Die Sensation, die sich am Sonntag bereits andeutete, als der Mitte-Rechts-Block unter Führung des Spitzenkandidaten Ulf Kristersson von der Moderaten Sammlungspartei (Moderata samlingspartiet) vor dem links-grünen Block der Sozialdemokratin Magdalena Andersson in Führung lag, vollendete sich gestern, nachdem auch die Stimmen der Auslandsschweden ausgezählt worden waren. Demnach kommt der links-grüne Block, der aus der postkommunistischen Linkspartei, den Sozialdemokraten, den Grünen und der Zentrumspartei besteht, auf 48,8 Prozent. Den liberal-konservativen Block aus Moderater Sammlungspartei, Christdemokraten, Liberalen und Schwedendemokraten wählten 49,5 Prozent der Schweden. Die Mehrheit im Parlament liegt bei 175 Stimmen. Der grün-linke Block darf 173 Abgeordnete in den Schwedischen Reichstag schicken, die Liberal-Konservativen und Schwedendemokraten 176 Abgeordnete. Die Mehrheit ist also hauchdünn.
Jetzt liegt der Ball bei Ulf Kristersson, eine Regierung zu bilden. Ungewöhnlich ist die Konstruktion in Schweden nicht, dass eine Minderheitsregierung von einer weiteren Partei, die aber nicht in der Regierung vertreten ist, unterstützt und damit getragen wird. Ob Kristersson nun schwedischer Ministerpräsident wird, hängt davon ab, ob die Schwedendemokraten darauf verzichten, Teil der Regierung zu werden. Die Mehrheitsverhältnisse sind knapp, und ob alle Abgeordneten der Liberalen eine Regierungsbeteiligung der Schwedendemokraten mittragen würden, ist mehr als fraglich. Für eine Regierungsbildung bestehen also mehrere Möglichkeiten. Vieles hängt vom klugen Agieren der Schwedendemokraten ab, ob sie entweder ihren Inhalten oder ihren persönlichen Machtambitionen den Vorrang geben.
Jimmie Åkesson von den Schwedendemokraten schrieb am Mittwochabend auf Facebook, dass es Zeit für „Sverige först“ (Schweden zuerst) wäre und dass man sich nun im Block der Gewinner der Wahl einigen müsse. Nun käme es darauf an, die Verhältnisse im Gewinnerlager detailliert zu regeln. Die Schwedendemokraten treten für ein restriktives Asylrecht ein. Hierin werden ihnen die Liberalen nicht ganz folgen. Allerdings bilden die schwedischen Verhältnisse, die durch eine laxe Migrationspolitik zerstörte innere Sicherheit, ein starkes Argument; dabei wurde in Schweden bereits Ende November 2015 die Politik der offenen Grenzen beendet. Unvergessen wie eine schwedische Ministerin, die der Partei der Grünen angehört, unter Tränen die Veränderung der Migrationspolitik bekannt geben musste. Dabei hatte jene Åsa Romson noch im Sommer 2015 die Flüchtlingssituation im Mittelmeer völlig unangemessen mit Auschwitz verglichen. Doch schon damals sprach die Realität eine eigene Sprache.
Streitpunkte zwischen Moderaten und Liberalen auf der einen und Schwedendemokraten auf der anderen Seite liegen auf dem Gebiet der Asyl-, der Europa- und der Sozialpolitik. Während die Moderaten und die Liberalen die Arbeitslosenbezüge kürzen wollen, stellen sich die Schwedendemokraten strikt dagegen. Kristersson machte deutlich, dass er eine tatkräftige Regierung bilden will. Auf Facebook schrieb er: „Meine Botschaft ist, dass ich einen will, nicht spalten.“ Was soll er nach dem knappen Wahlsieg auch anderes schreiben?
Für die EU-Administration und für die deutschen Grünen schrillen indes alle Alarmsignale. Ursula von der Leyen und ihre Leute werden alles unternehmen, was sie können, um eine Mitte-Rechts-Regierung in Schweden zu verhindern. Demokratisch wäre das zwar nicht, aber die neue Aristokratie in Brüssel ist ohnehin noch nicht durch eine große Liebe zur Demokratie aufgefallen. Man wird also in den nächsten Tagen beobachten können, ob Brüsseler Herrschaftswillen oder die schwedische Demokratie stärker ist. Das also, was einige Wahlkrimi nannten, ist noch nicht zu Ende.
Alarmiert allerdings sind die deutschen Grünen und ihre Weltinnenministerin allein deshalb, weil Europa sich verändert und der deutsche Sonderweg, auf dem sich bereits Angela Merkel sehr wohl gefühlt hatte und den die Grünen für die Hauptstraße Europas halten, in die Einsamkeit, in die Isolation führt. Migrationspolitisch und energiepolitisch, aber auch in der Frage der Pandemie, halten die anderen europäischen Staaten Deutschland nicht nur für somnambul, sondern auch zunehmend für eine Gefahr in Europa. Die deutsche Energiewende hat das Sprengpotenzial für die europäische Einigung. Die schwedischen Grünen wollten sogar das Stromkabel nach Deutschland kappen, weil Deutschland wider alle Vernunft am Atomausstieg festhält.
Nicht die EU-Aristokratie, aber die Staaten Europas werden sehr zum Schrecken der deutschen Grünen konservativer. Polen und Ungarn ohnehin, aber auch Griechenland und Österreich, Dänemark, obwohl unter einer vorzüglichen Regierung echter Sozialdemokraten, agieren bereits konservativ auf den wichtigen Politikfeldern. In Frankreich zwingt eine starke Marie Le Pen Emmanuel Macron zu konservativen Positionen, die Niederlande erschüttern die Bauerndemonstration, in Italien steht Giogia Meloni vor der Regierungsübernahme, in Spanien erstarken Tag für Tag die Konservativen.
Dieses konservativer und auch realistischer werdende Europa wird zunehmend ein Problem für die deutschen Grünen. Aber die deutschen Grünen sind längst zum Problem für Europa geworden, weil sie es für Deutschland sind, weil Deutschland in seiner Hörigkeit zur diesmal grünen Obrigkeit, in seinem traulichen Schwelgen in politischer Romantik und in Realitätsverweigerung zum Problem für sich selbst geworden ist. Ganz gleich, wie die Regierungsbildung in Schweden ausgehen wird, selbst die schwedischen Sozialdemokraten stehen weiter „rechts“ als Merzens deutsche Christdemokraten, Europa verändert sich. Wie sagte Michail Gorbatschow: Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.