Tichys Einblick
Der Zerfall der CDU

Niemand baut eine Brandmauer – CDU auf Treibsand

Es ist ein Aberwitz, dass die inhaltsleere Merkel-CDU die Mehrheit durch linke Parteien in Sachsen und Thüringen sichern will, aber die AfD, die ihr zumindest in Fragen der Wirtschaft näherstehen sollte, als Partner nicht einmal zu denken wagt. Wenn die CDU ihre historische Aufgabe, die AfD in der Regierung zu mäßigen, nicht erfüllt, geht die Geschichte über die CDU hinweg.

picture alliance/dpa | Michael Kappeler

Sahra Wagenknecht könnte Glück haben, dass die unangenehme Situation, Farbe zu bekennen, unbemerkt an der Öffentlichkeit vorbeigeht, weil ihr die CDU die Show stiehlt, das heißt, das BSW überlässt den Christdemokraten gern die Position, nackt im Scheinwerferlicht zu stehen. In diesen Tagen zeigt sich besonders deutlich, dass im Zentrum der CDU nicht Werte, nicht Inhalte, sondern einzig und allein Posten stehen. Irgendwie – womit auch immer – durchhalten, lautet die Devise.

Als bürgerliche Parteien, als Parteien im eigentlichen Sinne sind FDP und CDU inzwischen Geschichte, sie dienen nur noch dem Pöstchenerhalt ihrer Funktionäre. Sie werden zwar noch eine Weile bestehen, aber eines Tages auseinanderfallen. Denn als weitere grüne Partei, wozu Leute wie der ehemalige Gewerkschaftsfunktionär Dennis Radtke, jetzt Abgeordneter des Europa-Parlamentes, die CDU gern machen möchten, ist sie mehr als flüssig, nämlich überflüssig.

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Im Dezember 2018 hatte die Merkel-CDU einen Parteitagsbeschluss herbeigeführt, wonach sie weder mit der Linkspartei noch mit der AfD kooperieren würde. Dieser Beschluss war eigentlich ein Anti-AfD-Votum, das dadurch, dass man die bis auf Thüringen unbedeutende Linkspartei dazu nahm, den Eintritt der CDU in den Vorgarten der Grünen verschleiern sollte. Sowohl mit Blick auf die Linkspartei, vor allem hinsichtlich der AfD kann man diesen Beschluss als schweren strategischen Fehler bezeichnen, weil man sich durch ihn vollkommen von den Grünen und von der SPD abhängig machte. Der Unvereinbarkeitsbeschluss ist der christdemokratische Begriff für die Brandmauer.

In Thüringen wollen die Christdemokraten mit dem BSW und mit der SPD koalieren – und damit verletzen sie faktisch den Parteitagsbeschluss, denn das BSW ist mehr SED, PDS und Linkspartei, als es die inzwischen woken Restbestände der Linkspartei noch sind. Anders ausgedrückt: Wer mit dem BSW koaliert, kann auch mit der AfD ein Regierungsbündnis schließen, denn der Parteitagsbeschluss wird durch die Zusammenarbeit zwischen CDU und BSW hinfällig.

Es ist schon ein Aberwitz, dass die inhaltsleere Merkel-CDU die Mehrheit durch linke Parteien in Sachsen und Thüringen sichern will, aber die AfD, die ihr zumindest in den Fragen der Wirtschaft näherstehen sollte, als Partner nicht einmal zu denken wagt. Wenn die CDU ihre historische Aufgabe, die AfD in der Regierung zu mäßigen und zu kultivieren, nicht erfüllt, dann geht die Geschichte über die CDU hinweg. Denn die Bedeutung der AfD für die CDU besteht darin, dass nur die AfD der CDU ermöglicht, sich erstens aus der babylonischen Gefangenschaft der Grünen und der woken Sozialdemokratie zu befreien, und zweitens in der Lage zu sein, bürgerliche Politik zu machen, an Ludwig Erhard und nicht an Marx, Lenin und Mazzucato anzuschließen.

Doch die CDU schlingert. In Thüringen will sie ein Minderheitsbündnis mit dem BSW und der SPD schließen – und sich von Ramelow dulden lassen. Damit begibt sich Mario Voigt in die Hände Ramelows und seiner willfährigen Freunde von der Thüringer SPD. So, wie Voigt es unternimmt, kann man nicht einmal einen CDU-Ortsverband führen. Interessant wird nur, wie sich das BSW verhält, das heißt, wie Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine das sehen – und was denen mit Blick auf die Bundestagswahl so alles einfällt.

Wie konfus die CDU ist, wie lächerlich, wird deutlich, wenn Friedrich Merz nun tapfer behauptet und sich hierin Walter Ulbricht zum Vorbild nimmt: „Das Wort Brandmauer hat nie zu unserem Sprachgebrauch gehört. Das ist uns immer von außen aufgenötigt worden. Ich brauche mich nicht von einem Begriff zu distanzieren, den ich selber nicht eingebracht habe.“ Niemand will eine Brandmauer bauen. Manche nannten den Antifaschistischen Schutzwall auch Grenze, wieder andere die Mauer, doch was die Mauer auf alle Fälle bewirkte, war, dass die DDR-Bürger keine Reisefreiheit und keine Freizügigkeit besaßen.

Auch wenn Friedrich Merz nicht von der Brandmauer spricht, hält er sich doch penibel hinter ihren Bollwerken auf, lässt er sich von den Grünen vorschreiben, mit wem er koalieren darf und mit wem nicht. Wie sehr muss man mit dem Rücken zur Brandmauer stehen, wenn man nicht einmal das eigene Handeln zu benennen wagt? Und wie sehr beleidigt man mit diesen plumpen Sophismen die Intelligenz der Bürger?

Zeit für ein wenig Mitleid: Was soll der arme Friedrich Merz auch machen, wenn Parteifreunde aus den seit Jahren nicht mehr gelüfteten Parteiapparaten des Westens fordern, dass die im Osten nicht mit dem BSW koalieren. Diese Initiative von ein paar West-CDUlern, die sich immer noch für den Mittelpunkt der Welt halten, vom Zaun gebrochen, entspringt nicht der Tatsache, dass Wagenknechts BSW eine sozialistische Partei ist. Was sollte auch der ehemalige Gewerkschaftsfunktionär Dennis Radtke dagegen haben, der mit Grünen, Sozialdemokraten und Linken keine Probleme hat, mit Wagenknechts Haltung zur Ukraine hadert Radtke allerdings schon. Im BSW will er, wie Roderich Kiesewetter auch, Putins fünfte Kolonne sehen. Man könnte auch spotten, dass ein paar Provinzpolitiker der CDU aus dem Westen den ostdeutschen Landesverbänden vorschreiben wollen, wie sie sich politisch zu verhalten haben. So wichtige Leute, wie die Bürgermeister von Eschwege, Gummersbach und Eltville und natürlich der Riesenweltpolitiker Roderich Kiesewetter.

Vor über zehn Jahren hatte ich ein in elf Sprachen übersetztes Buch über Geheimbünde und Verschwörungstheorien geschrieben. Würde ich es heute verfassen, würde Roderich Kiesewetter mit dem Satz „Das BSW agiert als verlängerter Arm des Kreml“ unter dem Stichwort moderne Verschwörungstheorien Aufnahme finden. Um nicht missverstanden zu werden, man kann das BSW durchaus mit guten Gründen in der Frage des Krieges in der Ukraine und der Ukrainehilfe kritisieren, dann bitte aber in der Sache und mit Argumenten und nicht mit billigen Verleumdungen. Aber natürlich ist es eine feine Sache für die Bürgermeister von Eschwege, Gummersbach und Eltville, für eher unbekannte Politiker wie dem EVP-Abgeordneten Dennis Radtke, und für Roderich Kiesewetter, bei dem sich die Interviewanfragen nicht gerade stapeln dürften, in der Hauptstadtpresse vorzukommen. Vierzig Christdemokraten aus dem Westen – und vielleicht werden es noch doppelt so viele – kritisieren Friedrich Merz, dass er den dummen Ossis in Sachsen und Thüringen freie Hand lässt. Da hört doch aber gleich alle Demokratie in der Christdemokratie auf. Man spürt förmlich Radtkes und Kiesewetters Phantomschmerz, dass Angela Merkel nicht mehr regiert und diese unverzeihliche Wahl in Thüringen und Sachsen rückgängig macht.

Dennis Radtke ist ohnehin untröstlich, dass mancher in der CDU es an Liebe zu den von ihm geherzten Grünen mangeln lässt. Mehr noch schimpft er schwer verschwörungstheoretisch: „AfD und BSW wollen die CDU zerstören, weil wir das letzte Bollwerk der politischen Mitte sind.“ Wenn die CDU das letzte Bollwerk der politischen Mitte wäre, dann würde die politische Mitte nicht mehr existieren. Dass ein ehemaliger Gewerkschaftsfunktionär und designierter Vorsitzender der CDA für die Grünen eintritt, deren Wirtschaftspolitik Arbeitsplatzvernichtung en masse produziert, zeigt, wie sehr diese Leute aus der Zeit gefallen sind. AfD und BSW müssen sich gar nicht erst bemühen, das bekommt die CDU ganz allein hin. Darauf kann man vertrauen, Merkel hat die Partei völlig entkernt, nun hat sie kein Zentrum mehr und wird über kurz oder lang auseinanderfallen. Vielleicht wird sie ja auch zu einer Regionalpartei für Eschwege, Gummersbach und Eltville.

Nun hat Ramelows Linkpartei vorgeschlagen, dass sie einfach im Amt bleibt und eine Minderheitsregierung mit SPD und BSW bildet. Die CDU dürfe dann dulden. Darin, wie man die SPD mit sich vereinigt und Blockflöten diszipliniert, darin kennt sich die SED aus. Und die CDU darin, wie man kuscht. Und auch darin hat die SED Erfahrung, wie man an der Macht bleibt, selbst wenn man nicht demokratisch legitimiert ist. Wie sagte Ulbricht, es muss demokratisch aussehen, aber wir müssen alles in der Hand haben. Wie sich das BSW verhält, wird man sehen. Doch eines wird deutlich, in Thüringen ist die SED, Kommunisten plus Sozialdemokraten, wieder auferstanden. Für Brandenburg hält Thüringen die Lehre bereit, wer CDU wählt, bekommt rot oder grün.

Den Wählerwillen zu erfüllen, der darin besteht, die Linke in die Opposition zu schicken, wird in Thüringen nur gelingen, wenn die CDU oder das BSW mit der AfD ein Bündnis schließt. Man kann das Brandmauergerede auch als Grenzregime bezeichnen.

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