Tichys Einblick hatte bereits am 31. August – wie einige andere unabhängige Journalisten auch – darüber aufgeklärt, dass die Fake News über eine angebliche Hetz- oder Menschenjagd in Chemnitz von der ZEIT publiziert und vom Regierungssprecher Steffen Seibert und schließlich sogar von der Bundeskanzlerin promoviert worden sind. Während Tichys Einblick die Situation in Chemnitz analysierte, lief eine Medienkampagne, in der von Hetzjagden phantasiert wurde und Journalisten und Politiker darin wetteiferten, die Chemnitzer, die Sachsen, die Ostdeutschen zu verunglimpfen.
Die Bundeskanzlerin kanzelte einfach ab: „Meine Reaktion ist, dass wir dort Bilder gesehen haben, die sehr klar Hass und damit auch Verfolgung von unschuldigen Menschen deutlich gemacht haben. Von denen muss man sich distanzieren, das hat Herr Seibert gemacht, das tue ich, das habe ich auch schon getan, und damit ist alles gesagt.“
Da wird Deutschland gespalten, in dem die Bürger einer ganzen Region an den Pranger gestellt werden – auch vom Regierungssprecher – und statt einer Entschuldigung will Seibert nicht über Semantik streiten. Linguistisch gesehen kann man jedoch nur über Aussagen und ihren Wahrheitswert sprechen, wenn man ihre Semantik betrachtet. Seibert will nicht über den Wahrheitswert seiner Äußerungen sprechen. Befindet er sich bereits am Vormittage seiner Apotheose?
Die Wahrheit tanzt nicht nach der Pfeife der Politik. Gestern hat der Verfassungsschutzpräsident, Hans-Georg Maaßen, BILD gegenüber gesagt: „Die Skepsis gegenüber den Medienberichten zu rechtsextremistischen Hetzjagden in Chemnitz werden von mir geteilt.“ Er führte aus, dass dem Verfassungsschutz keine belastbaren Informationen darüber vorliegen, dass sich so etwas ereignet hätte. Zum Video, das die Tagesschau als Beweis ausstrahlte, äußerte der Verfassungsschutzpräsident, „dass seiner Bewertung nach gute Gründe dafür sprächen, dass es sich um eine gezielte Falschinformation handele, um möglicherweise die Öffentlichkeit von dem Mord in Chemnitz abzulenken.“
Zur Erinnerung: Weder am Sonntag, noch am Montagmorgen gab es Berichte über Hetzjagden. Der mdr hatte vor Ort recherchiert und in seiner Sendung um 7.29 Uhr über Chemnitz berichtet und sowohl die Oberbürgermeisterin als auch die Polizei interviewt – Hetzjagden spielten in den Interviews keine Rolle. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Antifa-nahe Journalist Johannes Grunert über „Jagd auf Migranten“ auf ZON geschrieben. Später wurden im Munde des Regierungssprecher Hetzjagden. Zum Beweis wurde auf ein sehr kurzes Videoschnipsel der Antifagruppe Zeckenbiss verwiesen. Hans-Georg Maaßen schätzt ein, dass es keine Belege dafür gäbe, dass das Video authentisch sei. – Nach dieser Äußerung von Maaßen ist klar, dass nun die mediale Hetzjagd gegen ihn los geht.
Der Skandal ist ein zweifacher. Eine noch auf Grund ihrer Geschichte im Ansehen stehende überregionale Wochenzeitung lässt einen Journalisten, von dem nicht sicher ist, ob er stärker Journalist oder Aktivist ist, ungeprüfte Behauptungen verbreiten. Die journalistische Unabhängigkeit der ZEIT steht in Frage.
Ein Regierungssprecher und später die Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland übernehmen diese Behauptung und stellen sie als Wahrheit hin. Erst durch Steffen Seibert wird die Behauptung einer Hetzjagd, die enorme Folgen für das Ansehen der Region und wirtschaftliche Auswirkungen hat, zur „Wahrheit” gemacht. Hat der Journalist Seibert die Quelle und die Wahrhaftigkeit der Behauptung überprüft, bevor er sie der Weltöffentlichkeit als so geschehen in Chemnitz offerierte? Oder wollte er es nicht? Ging es Steffen Seibert darum, um, wie der Verfassungsschutzpräsident vermutet, vom Mord in Chemnitz abzulenken?
Dass Maaßen in seiner Vermutung recht haben könnte, dass vom Mord abgelenkt werden sollte, bestätigt die Anmoderation des Konzerts, wenn mit folgenden Worten zu einer Gedenkminute für Daniel Hillig aufgerufen wird: „Und deshalb lasst uns auch an die Menschen erinnern, die Opfer von rechter Gewalt und Hass in diesem Land geworden sind. Ich bitte euch, nun eine Minute zu schweigen für Daniel Hillig.“ Die Propaganda reicht von „Hetzjagden“ bis hin zu der Behauptung, dass der von Migranten ermordete Daniel Hillig ein Opfer von rechter Gewalt und Hass wurde und man dadurch insinuiert, dass der „rechte Mob“ Daniel Hillig getötet hätte. Die Mächtigen schufen mit dem Konzert eine Propagandakulisse, die all jene, die die DDR noch erlebt haben, an das Nationale Jugendfestival erinnert, das die FDJ veranstaltete.
Dass die Erklärungen des Regierungssprechers darauf abzielen, vom Desaster der Merkelschen Politik in Deutschland, aber auch in Europa abzulenken, ist augenscheinlich. Die Frage, die sich angesichts dieser Vorgänge stellt, lautet, inwieweit ist der Regierungssprecher der Wahrheit verpflichtet. Es ist Zeit für eine Entlassung und für eine Entschuldigung – bei den Chemnitzern und bei den Sachsen.