Tichys Einblick
„Freiheit kommt im Handeln zum Ausdruck“

Nicht rechts und links, sondern Freiheit statt Gleichheit

Nur mit der Idee der Freiheit kann die der Gleichheit überwunden werden. Freiheit ist eine Idee, die der Welt bessere Chancen auf Frieden und Wohlstand bietet und deren Zeit gekommen ist. Von Burkhard Sievert.

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Viele Bürger machen sich Sorgen um das Grundgesetz und setzen sich für dieses ein. Das ist gut so! An den Wortbeiträgen fällt mir jedoch immer wieder die unscharfe Verwendung der Begriffe Freiheit und Recht auf, z. B. das „Recht auf Freiheit“ oder die „Freiheit der Andersdenkenden“. Dieser Text versucht zur Begriffsklärung beizutragen, zuerst möchte ich aber auf die Begriffe „rechts“ und „links“ eingehen.

Angesichtes des „Kampfs gegen rechts“ ist es an der Zeit, den Begriff „rechts“ zu klären, denn „Gedanken ohne Inhalt sind leer. Anschauungen ohne Begriffe sind blind“ so Kant in der „Kritik der reinen Vernunft“ (AA III, S. 75), d. h., eine bloße Etikettierung ist für eine Begriffsklärung nicht ausreichend. Schließlich gab es in Deutschland ja schon einmal einen Politiker, der am Ende seiner politischen Laufbahn bedauerte, den „entscheidenden Schlag gegen rechts nicht geführt“ zu haben. (Roland Baader, „Totgedacht“, S. 109) (Nachweis bei Rainer Zitelmann, „Hitler. Selbstverständnis eines Revolutionärs“, Stuttgart 1993, S. 457 und bei Enrico Syring, „Hitler – Seine politische Utopie“, Berlin 1994, S. 275). Was bedeuten also die Begriffe rechts und links in politischen Zusammenhängen?

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Links und rechts sind räumliche bzw. richtungsweisende Adjektive, die sich, um echte Gegensätze zu sein, niemals auch in ihren Extrempositionen berühren. Zur politischen Positionierung haben sie ihren Ursprung in der Französischen Revolution. Einst empfing der König von Gottes Gnaden die ihm Nahestehenden zu seiner Rechten, dementsprechend wurde ab 1789 die Sitzordnung in der französischen Nationalversammlung eingerichtet. Laissez-faire-Liberale, Radikale und Revolutionäre wurden links platziert, während die Konservativen rechts saßen. Da für ein aussagekräftiges politisches Kriterium für eine Rechts-Links-Unterscheidung politische Inhalte erforderlich sind, werden zum besseren Verständnis die Ziele und die Mittel der damaligen Protagonisten etwas genauer betrachtet.

Das Ziel des rechten Flügels bestand darin, die alte herrschende gesellschaftliche Ordnung, das Ancien Régime, zu bewahren. Als Mittel zur Wahrung ihrer Interessen setzte der rechte Flügel auf Kirche und Priesterschaft, um sich die Akzeptanz der Massen zu sichern. Die „Rechten“ waren Etatisten und lösten gesellschaftliche Probleme hauptsächlich durch staatliche Regelungen, die ihnen Privilegien gegenüber den Untertanen sicherten. Den „linken Flügel“ bildete eine laissez-faire-liberale und radikale Widerstandsbewegung, die sich für individuelle Freiheit, eine minimale Regierung, für freie Märkte und freien Handel, für internationalen Frieden sowie für die Trennung von Kirche und Staat einsetzte. Je reiner ihre freiheitliche Vision war, desto „extremere“ Linke waren sie. Links saßen die Freiheitlichen, rechts diejenigen, die den Staat zu ihrem irdischen Gott erklärten.

Die Begriffe „sozialistisch“ bzw. „Sozialisten“ wurden nach der Französischen Revolution um 1830 erstmalig verwendet. Der Sozialismus wird traditionell als extrem links angesehen. Historisch beeinflusst ist der Sozialismus sowohl von der laissez-faire-liberalen und individualistischen Linken als auch von der konservativ-etatistischen Rechten.

Von der individualistischen Linken übernahmen die Sozialisten die Ziele der Freiheit: das Ausdörren des Staates, den Austausch des Regierens von Menschen durch die Verwaltung von Angelegenheiten (ein Konzept, das im frühen 19. Jahrhundert von den französischen Laissez-faire-Liberalen Charles Comte und Charles Dunoyer geprägt wurde), die Opposition gegen die herrschende Klasse und der Versuch ihres Umsturzes, das Verlangen einen internationalen Frieden zu etablieren, die Forderung nach einer weiterentwickelte Ökonomie sowie nach einem hohen Lebensstandard für die Massen. „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen!“, so lautete 1875 die marxistische Utopie von Karl Marx.

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Von der konservativen Rechten übernahmen die Sozialisten die Mittel zur Erreichung dieser Ziele: Kollektivismus, staatliche Planung, Gemeinschaftskontrolle über den Einzelnen. Den Rest schrieben sie bei den Liberalen ab, z. B. findet sich die irrige marxistische Arbeitswerttheorie schon bei David Ricardo. Das aber positioniert inhaltlich den Sozialismus nicht mehr links, sondern rechts. Es bedeutet außerdem, dass der Sozialismus wegen des inneren Widerspruchs zwischen seinen (individuellen) Zielen und den (kollektiven) Mitteln eine instabile, selbstwidersprüchliche Doktrin ist, denn einem zentralen Planer stehen die Informationen der Marktteilnehmer nicht zur Verfügung, er kann nur seine eigenen Ziele kennen und diese verfolgen.

Jede Form des Sozialismus ist laut Ludwig von Mises folglich zum Scheitern verurteilt, da im Sozialismus eine rationale Wirtschaftsrechnung und infolgedessen eine optimale Koordination von Ressourcen unmöglich sind. Preise sind das Produkt von subjektiven Werteinschätzungen von Individuen und können deshalb nicht durch eine zentrale Planungsbehörde aufgrund „objektiver“ Daten festgelegt werden.

Historisch gesehen litt die Sozialdemokratie in ideologischer und organisatorischer Hinsicht unter einem ähnlichen Widerspruch: Sozialdemokraten trieben von Friedrich Engels, Karl Kautsky bis Sidney Hook unaufhaltsam nach rechts, indem sie den Staatsapparat als Mittel zur Umverteilung akzeptierten, stärkten und zu „linken“ Anhängern des Korporatismus wurden, (vgl. Murray Rothbard, „Der Verrat an der amerikanischen Rechten“, S. 228 f.). Im Laufe ihrer Entwicklung wurden sie zu Etatisten und wechselten vom linken, individualistischen Flügel zu den konservativen Rechten. Nichts kennzeichnet besser diesen Geist wie die Worte Ferdinand Lassalles: „Der Staat ist Gott.“ (Ludwig von Mises „Im Namen des Staates“, S. 47).

Das Sichern von Privilegien für ihre Apparatschiks ist inhaltlich eine rechte Position, ideologisch präsentieren sich die Sozialdemokraten dagegen als links. Von ihrem Versprechen, dem Arbeiter den „wahren“ Wert seiner Arbeit (Karl Marx) zukommen zu lassen, ist bei den Sozialdemokraten schon lange nicht mehr die Rede. Der Arbeiter ist der vergessene Mann der „Sozialisten in allen Parteien“ (Friedrich August von Hayek), der diese jedoch über seine Steuern und sonstigen Abgaben finanziert.

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Der Konservatismus steht für die Bewahrung der aktuell herrschenden gesellschaftlichen Ordnung, mit einer leichten Tendenz, einen bereits vergangenen Zustand zu idealisieren. Da die progressive Ausrichtung des Konservativismus es unmöglich macht, eigene Visionen zu entwickeln, müssen sie die Ideen von anderen übernehmen. Alle Maßnahmen staatlicher Regulierungen und des Wohlfahrts-Etatismus wurden nicht nur von und ganz von den Konservativen unterstützt, sondern wurden von ihm sogar aus der Taufe gehoben, um von einem freien Markt zu einer Kartellwirtschaft kommen zu können. Unter dem Tarnmantel von Regulierungen „gegen Monopole“ und „zugunsten der öffentlichen Wohlfahrt“ waren die Konservativen erfolgreich darin, sich selbst Kartelle und Privilegien durch die Benutzung der Regierung zu garantieren. Die Konservativen ebneten durch Otto von Bismarck den Weg zum korporativen Interessenstaat und führten deswegen den Wohlfahrtsstaat ein.

Der Wohlfahrtstaat als moderner Feudalstaat war die politische Strategie der deutschen Konservativen, um, basierend auf einer national-etatistischen Ideologie, eine vom Staat abhängige Bevölkerung zu schaffen. Bismarck beschrieb den Grund für den anhaltenden Erfolg dieser Idee wie folgt: „Der Staatssozialismus paukt sich durch. Jeder, der diesen Gedanken wieder aufnimmt, wird ans Ruder kommen.“ – „Mein Gedanke war, die arbeitenden Klassen zu gewinnen, oder soll ich sagen zu bestechen, den Staat als soziale Einrichtung anzusehen, die ihretwegen besteht und für ihr Wohl sorgen möchte.“

Das Mittel zur Machtsicherung ist die Erzeugung eines möglichst großen Pools von Abhängigen von staatlichen Transferleistungen. Der Wohlfahrtsstaat trennt die individuellen Handlungen von den Folgen der Handlungen und sorgt für eine kollektive Verantwortungslosigkeit. Tatsächlich finanzieren die Zwangsversorgten ihre „soziale“ Sicherung direkt oder indirekt selbst und dazu den wuchernden Behördenapparat, der von den Privilegierten betrieben wird. Eine logische Folge der Auftrennung von Nutzen und Beitragen im Wohlfahrtsstaat ist, dass die aktuelle Generation auf Kosten der nachfolgenden Generationen lebt, denn letztere müssen die Staatsschulden finanzieren, die erstere ihnen überlassen haben – am Ende steht unweigerlich der Staatsbankrott. Was ist an dieser Gerechtigkeit „sozial“?

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Der klassische Liberalismus steht vor allem in der Tradition des angelsächsischen liberalen Denkens, wie es in den Worten von Thomas Jefferson zum Ausdruck kommt: „Wir halten diese Wahrheiten für selbstverständlich, daß alle Menschen gleich geschaffen sind, daß sie von ihrem Schöpfer mit gewissen unveräußerlichen Rechten ausgestattet sind, daß dazu Leben, Freiheit und das Streben nach Glück gehören, daß zur Sicherung dieser Rechte Regierungen unter den Menschen eingesetzt werden, die ihre rechtmäßige Macht aus der Zustimmung der Regierten herleiten, daß, wenn auch immer irgendeine Regierungsform diese Zwecke zerstört, das Volk berechtigt ist, sie zu ändern oder abzuschaffen.“ Thomas Jefferson definiert hier einen widerruflichen Gesellschaftsvertrag, der den Regierten genügend Autonomie belässt, um die von Menschen geschaffenen Institutionen jederzeit durch andere besser zu ihnen passende Institutionen zu ersetzen. Anthony de Jasay erinnert uns daran, dass die Legitimität von Regierungshandeln stets kritisch zu hinterfragen ist.

Das Ziel des klassischen Liberalismus war die Durchsetzung von individuell gleichen Rechten und damit logisch verbunden, dem gleichen Recht jeder Person auf Eigentum. Zur Durchsetzung dieser Ziele war ein Minimalstaat angedacht, der über das Mittel der kollektiven Wahl (Demokratie) von seinen Bürgern gesteuert und von der Verfassung begrenzt wird. Jede individuelle Wahl kann durch die kollektive Wahl außer Kraft gesetzt werden. Im Laufe der Zeit wurde aus dem Minimalstaat ein Maximalstaat. Hayek nannte dies den „Weg in die Knechtschaft“. Weil der Liberalismus wie der Konservativismus wegen seiner fehlenden Prinzipien nicht resistent ist gegen ideologische Angriffe, ist er zu progressivem Identitätsverlust verurteilt: Der Liberalismus ist nicht strikt!

Wenn also konservativ rechts ist, die Sozialisten und Sozialdemokraten als strukturkonservative inhaltlich auch rechts sind, weil sie allesamt das gleiche Mittel wählen, dann sind die Begriffe „links“ und „rechts“ zu Worthülsen verkommen, die nur zur Diskreditierung des politischen Gegners verwendet werden. Darüber hinaus lässt sich der weltweit beobachtbare Trend gegen die politischen Eliten mit „links“ oder „rechts“ nicht fassen. Es ist ein anderes Kriterium zur Unterscheidung erforderlich.

Das Kriterium besteht aus den Ideen und Werturteilen, die die individuelle Handlung leiten, der Handlung selbst und den Folgen einer Handlung. Freiheit bedeutet die Freiheit der Wahl unter vorgegebenen Möglichkeiten (liberum arbitrium). Wer aber wählt die Mittel zur Zielerreichung? Das Individuum oder das Kollektiv? Alles in allem reduziert sich die Unterscheidung in Freiheit oder Gleichheit, in menschliche Individualität oder individuelle Identität: echte Gegensätze!

Auf der kollektiven Seite wird eine Befehl-Gehorsam-Beziehung definiert. Es ist für das Individuum nicht relevant, ob es von einem Diktator oder von einer Mehrheit bei der Verwirklichung seiner Ziele behindert wird. Das Mittel der Gleichheit ist der Zwang.

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Kommen wir nun zu der dem Kollektiv gegenüberliegenden Seite, auf ihr befinden sich die Befürworter der individuellen Freiheit. Das Gegenteil von politisch „links“ ist nicht „rechts“, sondern „frei“. Das Mittel der Freiheit ist die Kooperation. Freiheit kommt beim Wählen von Zielen im Handeln zum Ausdruck. Jedes Wählen ist zukunftsorientiert und geht auf Kosten des Ausschlagens der nächstschlechteren Alternative. Jede Wahl hat stets den Charakter eines relativen Werturteils. Da das Individuum nicht die Ziele aller Menschen kennen kann und diese bei seiner Wahl berücksichtigen kann, fordert die Freiheitsvermutung, wie sie von Anthony de Jasay vertreten wird, die Beweislastumkehr: Jede Handlung ist frei, wenn sie nicht mit dem Recht eines anderen im Konflikt steht. Dies bedeutet, dass nicht der Handelnde beweisen muss, dass er die Freiheit zu einer Handlung besitzt, sondern der Kläger muss beweisen, dass der Handelnde die Freiheit zu einer Handlung nicht besitzt.

Der Liberalismus verlangt die Übernahme der individuellen Verantwortung für die Folgen der eigenen Handlungen. „Der Mensch handelt. Handeln bedeutet, nach Zielen streben, das heißt, ein Ziel zu wählen und sich der Mittel zu bedienen, um das erstrebte Ziel zu erreichen“ (Ludwig von Mises). Deshalb bedarf Freiheit keiner Rechtfertigung; was gerechtfertigt werden muss, ist ihre Einschränkung, denn dafür benötigt es die vorherige Einwilligung. Niemand hat ein Recht, zwangsweise auf Kosten eines anderen zu leben. Das heißt auch, dass jede Lebensform zu tolerieren ist, solange nicht Rechte anderer verletzt werden. Freiheit schließt sowohl die körperliche Unversehrtheit als auch das Eigentum ein.

Jeder Mensch hat einen moralischen Anspruch auf den Ertrag seiner Leistungen, den Genuss seines Eigentums. Einkommen gehört dem Empfänger, der es verdient oder einen anderen Rechtsanspruch darauf hat. Für Liberale ist deshalb eine schlüssige Erklärung erforderlich, warum die in Frage stehenden Mittel nicht der Person gehören, die sie erworben, verdient, erspart oder geerbt hat. Rechte sind verteilungswirksam und bedürfen deswegen eines Existenzbeweises.

Zu einem Recht gehört eine Verpflichtung einer anderen Person, zu einer Freiheit oder Immunität das Nichtvorhandensein eines damit in Widerspruch stehenden oder einschränkenden Rechtes einer anderen Person. Rechte unterscheiden sich damit grundlegend von Freiheiten, diese verstehen sich von selbst. Wenn Eigentum durch Vertrag erworben wird, so bestehen Recht und Verpflichtung bis die Übertragung bestätigt und die Bezahlung erfolgt ist. Nach vollständiger Erfüllung erlöschen diese Rechte und Verpflichtungen, und das Eigentum ist unbelastet und frei.

Ein wesentlicher Aspekt des Eigentums ist die Freiheit zum Ausschluss von Fremden aus der Privatsphäre. Die Grenzen von Freiheit sind nationale Grenzen, sie stellen die Erweiterung der Privatsphäre eines Hauses dar. „Das Programm des Liberalismus hätte also, in ein einziges Wort zusammengefasst, zu lauten: Eigentum.“, folgert Ludwig von Mises in „Liberalismus“.

Nur mit der Idee der Freiheit kann die der Gleichheit überwunden werden. Freiheit ist eine Idee, die der Welt bessere Chancen auf Frieden und Wohlstand bietet und deren Zeit gekommen ist. Anthony de Jasay tritt für einen prinzipienfesten Liberalismus ein. Als überzeugter Liberaler hat der Verfasser dieses Artikels Anthony de Jasays Buch „Social Contract, Free Ride“ als „Der Gesellschaftsvertrag und die Trittbrettfahrer” übersetzt, das in der zweiten Jahreshälfte endlich erscheinen soll. Freiheit ist ein Prinzip! „Liberal zu sein bedeutet, Freiheit über Gleichheit zu stellen“, so Anthony de Jasay.


Burkhard Sievert ist freiberuflicher IT-Berater.

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