Tichys Einblick
Nach EM-Aus

Nagelsmann appelliert an die Nation – Der giftige Virus der Politisierung des Sports

Aufgewühlt würdigte Nagelsmann den Kampf seiner Mannschaft und beklagte das fehlende Spielglück. Um dann thematisch das Fußball-Feld zu verlassen, und den Zuschauern zu sagen, was anders sein müsste im Land. Es sind die naiven Vorstellungen eines Fußball-Experten über Politik und Gesellschaft.

Bundestrainer Julian Nagelsmann und DFB-Präsident Bernd Neuendorf, Pressekonferenz in Herzogenaurach am 6. Juli 2024

picture alliance / GES/Markus Gilliar | Markus Gilliar

Die deutsche Nationalmannschaft ist nach einem dramatischen, hochklassigen Kampfspiel unter höchst unglücklichen Umständen bei der Fußball-Europameisterschaft mit einer Niederlage gegen Spanien ausgeschieden. Die Tränen von Spielern, von Trainer Julian Nagelsmann und vermutlich Millionen von Fans waren allzu verständlich; hilflose Empörung löste vor allem die Tatsache aus, dass kurz vor Spielende ein glasklares Handspiel des spanischen Verteidigers im Strafraum nicht geahndet wurde – wogegen die lächerlichsten Berührungen des Balls mit der Hand in anderen EM-Begegnungen sehr wohl einen Elfmeter zur Folge hatten.

Dieses Gefühl der himmelschreienden Ungerechtigkeit hat die halbe Nation in Trauer und Verzweiflung gestürzt, genau wie die Protagonisten der Nationalmannschaft. Dabei gab es sehr wohl Grund zur Freude: Angesichts des bravourösen Auftritts der deutschen Kicker scheint die seit Jahren gewachsene Entfremdung zwischen Fans und Nationalmannschaft beseitigt zu sein – wenn nur nicht dieser Wermutstropfen wäre, dieses Gift der Politisierung des Sports, diese zunehmende Neigung von Kickern und Trainern, die Welt und das Volk mit politischen Botschaften beglücken zu wollen. Leider glaubte auch Nagelsmann in aufgewühlter Stunde an das deutsche Volk appellieren zu müssen.

Sichtlich aufgewühlt und immer wieder mit den Tränen kämpfend würdigte Nagelsmann den großen Kampf seiner Mannschaft und beklagte das fehlende Spielglück. Um dann thematisch das Fußball-Feld zu verlassen, und den Deutschen zu sagen, was anders sein müsste im Land, weil „wir es geschafft“ haben, „die Menschen zu einen“; deshalb könne „das Fußballturnier ein Vorbild“ sein für die Gesellschaft.

„Menschen willkommen heißen und integrieren“

Es war bei wohlwollender Interpretation vor allem ein rührend-naiver Appell an den Gemeinsinn der Menschen. „Wir dürfen nicht vor Neid zerfressen sein“, gemeinsam sei man erfolgreicher als allein. „Man muss sich unterstützen, alle Menschen integrieren und willkommen heißen“, miteinander für eine bessere Zukunft arbeiten.

Da war sie aber nun überdeutlich, die große Botschaft fast aller deutschen Parteien, der geistigen Führer dieses Landes, und natürlich des Deutschen Fußballbundes (DFB) seit vielen Jahren: Deutschland muss ein „offenes, tolerantes“ Land sein, das die Migranten, die Flüchtlinge, einfach alle braucht, und sie müssen integriert werden, von der Politik und Gesellschaft integriert werden, ganz offensichtlich tragen vor allem die Deutschen dafür die Verantwortung.

Mit dieser schlichten Botschaft versuchen die Bundesregierungen seit mindestens einem Jahrzehnt jede differenzierte Betrachtung des Flüchtlings- und Migrationsproblems, jede Auseinandersetzung mit den Herausforderungen einer überforderten Gesellschaft, mit dem wachsenden islamischen Einfluss, der Besorgnis erregenden Kriminalstatistik usw. usf. abzutun.

Kein Aufruf zum „Kampf gegen Rechts“

Was anders als die beschwichtigende, weltfremde Regierungsbotschaft soll man aus Nagelsmanns Worten herauslesen? Zumindest hat er weder direkt noch indirekt zum „Kampf gegen Rechts“ aufgefordert, so wie seine Trainerkollegen Cristian Streich und Ralf Rangnick.

Der junge deutsche Nationaltrainer verwies durchaus zu Recht auf die problematische Vereinzelung und Ich-Bezogenheit vieler junger Menschen, auf die zahlreichen Schwierigkeiten der Vereine, nicht nur der Sportvereine; dabei erwähnte er nicht einmal ansatzweise, dass eine der größten Herausforderungen für die Fußballvereine die wachsende Zahl von Jugendlichen mit Migrationshintergrund sind, die auf dem Sportplatz eine zuweilen nicht bekannte Gewaltbereitschaft mit sich bringen.

„Es ist wichtig zu realisieren, in welch schönem Land wir leben, landschaftlich und kulturell. Was wir für Möglichkeiten haben, wenn wir alle zusammenhalten und nicht alles extrem schwarz malen, dem Nachbarn nichts gönnen und von Neid zerfressen sind“, sagte Nagelsmann.

Antwort auf Wirtschafts-Desaster und Sinnkrise

Warum sollte man den schönen Worten des 36-Jährigen widersprechen, außer, man überlegt, was seine Botschaft eigentlich bedeuten soll?

Gemeinsamkeit und Gemeinsinn als Antworten auf eine zutiefst verunsichernde Ära des politischen, wirtschaftlichen und technologischen Wandels, auf den drohenden wirtschaftlichen Abstieg Deutschlands, auf die Krisenherde und Kriege in der Welt, auf die Gottlosigkeit und die Sinnkrise im Westen, auf den ideologischen Furor, mit denen starke Kräfte im Westen die Welt zu einem besseren Ort machen wollen und dabei unsere Sprache, unsere Kultur, unsere Freiheit und unser gesamtes Leben bedrohen?

Nagelsmanns Appelle sind ehrenwert, wenngleich etwas schlicht und naiv. Das Wesen der Demokratie wird sicher weniger von „Einigkeit“ und „Gemeinsinn“ im politischen Alltag geprägt, als vom fairen Ringen um den Ausgleich der unterschiedlichsten Interessen. Schade auch, dass der Trainer nicht auf die merkwürdige Anweisung von Institutionen wie der Polizei und der Bundeswehr verwiesen hat, in der Öffentlichkeit keine Deutschland-Fahnen an Gebäude und Fahrzeuge anzubringen.

Gelbe Karte für Nagelsmann, Rote Karte für den DFB

Natürlich sind ein stärkeres Miteinander, mehr gegenseitige Unterstützung oder mehr Gemeinsinn, für die sich der ehrgeizige Fußballtrainer einsetzt, sinnvoll und gut. Grundsätzlich von Übel ist es allerdings, wenn Sportler, Trainer und Funktionäre glauben, politische Botschaften, selbst wenn sie noch so gut gemeint sein sollten, in die Welt hinausposaunen zu müssen. Oder mit lila Fußball-Trikots oder Regenbogen-Binden politische Botschaften senden zu wollen.

Nagelsmann muss also mit einer gelben Karte verwarnt werden. Der DFB, Streich, Rangnick und Konsorten sind schon längst mit einer roten Karte, deren Farbe sie an sich wohl ziemlich sympathisch finden, vom Platz des gesellschaftlichen Diskurses verwiesen worden.

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