeigte. 260.000 ehemalige Wähler der FDP, die zur CDU gingen, und 130.000, die statt für die FDP, und 190.000, die statt für die CDU zu stimmen, zu Hause blieben, bedeutet das insgesamt 580.000 Wähler den Kuschelkurs mit den Grünen ablehnen.

Die SPD verlor 260.000 Wähler an die Grünen und sogar 310.000 an die Nichtwähler. Der Befund ist eindeutig und zeigt die Zerrissenheit der SPD zwischen Identitäts- und Sozialpolitik, zwischen klassischer und woker Linken. Die Woken gehen zu den Grünen, die sozialpolitisch Interessierten bleiben zu Hause. Ihrer traditionellen Wählerklientel hat die SPD nichts mehr mitzuteilen. Die Grünen haben keine Wähler verloren, aber vor allem von der SPD, dann von der CDU und auch 100.000 Wähler von der FDP dazugewonnen.

Die Zahlen sind eindeutig, so wie die Schlüsse, die daraus zu ziehen sind:

Erstens: Fast die Hälfte der Wähler ist mit dem politischen Angebot der Parteien unzufrieden. Das wiegt umso schwerer, weil in Krisenzeiten das Interesse an der Wahl höher sein müsste, setzt aber voraus, dass verschiedene Konzepte existieren, wie die Gesellschaft durch diese Krisen kommt. Offensichtlich mangelt es an politischen Alternativen oder werden diese nicht als solche wahrgenommen.

Zweitens: Der Sieg der CDU ist relativ, er verdankt sich im Wesentlichen den über Sechzigjährigen. Sollte die CDU das in sie gesetzte Vertrauen, wirtschaftliche Stabilität auch als Wohlstandssicherung nicht rechtfertigen, wird sie massiv in der Wählergunst absacken, sie wird die Jüngeren nicht erreichen und die Älteren verlieren.

Drittens: Die Aufgabe der CDU besteht eigentlich darin, konsequent Politik gegen grünen Utopismus zu machen.

Viertens: Da die SPD die woken Wähler verloren hat und weiter verlieren wird, sollte sie sich von der Identitätspolitik und dem Wokismus verabschieden, denn damit verliert sie weiter an die Grünen, verprellt ihre Klientel und gewinnt nichts dazu.

Fünftens: In Zeiten der Eskalation der Krise und der Inflation sollte sie auf der Basis einer klassisch-sozialdemokratischen Politik wieder die untere und die mittlere Mittelschicht erreichen, denn das Land besteht nicht nur aus Berlin-Mitte.

Sechstens: In dieser Situation stünde es letztlich im Interesse der CDU und der SPD, eine Koalition der Vernunft einzugehen und sich an den Interessen der Mehrheit der Bürger zu orientieren. Doch darauf werden sich weder die CDU, noch die SPD einlassen können, vor allem, weil sie sich aus dem ideologischen Schlepptau der Grünen nicht zu befreien vermögen.

Die SPD gemeinsam mit der FDP oder die CDU werden mit den Grünen koalieren. Die grüne Parteivorsitzende Ricarda Lang hat schon mal die Richtung vorgegeben, NRW zur „ersten klimaneutralen Industrieregion Europas“ zu machen. Man wird mit dieser Perspektive wohl den Solidaritätszuschlag für die Stützung NRWs verlängern müssen.


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