Tichys Einblick
Abwiegeln und ablenken

Nach dem Mord in Kandel – von der Tat ablenken

Immer wenn man denkt, es geht nicht schlimmer, gibt es in einigen Medien noch einen drauf. Opfer werden zu Tätern uminterpretiert, und die Tat verharmlost.

Symbolbild

© Getty Images

Immer wenn man denkt, es geht nicht schlimmer, gibt es in einigen Medien noch einen drauf. In Kandel wurde ein 15-jähriges Mädchen durch einen Schutzsuchender genannten mit einem 20cm langen Küchenmesser getötet, indem er damit mehrfach auf das wehrlose Opfer eingestochen hat. Das Mädchen selbst und später noch einmal die Eltern stellten im Vorfeld der Tat Strafanzeigen wegen Beleidigung, Nötigung, Bedrohung und Verletzung persönlicher Rechte. Daraufhin wurde am 18. Dezember 2017 an der Schule eine Gefährderansprache durch Polizeibeamte, im Beisein von zwei seiner Betreuerinnen durchgeführt. Auch der zuständige Vormund des Jugendamtes war informiert. Der  Landkreises  stritt zuerst vehement ab, über die „direkte Bedrohung“ des angeblich 15-jährigen Täters durch die Polizei informiert worden zu sein. Sie wollte nur über die Beteiligung an einer schulischen Schlägerei Kenntnis haben. Am Tattag den 27. Dezember 2017 hatte die Polizei den „Flüchtling“ noch einmal persönlich aufgesucht und eine Vorladung zur polizeilichen Vernehmung ausgehändigt. Freilich ist in Deutschland niemand verpflichtet, so einer Vorladung Folge zu leisten. Dies muss man nur gegenüber der Staatsanwaltschaft oder einem Gericht.  Alle Maßnahmen indes konnten das Leben des jungen Mädchens nicht retten.

Schadensbegrenzung. Rette sich wer kann.

Die Tagesschau bevorzugte, erst gar nicht von dieser Tat zu berichten. Die unglaubliche Begründung: Es würde sich „nur“ um eine „Beziehungstat“ handeln. Über einen vorhergehenden Sexualmord an einer neunzehnjährigen Medizinstudentin Maria L. aus Freiburg durch einen „minderjährigen Flüchtling“, der später auf ein Erwachsenenalter geschätzt wurde, wurde gleichfalls nicht berichtet. Die Tat wäre damals lediglich von „regionaler Bedeutung“ gewesen, lautete hier der manipulative Ansatz. In anderen Medien wird das gegenwärtige Verbrechen als das eines „Messerstechers“, „Jugendlichen“ und „mutmaßlichen“ Täters abgemildert, der sein Opfer „zufällig“ im Drogeriemarkt angetroffen hätte. Dabei haben die Ermittlungen die „zufällige Anwesenheit“ von Abdul D. noch gar nicht ergeben, denn der Afghane schweigt bisher in der Untersuchungshaft. Außerdem wird in diversen Medien der Eindruck erweckt, es würde bereits feststehen, dass der Afghane erst 15 Jahre alt wäre, obwohl auch Journalisten bekannt ist, dass ein Großteil der Altersangaben unbegleiteter Flüchtlinge unrichtig sind.

Nachdem medial feststand, es würde sich um eine „Beziehungstat“ handeln, wurde ein Ermittlungsbeamter aus der polizeilichen Pressekonferenz mit folgenden Satz zitiert: „Zum Tatablauf sagt er, noch könnten die Beamten nicht bestätigen, dass möglicherweise eine Beleidigung der Tat unmittelbar vorausging“. Dieser Satz muss für die Hinterbliebenen wirken wie ein weiterer Messerstich. Offensichtlich geht es um die juristische Prüfung, ob sich das Tötungsdelikt aus einem dynamischen Eskalationsgeschehen heraus entwickelt habe oder ob hier eiskalter Mord vorliegt. Normalerweise ist niemand mit einem derartigen Küchenmesser unterwegs, es sei denn, mit mörderischen Gedanken. Demzufolge ist es auch sekundär für den  Geschehensablauf, ob sich das Mädchen im Vorfeld mit Worten gewehrt hat oder nicht. Das wäre mehr als nur legitim. Es erklärt keineswegs dieses Verbrechen und lenkt von der eigentlichen Tat ab.

Stichwort „Ablenkung“. Schon kurz nach der Tat, in denen Informationen zum Gesamtgeschehen noch knapp sind, gibt im Focus ein Pädagoge „Einblick in Psyche des Täters“. Kulturelle Unterschiede kann der Experte zwischen dessen muslimisch geprägtem Heimatland und Deutschland nicht feststellen. Im Gegenteil. So lobt er ausdrücklich den Umgang mit Frauen; sie würden in Afghanistan ganz besonders wertgeschätzt, egal ob Mutter, andere oder jüngere Frauen. Nur wären sie durch vielfache Gewalterfahrungen traumatisiert. Vorgeschoben werden Kämpfe mit den Taliban und Fluchterfahrungen. Politisch korrekt verschwiegen wird dagegen, dass in den dortigen Familien vielfach selbst schwere Gewalt herrscht. Das vorhandene Patriachat führt nicht selten zur bedingungslosen Unterordnung und schweren Misshandlungen durch den Vater und anderen Autoritätspersonen von Kindern. Das dadurch erzeugte Trauma eingeschlossen. Ebenso ist in archaischen Kulturen die körperliche Züchtigung an den Bildungseinrichtungen verbreitet. Der Fachmann bemängelt gleichzeitig: „Natürlich fehlt einem so jungen Menschen die familiäre Nähe, enge Verwandte, mit denen er seine Probleme besprechen kann, wo er Trost und Schutz erlebt.“ Aber genau diese „Schlussfolgerung“ ist irreführend, für viele junge unbegleitete Flüchtlinge ist es besser, außerhalb der Familie zu leben, in der man regelmäßig das Opfer von häuslicher Gewalt sein kann.

Und der Focus legt einen Tag später sogar nach. Ein Familienberater erklärt: Wann sich Eltern in die Beziehungen der Kinder einmischen sollten. Dabei wird in der Textvoranzeige ein irregulärer Zusammenhang zwischen dem Mord an dem Mädchen und einem Elternverhalten des Opfers hergestellt. Das Zauberwort des Experten heißt „Vertrauen“ zwischen Eltern und Kind. Eine Binsenweisheit aus der Bindungsforschung und keine kompetente Antwort zur Verhinderung eines Verbrechens. Als „Focus-online“ die Frage stellt: „Wie man seinen Kindern vermitteln könne, wo Gefahren lauern“, weist der Experte auf eine „Unerziehbarkeit ab dem 12. Lebensjahr“ hin. Als zertifizierter Trainer im Öffentlichen Dienst trainiere ich dagegen selbst noch Senioren in Sicherheitsfragen, denn um „Erziehung“ geht es bei diesem Thema nicht.  Außerdem berichtet der vorgebliche Fachmann vielsagend über das „hormonelle Chaos“ von Pubertierenden, „gerade bei Jungs“, die deshalb „viele gefährliche Sachen machen“. Das mag sein. Aber die wenigsten Teenager bringen deshalb andere Kinder um.

Die Antworten im Focus gehen grundlegend am Thema vorbei. Die „Schuld nur bei einem Individuum zu suchen, vielleicht andeutungsweise sogar beim Opfer ist genauso trivial und falsch, wie alle einer Gesellschaft“ in die Verantwortung zu nehmen. Beides bedingt sich gegenseitig. Wir müssen aufpassen, dass sich dieses Gleichgewicht nicht zu Ungunsten einer Staatsschuld durch weitere Sicherheitsdefizite immer stärker verschiebt. Falsche Toleranz mit gleichzeitiger Unterdrückung von berechtigter Kritik, zu wenig Personal in den Kernaufgaben wie Bildung, Justiz und Polizei sind auf der einen Seite zu beobachten.

Beschwichtiger, Relativierer und Schönredner

Auf der anderen Seiten schießen  Beschwichtiger, Relativierer und Schönredner nach diesem Tötungsdelikt wie Pilze aus dem Boden. Sie sollen uns beruhigen. Das Spiel geht zunehmend weniger auf. Auch der Bürgermeister von Kandeln befürchtet, dieses Tötungsdelikt könnte den Fremdenfeinden in die Karten spielen. Deshalb rufe er jetzt zur Besonnenheit auf. Ist das bereits die vorweggenommen Gegenargumentation für das übliche Schweigen in der Politik, anstatt diese Tat zu verurteilen? Wieviel Mord und Totschlag von Zugereisten wird es noch geben? Wie lange wollen wir uns noch puncto Altersangaben auf der Nase herumtanzen lassen? Über welche weiteren Zeiträume wollen wir weiterhin die Rückführungen nach Afghanistan u.a. sichere Drittstaaten aussetzen. Vor allem bei Personen, die strafrechtlich aufgefallen sind? Wie ist grundsätzlich unser Umgang, mit potentiell hochaggressiven jungen Männern aus anderen Kulturen, die eine geringe Frustrationstoleranz aufweisen? 40% aller Flüchtlinge wären angeblich suizidgefährdet. Wie gehen wir mit Leuten um, die offensichtlich nichts mehr zu verlieren haben und deshalb leicht andere mit in ihr Unglück reißen könnten? Mir fallen noch viele andere Fragen ein, die scheinbar niemand beantworten will.

Steffen Meltzer, Buchautor von „So schützen Sie Ihr Kind! Polizeitrainer vermittelt Verhaltensrichtlinien zur Gewaltabwehr“ und „Ratgeber Gefahrenabwehr Wie Sie Gewalt- und Alltagskriminalität in der Gesellschaft begegnen“.

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