Tichys Einblick
Niedersachsens Hilferuf:

Ein Versuch politischer Insolvenzverschleppung

Der Hilferuf der Niedersachsen ist nur der dreiste Versuch, mit Steuergeldern die falsche und fahrlässige Politik der Bundesregierung und der Landesregierung vor der Öffentlichkeit zu verbergen. Was wir erleben, wirkt wie ein Fall von politischer Insolvenzverschleppung.

IMAGO / Political-Moments

Der niedersächsischen Landesregierung steht anscheinend das Wasser bis zum Hals. Ministerpräsident Stephan Weil hat seine Regierung, die Unternehmerverbände, die Gewerkschaften und die kommunalen Energieversorger Niedersachsens eilig zusammengetrommelt, um einen melodramatischen Appell mit richtigem Befund, viel falschen Tönen und in die Irre gehenden Vorschlägen mit eilenden und Getöse verursachenden Boten an die Ampel-Regierung nach Berlin zu schicken.

In Hannover befürchtet man allerdings zurecht, dass die hohen Energiepreise zu massiven Verlusten von Arbeitsplätzen und zu Firmenpleiten, zu einer massiven Gefährdung des Wirtschaftsstandorts führen werden. Auch das Wort von der Deindustrialisierung, das vor kurzem noch als allerbösester rechter Populismus gegolten hat, fehlt als Begleitmusik des Hilferufs nicht. Hätte Stephan Weil sich der intellektuellen Anstrengung unterzogen und TE gelesen, hätte er spätestens im Herbst 2021 gewusst, wohin die Reise geht, und dass es logisch so kommen muss, wie es gekommen ist. Denn in unzähligen Artikeln wurden hier die wirtschaftliche Entwicklung analysiert und die Folgen prognostiziert, die man unter das Kürzel Deindustrialisierung zusammenfassen kann. Willkommen in der Wirklichkeit, Herr Ministerpräsident.

Auch der anscheinend auch auf rechten Populismus eingeschwenkte Industrieverband Niedersachsen-Metall befürchtet eine „weitere Deindustrialisierung unseres Standortes“. „Die gesamte Wertschöpfung und Beschäftigung wäre existenziell betroffen“, so der Hauptgeschäftsführer Volker Schmidt. Eine Erosion des industriellen Kapitalstocks zeichne sich ab und Betriebsverlagerungen an kostengünstigere Produktionsstandorte seien bereits jetzt „eine reale Größe, keine theoretische Gefahr“. Niedersachsens Arbeitsminister Andreas Philippi (SPD) bringt die Situation auf den Punkt: „Wenn die Bundesregierung nicht schnell handelt, drohen massive Arbeitsplatzverluste in der energieintensiven Industrie. Eine Abwanderungswelle wäre eine Katastrophe für die Beschäftigten und für den Wirtschaftsstandort.“ Weil sie Mitschuld an Niedersachsens falscher Wirtschafts- und Energiepolitik trägt?

Ein kurzer Blick in die Geschichte lehrt, dass der niedersächsische Wirtschaftsstandort als Industriestandort durch den Autobau, vor allem durch VW entstand, erst dadurch wurde aus der Agrar- eine Industrieregion, erst dadurch wuchs der Wohlstand im Land. Nur leider hatte Weils rot-grüner Regierung niemand gesagt, dass die Grundlage für die Industrie die Energie bildet: Strom, erstens mit konkurrenzfähigen Preisen, und zweitens Strom, der auch sicher zu jeder Zeit bereitgestellt werden kann. Denn Habecks Politik hat zur unmittelbaren Folge, dass eben erstens keine Preissicherheit und zweitens keine Versorgungssicherheit existiert.

In seinem eigenen Gutachten hat der Primaklimaminister eingestanden, dass die Stromversorgung zwar bis 2030 gesichert sei, aber nur, wenn die Deutschen sich einer Nachfrageflexibilität unterwerfen, das heißt sich nicht unterstehen, nach Strom zu fragen, wenn kein Strom da ist, wenn sie sich dem Lastenmanagement, früher Lastenabwurf, beugen und wenn sie akzeptieren, dass Deutschland ein Nettostromimporteur wird. Auch über diese Projektion des Manchmal-Strom-Ministers hätte sich Ministerpräsident Stephan Weil und dessen Arbeitsminister Philippi bei TE informieren können. Nun wacht man also in Hannover auf.

Das bedauerliche Niveau der Bundesregierung zwingt leider dazu, immer wieder über den Niedergang schreiben zu müssen, was in der Tat keine abwechslungsreiche Beschäftigung ist. Es ist die Wirtschafts- und Energiepolitik Habecks, seiner Freunde und seiner Ohrenbläser, links Mariana Mazzucato, rechts Patrick Graichen, die für die Inflation und für die zu hohen Strompreise verantwortlich ist, es ist die hochsubventionierte Wasserstoff- und All-Electric-Utopie, die sich nicht an der Wirklichkeit, nicht an der Physik, sondern an den Wünschen orientiert, den Wünschen der Hochfinanz nach Profit, den Wünschen bestimmter Wirtschaftskreise, Deutschland nur noch als Absatzmarkt, aber nicht mehr als Konkurrenten zu haben, und schließlich von Ideologen, die von einer sozialistischen Gemeinwohldiktatur träumen, die sie klimaneutrale Gesellschaft nennen.

Finanziert nicht Christian Meyer, der grüne „Turbo-Minister für Umwelt, Energie und Klimaschutz in Niedersachsen“, wie er sich selbst auf Twitter nennt, die Deindustrialisierung nach wie vor nach Kräften mit, wofür er sich auch auf Twitter brüstet: „Wer Windenergie Genehmigungen erleichtert und mit Task Force #Energiewende sich wirklich für Erneuerbare stark macht zeigt die Zahl genehmigter Windkraft in 2023“.

Doch nun treibt die rot-grüne Landesregierung Niedersachsens die panische Angst vor den Folgen der Politik der Ampel und der eigenen Wirtsschafts- und Energiepolitik an, dass aus der klimaneutralen Gesellschaft, die zu erreichen, sie sich auf die Fahnen geschrieben haben, eine wirtschaftsneutrale Gesellschaft wird.

Für die niedersächsische Landesregierung in einfacher Sprache formuliert: Die Firmen verlagern die Produktion ins Ausland, in die europäischen Nachbarländer, nach Asien und in die USA, auch, Habeck sei dank, in die Ukraine, oder stellen die Produktion und die Geschäftstätigkeit ein und ausländische Firmen siedeln sich nicht in Niedersachsen an, weil

1. die Energiepreise zu hoch sind, Tendenz steigend,
2. die Versorgung mit ausreichend Energie nicht gesichert ist,
3. die bürokratischen Hürden, beispielsweise Lieferkettengesetz und ausufernde Berichtspflichten einen immer höheren Aufwand erfordern,
4. die Einsetzung von Kommissaren zu erwarten steht: Klima-, Diversitäts-, Antidiskriminierungs- und alle möglichen Beauftragten auch in der Privatwirtschaft droht.

Doch, was die niedersächsische Landesregierung händeringend erbittet, wird, wenn überhaupt, nur kurzfristig Linderung verschaffen, in Wahrheit aber die Probleme nur verschärfen, denn sie fordert nicht etwa eine Korrektur der falschen Wirtschaftspolitik, sondern will Abhilfe durch den dreisten Griff in die Portemonnaies der Bürger schaffen. War es nicht Margaret Thatcher, die einmal bemerkte, dass die Linken gut darin seien, das Geld anderer Leute auszugeben? Man möchte hinzufügen, solange noch Geld da ist, danach folgt Nordkorea.

Nach der Vorstellung der Landesregierung soll der Bund „spätestens bis zum 1. Januar 2024“ die Energiepreise senken. Dass der Bund die Strompreise nicht senken kann, sondern nur durch Subventionen deckeln und selbst auf Steuern verzichten kann, kommt dem Muster-Ökonomen aus Hannover nicht in den Sinn. Denn Stephan Weil kommt nicht auf die naheliegenden Ideen, die Atemsteuer, also die CO2-Steuer, die CO2-Bepreisung auszusetzen und mit ihr den absurden Zertifikatehandel, dafür zu sorgen, dass die AKWs wieder in Betrieb genommen werden können und aus dem Ausbau erneuerbarer Energien auszusteigen, zumal letzterer die Tourismus-Industrie und die Fischerei Niedersachsens mit der Störung der Flora und Fauna der Nordsee und des Klimas in signifikantem Maße durch den Off-Shore-Ausbau der Windkraftanlagen, zerstören werden. Der Ausbau der Off-Shore-Windanlagen ist ein ökologisches Verbrechen größter Tragweite.

Stattdessen schlägt Wirtschaftsminister Olaf Lies vor: „Wir haben als Landesregierung sehr konkrete Vorschläge für wettbewerbsfähige Strompreise gemacht. Dazu gehören die Senkung der Strompreise und eine Übernahme der Netzentgelte aus dem Bundeshaushalt.“ Wozu aber sollten die Senkung der Energiepreise und die Übernahme der Netzentgelte aus dem Bundeshaushalt nötig sein, wenn Niedersachsen allein sogar die Energiepreise für die gesamte Bundesrepublik senken kann? Denn so twitterte der „Turbo-Minister“ Meyer: „Niedersachsen ist nicht nur Windland Nr.1 . in großem Tempo realisieren wir die Erzeugung, Transport und Speicherung von grünen #Wasserstoff
Damit sorgen wir für ein gutes Netz und senken bundesweit die Preise da wir vor allem überschüssige EE nutzen.“

Weshalb wenden sich der Ministerpräsident Stephan Weil, die Unternehmerverbände, die Gewerkschaften und die kommunalen Energieversorger Niedersachsens nicht an den Turbominister Meyer, sondern an die Bundesregierung, wo der doch weiß, wie man bundesweit die Preise senken kann? Aber vielleicht schwant den anderen, dass mit Meyers grünen Phantastereien der Wirtschaftsstandort nicht zu halten ist.

Doch die Landesregierung will nicht die Ursache, das Deindustrialisierungsprogramm namens Energiewende beenden, sondern vom Bundeshaushalt subventioniert werden. Wer kann dem Wirtschaftsminister von Niedersachsen einmal erklären, dass der Bundeshaushalt in der Hauptsache aus Steuern finanziert wird? Der Bürger soll weiter teure Netzentgelte, die für die Profite des Klimakomplexes anfallen, entrichten, er soll es nur nicht mehr merken. Das ist übrigens sehr praktisch, wenn der Bürger nicht sieht, was mit seinem Geld geschieht, denn im Netzentwicklungsplan werden die Kosten für den Zubau von Netzen in den nächsten 15 Jahren auf circa 240 Milliarden Euro geschätzt.

Insofern grenzt die Forderung, dass die Netzentgelte vom Bundeshaushalt übernommen werden, an Bürgertäuschung. Denn erstens stehen nach diesen Planungen eine gigantische Erhöhung der Netzentgelte ins Haus, die für die Bürger als Umlage auf die Stromkosten ohnehin nicht mehr bezahlbar wären. Zweitens würde kein Bürger mehr sehen, wie viel Geld das Deindustrialisierungskonzept Energiewende wirklich kostet. Damit der Staatshaushalt diese Kosten übernehmen kann, sind Steuererhöhungen notwendig oder die Enteignung der Bürger, die mehr Geld auf ihren Konten haben, als ihnen die grüne Enteignungspartei fürderhin zubilligt.

So sprach die Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt vor kurzem Klartext: „Wir müssen perspektivisch unseren Reichtum besser teilen. Menschen mit sehr hohen Vermögen können und sollen sich stärker an unserer solidarischen Gesellschaft beteiligen.“ Praktisch heißt das für Grüne: „Natürlich gibt es auch Menschen, die mit sehr hohen Gewinnen nach Hause gehen, sie erben Vermögen, ohne dass sie etwas dafür tun müssen. Dass man solche Summen auf der hohen Kante hat, ohne, dass sie für die Gesellschaft wirken, ist falsch.“

Doch die niedersächsische Landesregierung will nicht nur, dass der Preis für die Energiewende auf die Steuerzahler umgelegt wird, sondern fordert auch noch zusätzlich Geld, um den Irrweg zu beschleunigen. Auch der Turbo-Minister Meyer träumt vom fremden Geld: „In der Übergangszeit der Energiewende sollte insbesondere für in der Transformation zur Klimaneutralität befindliche Unternehmen Planungssicherheit durch einen staatlich gedeckelten Transformationsstrompreis geschaffen werden.“

Und so stellen sich die niedersächsischen Nassauer das vor: Durch die sogenannte „Transformation zur Klimaneutralität“ wird der Strom immer teurer, deshalb müssen immer höhere Beträge aus Steuergeldern den Strompreis deckeln, der dennoch weiter steigt und noch höhere Gelder erfordert, denn es wird keine Übergangszeit-, sondern nur eine Niedergangszeit geben.

Man könnte ja bitter spotten: Ihr jubelt, weil Ihr Eure AKWs abgestellt habt, und jammert, dass der Strompreis steigt und die Wirtschaft außer Landes treibt. Wer sollte Euch noch für seriös halten? Nehmt Euer Jammern in Euren Jubel hinein!

Niedersachsens Wirtschaftsminister Olaf Lies versteigt sich sogar zu der Aussage: „Wer umsteigt auf die Elektromobilität braucht verlässliche Strompreise“. Hätte er VW besucht, hätte er dort erfahren, dass niemand E-Mobilität will, dass zwar VW willig und eifrig den politischen Vorgaben und Zielstellungen von Habecks und in diesem Fall auch Weils All-Electric-Fraktion zum Umstieg auf E-Mobilität gefolgt ist – nun VW aber auf seinen Modellen vollständig sitzenbleibt. Zulieferfirmen suchen derweil ihr Heil in der Flucht, indem sie sich neuen Geschäftspartnern zuwenden – vorrangig in China, und die dortigen Autobauer beliefern.

Was Stephan Weil und seiner Regierung in Wahrheit den kalten Schweiß auf die Stirn treibt, ist, dass VW in Schieflage geraten könnte. Doch wenn VW niest, hat Niedersachsen die Grippe. Der Hilferuf der Niedersachsen ist nur der dreiste Versuch mit Steuergeldern, die falsche und fahrlässige Politik der Bundesregierung und der Landesregierung vor der Öffentlichkeit zu verbergen. Was wir erleben, wirkt wie ein Fall von politischer Insolvenzverschleppung.

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