Unter dem Vorwand der „Panama Papers“ hat unsere Regierung Änderungen der Abgabenordnung beschlossen, die der finanziellen Totalüberwachung aller Bürger Tür und Tor öffnen. Um diese latent totalitäre Überwachungsinfrastruktur zu vervollständigen, muss jetzt nur noch das nicht automatisiert überwachbare Bezahlen mit Bargeld auf Kleinbeträge zurückgedrängt werden.
Seit 25. 6. 2017 gibt es kein Bankgeheimnis mehr. Die Finanzbehörden und andere Behörden müssen keinem Bürger mehr etwas glauben. Wenn sie abhängig vom Einkommen etwas abhaben wollen oder finanzschwachen Bürgern etwas bezahlen sollen, dann können sie bei allen Banken, zu denen die Bürger Kundenbeziehungen unterhalten, umfassende Auskunft verlangen. Dazu wurde das Steuerumgehungsbekämpfungsgesetz erlassen, mit dem §30a der Abgabenordnung mit dem Namen „Schutz von Bankkunden“ ersatzlos gestrichen und weitere Änderungen an der Abgabenordnung vorgenommen wurden.
Auf der Website des Bundestages heißt es beruhigend, es gehe lediglich darum, Konsequenzen aus der eigentlich nicht so wirklich überraschenden Erkenntnis der Panama-Papers zu ziehen, dass es nicht deklarierte Einkommen in Steueroasen gibt. Es gehe darum, mehr Informationen über Beteiligungen Deutscher an ausländischen Firmen, insbesondere Briefkastenfirmen zu bekommen. In einer an Heuchelei und Chuzpe kaum zu überbietenden Formulierung heißt es vom Bundestag:
Die Aufhebung des Paragraf 30a AO habe nicht zugleich den ‚gläsernen Bürger‘ zur Folge, versichert die Regierung. Es würden nur bisherige Ermittlungsbeschränkungen aufgehoben, ’neue Ermittlungsbefugnisse werden dadurch aber nicht geschaffen.‘
Seit es §30a nicht mehr gibt, brauchen die Finanzbehörden auf das Vertrauensverhältnis zwischen den Kreditinstituten und deren Kunden keinerlei Rücksicht mehr zu nehmen. Sie dürfen jetzt von den Kreditinstituten zum Zweck der allgemeinen Überwachung die einmalige oder periodische Mitteilung von Konten bestimmter Art oder bestimmter Höhe verlangen.
Die Finanzbehörden dürfen also für sich oder andere Behörden automatische und inhaltlich nicht eingegrenzte Rasterfahndungen nach Konten mit bestimmten Eigenschaften oder Transaktionscharakteristika vornehmen. Dies wird durch den neu eingefügten Absatz 1a von §93 auch ausdrücklich festgestellt:
Die Finanzbehörde darf an andere Personen als die Beteiligten [Bankangestellte etc.] Auskunftsersuchen über eine ihr noch unbekannte Anzahl von Sachverhalten mit dem Grunde nach bestimmbaren, ihr noch nicht bekannten Personen stellen (Sammelauskunftsersuchen). Voraussetzung für ein Sammelauskunftsersuchen ist, dass ein hinreichender Anlass für die Ermittlungen besteht und andere zumutbare Maßnahmen zur Sachverhaltsaufklärung keinen Erfolg versprechen.
In Vordrucken für Steuererklärungen darf jetzt die Angabe der Nummern von (allen) Konten und Depots verlangt werden.
Es entfällt die generelle Vorschrift, dass die Finanzämter und sonstigen Behörden zuerst versuchen müssen, die benötigten Informationen zu erhalten, und erst die Bank fragen dürfen, wenn das nicht gelingt oder sie guten Grund haben, zu misstrauen. In Einzelvorschriften ist sie noch zu finden. Sie war allerdings in der Praxis noch nie eine wichtige Hürde.
Behörden, die zuständig sind für die Grundsicherung für Arbeitsuchende, die Sozialhilfe, die Ausbildungsförderung und das Wohngeld dürfen das Bundeszentralamt für Steuern beauftragen, bei den Kreditinstituten Daten abzurufen. Diese Liste kann durch ein Bundesgesetz jederzeit erweitert werden. Neu ist, dass die Banken nun ausdrücklich auch für Anfragen von Sozialbehörden, die unter dem Vorwand der Geldwäschebekämpfung eingeführte Verpflichtung jederzeit erfüllen können müssen, Auskunft über alle Konten und Schließfächer zu geben, für die eine Person wirtschaftlich Berechtigte ist.
Es ist ziemlich offensichtlich für jeden, der sich die Abgabenordnung anschaut, dass der für die Verwaltung gläserne Bürger das Ziel ist, und dass die Verwaltung diesem Ziel bereits sehr nahe ist.
Teilt man diesen Befund, so ist sofort klar, warum die Nutzung von Bargeld weiter kriminalisiert und zurückgedrängt werden muss. Für großvolumige Steuervermeidung wäre das weniger nötig. Aber wenn man von jedem Bürger zuverlässig durch Bankabfrage wissen können will, ob er irgendwelche sehr niedrigen Einkommens- oder Vermögensgrenzen überschreitet, dann wird Bargeld wichtig.
Je nach weltanschaulicher Neigung mag man gewillt sein, im Kampf gegen Steuer- und Sozialbetrug erhebliche Einschränkungen des Datenschutzes in Kauf zu nehmen oder richtig zu finden. Doch an Anlässen, die einmal gewonnen Daten und die einmal okkupierten staatlichen Schnüffelrechte auch für andere Zwecke zu nutzen, hat es noch nie gefehlt. Irgendein abscheuliches Verbrechen, dem man mit Finanzdaten auf die Spur kommen kann, und schon wird die Nutzung der Bankdaten zur allgemeinen polizeilichen Überwachung legitimiert und legalisiert. Und wenn es dann dumm läuft, und eine Regierung mit totalitären Anwandlungen an die Macht kommt, dann findet sie eine perfekte Überwachungs- und Unterdrückungsinfrastruktur vor. Diese erlaubt es, automatisiert festzustellen, wer mit wem Finanzbeziehungen pflegt, wer was liest, und vieles andere mehr. Und jeder kann durch einfachen Anruf bei seinen Banken oder das Setzen auf eine schwarze Liste wirtschaftlich eliminiert werden. Fast jeder, dem das droht oder angedroht wird, wird jegliche Opposition unterlassen und die meisten werden sich von einer solchen Drohung zur Kooperation in geforderter Form mit den Machthabern überreden lassen. Abtauchen ist dann nicht mehr.
Aus solchen Gründen muss es viel mehr Widerstand gegen die um sich greifenden Bestrebungen zur Totalüberwachung aller Bürger unter dem Vorwand der Bekämpfung von Geldwäsche, Steuerbetrug und Terrorismus geben, und muss das Bargeld unbedingt verteidigt werden.
Der Beitrag von Norbert Häring ist zuerst hier erschienen.