Tichys Einblick
Wie muss deutscher Nationalstolz aussehen?

NS-Aufarbeitung und Nationalgefühl: Einfache Lösungen gibt es nicht

Die schwierige Beziehung der Deutschen zu ihrer Heimat ist letztlich Grund für die meisten Probleme im Land, ob akut oder lang schwelend. Die Alternative, die die AfD anbietet, greift zu kurz.

picture alliance / Schoening | Schoening

„Unsere Vorfahren waren keine Verbrecher“, verkündet Maximilian Krah, Europaabgeordneter der AfD, über die sozialen Medien. Er bietet jungen Menschen eine Alternative zum „Schuldkult“ an, dazu, sich selbst und das eigene Heimatland schlechtzureden und fortwährend nur unter dem Schatten des Holocaust wahrzunehmen.

Das ist wichtig, denn das schwierige Verhältnis der Deutschen zu sich selbst liegt letztlich nahezu allen Problemen im Land zugrunde: Was man nicht schätzt, schützt und pflegt man nicht.

Krahs Aussagen klingen da genau richtig, sowohl für junge Leute, für die der Horror des NS-Regimes nicht mehr durch die Begegnung mit Zeitzeugen an Kontur gewinnt, als auch für jene, die noch von Lehrern der 68er-Generation unterrichtet wurden und verinnerlicht haben, dass Nationalstolz ein Übel sei. Letztere erlitten einen veritablen Schock, als Deutschland während des legendären Sommermärchens 2006 in einem Meer aus schwarz-rot-goldenen Wimpeln versank: Eine glänzende Zukunft voll sympathischen, weltoffenen Patriotismus’ schien zum Greifen nah.

Aber dann brach die Wokeness aus, und spätestens seit 2015 war es opportun, das schlechte Nationalgewissen aufrechtzuerhalten, um Kritik an der Migrationspolitik zu ersticken. Mit zunehmendem Zuspruch für die AfD wurde dies dann obligatorisch und nahm absurde Ausmaße an: „Alle sind Hitler, du und ich, und deine Mutter sind Hitler“, spottet der KI-Satiriker Willy Kramer alias „Snickers für Linkshänder“ über die Nazi-Neurose, die jeden treffen kann, sobald er eine vom Mainstream abweichende Meinung vertritt.

Also zurück auf Anfang: Wie sieht ein gesundes Nationalbewusstsein für Deutsche aus? Hier führt uns Krah aufs Glatteis.

Der falschen These von einer Kollektivschuld, gar einer, die auch nachfolgende Generationen träfe, setzt er eine Art Generalabsolution entgegen: „Unsere Vorfahren waren keine Verbrecher.“ Der Satz ist so formuliert, dass Widerspruch zeitraubend und aufwendig ist, wenn er zutreffend sein will. Denn natürlich waren nicht alle unsere Vorfahren Verbrecher. Doch unter dem Vorwand, jüngere Generationen von einem ungerechten Vorwurf zu entlasten, schiebt Krah die Schuld gerade von dort weg, wo sie vorliegt: bei den „Vorfahren“. Der Wortsinn stimmt, die Aussage dahinter ist unlauter. Krah katapultiert uns zurück in eine Attitüde der Leugnung. Hitler hat immerhin Autobahnen gebaut und es war nicht alles schlecht. Fast niemand war wirklich Nazi, nein, auch nicht jedes SS-Mitglied; und hatte nicht so gut wie jeder einen Juden bei sich zu Hause versteckt?

Die Diskussion über Schuld ist nicht obsolet – aber sie wird falsch geführt

Die faktische Leugnung der Problematik um Schuld, und zwar nicht nur des Täters, sondern auch des Mittäters und Mitläufers und jener, die zu- oder weggeschaut haben, hilft indes niemandem. Es ist ein zivilisatorischer und ethischer Rückschritt in die Unterkomplexität, so als besäßen wir nicht die diskursiven Fähigkeiten und die Ambiguitätstoleranz, um schwierige Sachverhalte zu diskutieren und auch Dilemmata und Paradoxe zu benennen und auszuhalten.

Allerdings gehört die Hybris, die Schuldfrage restlos klären und sich zum Richter über unsere Vorfahren aufschwingen zu wollen, auf den Prüfstand. Das ist bereits bei den Mitläufern schwerlich möglich, noch weniger bei jenen, die durch Terror und Todesangst zu Mittätern wurden. Hier liegt der eigentliche Fehler im Umgang mit der Vergangenheit.

Was es tatsächlich bräuchte, wäre der Abwurf von unrechtmäßig aufgebürdetem Ballast. Dann aber müsste der Krah’sche Satz lauten: „Auch wenn und falls unsere Vorfahren Verbrecher waren, beruht weder unsere Identität noch die unseres Landes ausschließlich auf ihren Taten.“ Ist das schon zu komplex für TikTok? Nun, sicherlich ließe sich auch das prägnant auf den Punkt bringen, wenn man es wollte.

Krah will es offenbar nicht, und das ist entlarvend. Ebenso wie die Einlassungen, in denen er die Türken ohne jede Ironie oder Distanz als „Waffenbrüder“ im Ersten Weltkrieg bezeichnet: Die Türken haben vorgemacht, wie man sich historischer Verantwortung entledigt. Dort hat man schlicht keinen Völkermord begangen, niemals nie. Eine Unaufrichtigkeit, die Deutschland wohl kaum als Vorbild dienen sollte.

Ohne positives Selbstbild blockiert sich Deutschland selbst

Brisanz entwickeln solche Äußerungen aus den Reihen der AfD unter anderem, weil der Mangel an positiver Selbstidentifikation Deutschland blockiert.

Könnte die AfD hier eine echte „Alternative“ bieten, würde sie tatsächlich den Neustart ermöglichen, den das Land braucht.

Das zumindest hat auch Elon Musk begriffen, der die Deutschen auf dem AfD-Wahlkampfauftakt dazu aufgerufen hatte, stolz auf ihr Land zu sein. Auf seinem Onlineportal machte er wiederholt Werbung für die AfD. Zuletzt bezeichnete er sie als „einzige Hoffnung für Deutschland“, flankiert von zwei Deutschlandflaggen.

Abgesehen davon, dass er die politische Positionierung der Partei missversteht, unterschätzt Musk die Komplexität des Themas, wenn er sich die Anti-Schuldkult-Rhetorik zu eigen macht. Es ist müßig, sich mit linkem Selbsthass aufzuhalten: Die Frage ist schlichtweg nicht, ob Deutsche Nationalstolz haben dürfen, sondern, wie dieser beschaffen sein muss. Und hier hat Deutschland andere Voraussetzungen als andere Länder. Das übersieht auch die AfD.

Auch abseits des NS-Regimes ist Deutschland ein historischer Sonderfall

Keineswegs hat die Nazidiktatur den Deutschen die Fähigkeit genommen, ein positives Selbstbild zu pflegen. Das entwickeln sie durchaus, bloß eben nicht primär als Deutsche, sondern als Rheinländer, Friesen, Lausitzer; als Franken oder Bayern.

Das liegt nicht zuletzt daran, dass die Nationwerdung der Deutschen unter preußischer Vorherrschaft kein organischer Prozess war. Sie wurde nicht einmütig angestrebt, und wird bis heute unter stolzen Freistaatlern wie den Bayern lediglich hingenommen. Kein Wunder also, dass dieses Deutschland von vielen Deutschen mehr oder minder „ignoriert“, zumindest aber deutlich weniger geliebt wird als die Heimat – die eben in erster Linie die Eifel oder das Erzgebirge ist, nicht aber die Bundesrepublik Deutschland.

Deutsche müssen also zunächst unabhängig vom Nationalsozialismus überlegen, wer sie als Nation sind. Die Antwort wird wahrscheinlich immer auf eine fragmentierte Identität hinauslaufen. Patriotismus nach französischem oder britischem Vorbild wäre unauthentisch. Die US-amerikanische Version, die im besten Fall unterschiedlichste Identitäten unter Hymne und Flagge zusammenschweißt, im schlimmsten Fall aber in einem „melting pot“ auflöst, würde den stark prägenden deutschen Mikroidentitäten nicht gerecht.

Geschichtsverkürzung gibt es nicht nur von links

Diese Besonderheit schmeckt der AfD nicht. Ihr Wahlprogramm wendet sich unter anderem gegen den „ideologische[n] Furor, der sich mittlerweile gegen Preußen und das Kaiserreich richtet“, und der „nicht nur diesen vergangenen Staaten, sondern der deutschen Nation an sich“ gelte. Diese Kritik zielt auf linke Versuche, das Kaiserreich als ursächlichen Vorläufer des Nationalsozialismus darzustellen. Zumal die woke Linke die Gelegenheit nutzt, um die deutsche Kolonialgeschichte als neuen Steinbruch für Schuldgefühle zu gewinnen, und die Aufarbeitung im angelsächsischen Raum auf die kurzlebige und weit weniger bedeutende Kolonialmacht Deutschland zu übertragen.

Sich dagegen zu wehren, ist völlig richtig, allerdings findet sich auch hier der Hang zur Vereinfachung: Dass es unzutreffende Kritik am Kaiserreich oder an Preußen gibt, bedeutet nicht, dass es nicht auch zutreffende – und bedeutsame – Kritik gäbe.

Sich ausgerechnet hinter Preußentum und Kaiserreich zu stellen zeigt, dass das deutsche Geschichtsbewusstsein auch auf „rechter“ Seite unzureichend und selektiv ist. Und vor allem greift es viel zu kurz: Wirft man Linken vor, die deutsche Geschichte auf die Jahre 1933 bis 1945 zu verkürzen, so ist wenig gewonnen, wenn man sie lediglich um 60 oder auch 100 Jahre erweitert.

Die AfD (bzw. ein Teil der Partei) aber meint, der Irrweg der Linken legitimiere einen anderen Irrweg: eine Abkürzung, im Zuge derer Nationalstolz losgelöst von der eigenen Geschichte aufgebaut wird. Das ist widersprüchlich, schließlich konstituiert die Geschichte einer Nation diese maßgeblich. Dieses Ansinnen ist zudem keineswegs konservativ. Es erweist jene, die es vorantreiben, als „woke Rechte“: eine konstruktivistische Herangehensweise an Identität und Nation, die sich lediglich in der Zielrichtung, nicht grundsätzlich, von Linken unterscheidet.

Die AfD lässt die Chance verstreichen, hier echten, der Komplexität des Sachverhalts gerecht werdenden Diskurs einzufordern. Das wäre eine echte, eine zukunftsweisende Alternative.

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