Als Kritiker der Einwanderungspolitik und des Appeasements gegenüber dem radikalen Islam hierzulande ist man es durchaus gewöhnt, gelegentlich den Eindruck zu gewinnen, man befände sich bezüglich seiner Wahrnehmungen im krassen Widerspruch zur restlichen Gesellschaft. Ganz ähnlich ergeht es einem, wenn man die jüngsten Bilder aus Dortmund sieht. Da wäre zum Beispiel ein Bild von Marc Bartra. Jenem Innenverteidiger des BVB, der bei dem Bombenanschlag am Dienstagabend an der Hand verletzt und operiert wurde. Lächelnd blickt er in die Kamera und zeigt mit der linken Hand ein „Daumen hoch“. Etwa gleichbedeutend mit: „Mir geht es gut. Macht euch keine Gedanken.“ Dass seine rechte Hand hingegen komplett verbunden ist?
Eigentlich ist nicht alles gut. Eigentlich sollte jedem von uns nach der gestrigen Pressekonferenz der Bundesanwaltschaft klar sein, dass die Mannschaft nur mit Glück einer riesigen Katastrophe entgangen ist. Drei Sprengsätze hatten die oder der Attentäter in einer Hecke in unmittelbarer Nähe zum Bus platziert. Die Sprengkraft betrug, wie man inzwischen erfahren konnte, rund 100 Meter. Die Sprengsätze selbst waren gespickt mit Metallstiften, von denen sich einer sogar in einen Sitz des Busses bohrte.
Das ist wohl auch der Mannschaft des BVB bewusst. Schnell wurden auch kritische Stimmen laut. Trainer Thomas Tuchel beklagte, es sei kurz nach dem Anschlag eigentlich nur darum gegangen, ob sie spielen könnten oder nicht. „Wir hatten das Gefühl, dass wir behandelt werden, als wäre eine Bierdose an unseren Bus geflogen.“ Eine halbe Stunde später wird dennoch bereits der neue Spieltermin festgelegt: Mittwoch, 18.45 Uhr. Nicht einmal 24 Stunden nach dem Bombenanschlag. Nicht nur der BVB zeigt sich in Teilen empört, auch einigen Journalisten und Fans scheint der schnelle Übergang zur Normalität selbst im Deutschland der zunehmenden Verdrängung ausnahmsweise ein wenig zu schnell zu gehen. Der BVB verliert das Spiel später zu Hause 2:3. So einen Anschlag auf das eigene Leben verarbeiten selbst Fußballprofis nicht von heute auf morgen.
Dass bei dem Anschlag in Dortmund von den konkurrierenden „Bekennerschreiben“ bis zu den Umständen der Tat vieles anders aussieht als bisher, soll nicht unerwähnt bleiben. An der Frage, um die es mir geht, ändert das nichts. Der öffentliche Umgang mit Anschlägen ist ignorant, rücksichtslos und hilflos.
Das ist das Mantra nach jedem Terroranschlag, dem sich jeder und jedes Gefühl unterzuordnen hat. Hinterfragt wird es bis jetzt kaum, weil Verdrängung ja irgendwie zunächst auch immer etwas Gutes hat. Und auch, weil die ewig gleichen Durchhalteparolen bereits kurze Zeit nach den Anschlägen in Dauerschleife durch sämtliche Medien rotieren. Dieses Mal sind es die BVB-Fans, die den Monaco-Fans einen Unterschlupf für die Nacht bieten, die für das Narrativ des Nicht-Unterkriegen-Lassens herhalten. „Das ist Fußball!“ und „Der Beginn einer wunderbaren Fußballfreundschaft“ titelt da etwa gleich DER SPIEGEL. Am nächsten Tag sitzen sie wieder alle gemeinsam im Stadion. Die Show muss eben weitergehen, auch wenn längst nicht alle Fans sicher sind, ob sie sich das Spiel so kurz nach dem Anschlag im Stadion anschauen wollen. Es sind Stimmen, die nur sehr leise im Durchhalte-Getöse der Medien zu vernehmen sind. Aber sie sind da. Stimmen der Unsicherheit. Menschen mit dem Bedürfnis danach, vielleicht doch einmal kurz innehalten zu dürfen. Irgendwann klappt das eben doch nicht mehr so ganz mit der Verdrängung.
Ist das nun der richtige Umgang mit dem Terror? Besiegen wir Menschen, die ohne mit der Wimper zu zucken bereit sind, andere zu töten, damit, dass wir immer einfach so weitermachen?
Stellt man die Frage so klar in den Raum, sollte eigentlich unübersehbar werden, wie naiv die bisherige europäische Antwort auf Terror daherkommt. Denn wenn wir ehrlich sind, interessiert es die Terroristen allenfalls marginal, was wir nach außen vorgeben zu fühlen. Am Ende geht es bei islamistischem Terror ohnehin zuvorderst um das Töten von „Ungläubigen“. Unsere Lichterketten, Lichtinstallationen und sonstigen „Zeichen“, die wir so gerne setzen, interessieren diese zu allem entschlossenen Männer herzlich wenig. Es ist lediglich unserer immer noch vorherrschenden europäischen Hybris geschuldet, dass wir davon ausgehen, es interessiere sie doch. Darüber hinaus hat sich in der Realität die Angst, oder zumindest die Verunsicherung, längst ihren Weg gebahnt, der Rückzug für einige aus dem öffentlichen Raum bereits begonnen. Denn auch wenn das Gefühl als das „Postfaktische“ aus dem Diskurs genauso verbannt wurde, wie jegliches Durchatmen und angemessene Trauern, heißt es nicht, dass es nicht da ist.
Das ewige „Weiter so!“ ist stattdessen nichts weiter als die große Lebenslüge der Europäer, die immer noch nicht wahrhaben wollen, dass der Wind sich gedreht hat. Dass, wer im Stadion „business as usual“ betreibt – sei es auf der Tribüne oder auf dem Platz – nicht hilft, den Terror zu besiegen, sondern die Politik dabei unterstützt, weiter in ihrer Untätigkeit und Inkompetenz gegenüber islamistischen Terror zu verharren.
Veränderung entsteht durch Druck der Gesellschaft und Druck entsteht wiederum nicht durch die Versicherung, es sei alles gut und wie immer. Deutschland benimmt sich wie ein Depressiver, der dies vor sich selbst verleugnet und dem deshalb nicht geholfen werden kann. Wie das im wahren Leben nur allzu oft ausgeht, wissen wir, und scheinen dennoch nichts gelernt zu haben. Soll am Ende der Depression nicht der Selbstmord stehen, gilt es jedenfalls, endlich nicht mehr so zu tun, als sei nichts gewesen. Als würde all das nichts mit den Menschen machen.