Im Mai 2024 wurde zum ersten Mal seit 20 Jahren ein Verstoß gegen den Rundfunkstaatsvertrag festgestellt. Eine Dokumentation darf nicht mehr gezeigt werden, sie wurde aus der Mediathek entfernt. Der Intendant des NDR, Joachim Knuth, übernahm mit seiner Anstalt die Verantwortung dafür. Was war geschehen?
Im November 2023 sendete man die Dokumentation „Deutsche Schuld – Namibia und der Völkermord“. Später fanden sich dafür Sendeplätze bei RBB, SWR und MDR. Der Gegenwind, der sich daraufhin erhob, traf den NDR offenbar überraschend.
Zunächst stellte sich der NDR schützend vor sein Produkt. Selbst nach Änderungen an der Doku, später nach der Entfernung aus der Mediathek, wollte man eigene Fehler lange nicht eingestehen. Der MDR reagierte mit der Schutzbehauptung, das Projekt sei von Historikern begleitet worden, zog die Aussage später aber wieder zurück.
Versehen oder Absicht?
In der Doku wimmelt es von sachlichen Fehlern und Falschdarstellungen. Die krasseste und hervorstechendste Lüge war die Behauptung, es gäbe in Namibia kein Mahnmal für die Opfer des Völkermordes an den Herero und Nama. Dabei ist es sogar mehrfach im Film zu sehen. Minister Habeck legte dort bei seiner Erkundungsmission nach Grünem Wasserstoff im Herbst 2022 höchstselbst einen Kranz nieder.
Desgleichen falsch war die Behauptung, niemand von der deutschsprachigen evangelischen Kirche sei zu einem Gespräch bereit gewesen. Der Bischof weist das entschieden zurück, es gab schlicht keine Terminvereinbarung.
Beklagt wurde der hohe Anteil an Landbesitz von Deutschstämmigen, verschwiegen aber, dass die namibische Regierung seit Jahren Farmen kauft und im Rahmen einer Landreform rechtsstaatlich umverteilt.
Nach 1915 und nach Kämpfen mit der südafrikanischen Armee zogen sich die deutschen Kolonialtruppen zurück. Die Zeit danach wird in der Doku im Grunde nicht erwähnt. Namibia, das damals noch Südwestafrika hieß, wurde von Südafrika besetzt und zum Mandatsgebiet erklärt. Damit hielt die Apartheidspolitik Einzug. Die UNO versuchte, den Völkerbund-Beschluss zum Mandatsgebiet rückgängig zu machen, aber erst nach einem Spruch des internationalen Gerichtshofs in Den Haag war Südafrika 1972 bereit, nach einer Übergangsfrist Namibia in die Unabhängigkeit zu entlassen. Seit 1990 gilt Namibia als unabhängig und hat eine stabile parlamentarische Demokratie.
Seitdem regiert die SWAPO, eine ehemals marxistisch-nationalistische Partei, die sich bereits im Widerstandskampf gegen Südafrika gegründet hatte. Sicher ist das Land keine blütenweiße Demokratie, aber Namibia gilt als eines der am meisten entwickelten Länder Afrikas. In Namibia wurden auch noch nie Wahlen rückgängig gemacht wie in Deutschland.
Soviel Geschichtswissen ist den Autorinnen des Films offenbar nicht zumutbar. Das Township Windhoek-Katutura als Wohnort armer Schwarzer wird de facto auch deutscher Schuld zugeschrieben, obwohl es in den 1950er Jahren unter Bedingungen südafrikanischer Apartheitspolitik errichtet wurde. Nicht nur die Geschichte des Landes nach Abzug der Deutschen, auch milliardenschwere deutsche Entwicklungshilfe werden verschwiegen.
Produzentin und Presenterin
Wer waren die Hersteller der Doku, wer brütet so etwas aus? „Filmemacherin“ und Regisseurin war die Theaterwissenschaftlerin Silvia Palmigiano, bisher bekannt durch Filme wie „Bridges – die Krämerbrücke“, „Zu Tisch in Marokko“, „Kino im Rausch: Die Kinder vom Bahnhof Zoo“ und der Fernsehserie „Küchenkrimi – dem Essen auf der Spur“.
In diesem so genannten Presenter-Format einer Doku dominierte die Moderatorin die Bilder. Aminata Belli ist in Deutschland geboren, ihr gambischer Vater machte sie zum PoC. Nach Studien des Modejournalismus und der Medienkommunikation war sie als Modeassistentin bei der internationalen Frauenzeitschrift „Gracia“ tätig. Nebenbei moderierte sie Events und berichtete backstage von Festivals, auch für den NDR. Ebendort comoderiert sie die Talkshow „deep und deutlich“, wo es um Themen geht wie „Meine Mama: alkoholkrank und gewalttätig“, „Gewalt in deutschen Kreißsälen“ oder „Neues im Fall Jerome Boateng“. Nebenbei ist sie Bloggerin und Influencerin, womit gesagt ist, dass sie wohl keine Journalistin ist, die nach entsprechenden Standards arbeitet. Die Doku ist als „Presenter“-Format auf sie zugeschnitten.
Offensichtlich fand sich eine toxische Mischung aus Bildungsarmut, Recherchefaulheit und woke-postkolonialem Missionierungswillen. Unseriöse und tendenziöse journalistische Arbeit, wenn man sie als solche überhaupt bezeichnen kann, bringt mediale Identitätspolitik hervor, sie bringt Manipulation statt Information. Am Ende bleiben Verlierer auf dem Platz: Die Deutschen sowieso, ihre Nachfahren in Namibia, alle anderen Namibier und der namibische Staat, dem Demokratie schlicht abgesprochen wird. Jeder Arbeitnehmer, der Ausschuss liefert, muss sich verantworten. Folgen sind beim Zwangsgebührensender eher nicht zu erwarten, es wird bei seiner Forderung nach Gebührenerhöhung bleiben.
Namibia heute
Von Interesse wären allemal die aktuellen Entwicklungen Namibias gewesen. Die Industrialisierung läuft. Zwei chinesische Konzerne (sowie ein australischer) beuten die namibischen Uranminen aus und beliefern den globalen Markt. China ist an mehreren Infrastrukturprojekten beteiligt, so im Straßen-, Eisenbahn- und Hafenbau. Auch Immobilien- und Photovoltaik-Projekte werden über Finanzhilfen von dort realisiert.
Wir erinnern uns, dass auch Deutschland große Investitionen in diesem Land vorhat. Dem Wunsch der Dekarbonisierung der Raffinerie in Schwedt an der Oder (PCK) folgend sollen durch den Enertrag-Konzern im Rahmen einer Kooperationsvereinbarung mit Namibia zu Grünem Wasserstoff erhebliche Kapazitäten an Wind- und Solarstromerzeugern installiert werden, dazu kämen Elektrolyseure (für die eine Meerwasserentsalzung gebaut werden muss) und ein Tiefwasserhafen für die Verschiffung des vorher in Ammoniak umzuwandelnden grünen Wasserstoffs.
Allein 600 Windkraftanlagen sollen auf einer Fläche von 100 mal 80 Kilometern in einem Nationalpark aufgestellt werden, wovor Chris Brown, der Chef der namibischen Umweltkammer, warnt. Erneut droht deutscher Einfluss, diesmal als Energiekolonialismus.
Die chinesischen Baumaschinen rattern unterdessen weiter.
Heutige Sühne ohne Schuld
Dies alles wäre berichtenswerter und interessanter Stoff für eine Doku. Es könnte aber Zweifel an den energiepolitischen Entscheidungen unserer Regierung entstehen lassen. Das will der NDR mit Sicherheit nicht.
Da ist es einfacher, nach schlichtem Strickmuster unbestreitbar vorhandene deutsche Schuld zu thematisieren. Nur fehlt der Adressat, denn die für den Völkermord vor 120 Jahren Verantwortlichen sind nicht mehr zu greifen. Dann belastet man eben die Nachkommen, in Deutschland wie in Namibia (die dort nur ein
Prozent der Bevölkerung stellen).
Die Annahme, dass zwei ziemlich ahnungslose Frauen eine Doku über ein solches schwergewichtiges politisch-historisches Thema mal eben unterhaltsam hinkriegen, war abstrus. Der Vorgang „Deutsche Schuld – Namibia und der Völkermord“ ist ein Paradebeispiel für das sinkende Niveau der Öffentlich-Rechtlichen und auch Ausweis einer gigantischen zwangsfinanzierten Geldverschwendung.
Nahtlos schließt sich nun ein podcast des WDR an, in dem es um den Sport, insbesondere den Fußball, in Namibia geht. Auch hier dasselbe Bild: Die Deutschen seien Schuld, dass sich der Breitensport in Namibia nicht besser entwickelt. 75 Jahre Geschichte eines Mandatsgebiets und die südafrikanische Apartheitspolitik werden unter den Teppich gekehrt.
Verstöße gegen den Rundfunkstaatsvertrag werden äußerst selten und nur auf öffentlichen Druck hin festgestellt. Gebührenfinanzierte Fakes und Halbwahrheiten der Öffentlich-Rechtlichen werden uns auch weiterhin begleiten. Halten wir es mit Dushan Wegner: Glaube wenig, prüfe alles, denke selbst.