Tichys Einblick
Werbemythen

Der Müllermilch-AfD-Skandal – weniger Yoghurt wegen Faeser?

Wird Müllermilch leiden, weil der Inhaber mit Alice Weidel spricht? Hat „veröffentlichte Empörung“ Auswirkungen auf die wirtschaftliche Performance eines Unternehmens? Das ist nicht so eindeutig wie angenommen.

IMAGO / Panama Pictures

Wenn es einen wirklichen Erfolg der Werbe- und Kommunikationswirtschaft gibt, dann den Glauben, dass „Werbung“ massive positive Auswirkungen auf die ökonomische Entwicklung eines Angebotes habe. Zweifelsfrei kann Werbung dazu führen, dass Kunden auf ein Angebot aufmerksam werden (beispielsweise eine massive Preisreduzierung). Bekanntheitssteigerungen („Klicks“ oder „positive Emotionen“) sagen aber nichts darüber aus, ob langfristig das Vertrauen in eine Marke gestärkt wurde … letztlich muss eben die Stärkung von kollektivem Vertrauen das Ziel jeder Marke sein.

Ökonomisch gewendet: Vertrauen ist ein Mittel zur Senkung der Transaktionskosten, das heißt: Über die lange Sicht muss ein Unternehmen immer weniger Aufwand betreiben, um Menschen zu überzeugen und zum Kauf zu bewegen.

Als größte anzunehmende Katastrophe in Bezug auf die Vertrauensgewinnung betrachtet man in der klassischen Werbeforschung Situationen, bei denen ein Unternehmen „skandalös“ handelt. Es also zu dem Umstand kommt, der gern unter dem Begriff einer „Empörungswelle“ – oder neudeutsch: „Shit-Storm“ – führt. Es wird angenommen, dass bestimmte Verhaltensweisen oder Aktionen zu direktem Vertrauensabbruch und automatisch zu Kaufzurückhaltung führen würden. Im Sinne des Zeitgeistes sind dies vor allem Aktionen, die als fragwürdig in Hinblick auf „Umweltschutz, Teilhabe, Anti-Rassismus“ deklariert werden. Um es deutlich zu formulieren: Inhalte, die – auf der politischen Ebene – durchaus wichtig sind.

Wie äußert sich jedoch diese Sensibilität in der Warenwelt? Schokoladen-Kekse, die unter „Afrika“ betitelt werden, oder auch die Firmierung unter dem Familiengrad „Onkel“ für Reis der Marke „Ben’s“ führten in den vergangenen Jahren zu Irritationen und schließlich zur Änderung oder Streichung des Markennamens. Unter dieser Prämisse agieren Unternehmen in der Regel so, dass sie Aktionen und Positionierungen vermeiden, die geeignet sein könnten, eine Aufmerksamkeit hervorzurufen, die zu zweifelhaften Kommentierungen oder Einschätzungen von Seiten „der Öffentlichkeit“ oder „der Verbraucher“ führen könnten. Nichts ist für die C-Level der Wirtschaft unangenehmer als die Beobachtung seiner Stakeholder, man habe seine Firma „nicht unter Kontrolle“.

Die Frage ist: Stimmt das? Lässt sich nachweisen, dass Empörungswellen zu sofortiger und über die Zeit andauernder Kaufzurückhaltung führen? Und: Wer fällt das Urteil über die Fragwürdigkeit eines Namens, einer werblichen Inszenierung oder einer sozioökonomischen Haltung?

Betrachtet man die Logik vergangener Empörungswellen, so wird deutlich, dass es sich vor allem um Aktionismus handelt, der sich medialer Kanäle bedient, die zunächst auf den bekannten einschlägigen „Sozialen Netzwerken“ und Kommunikationsplattformen wie X stattfindet und schließlich von Online-Medien und später von traditionellen Medienträgern übernommen werden.

Die These ist: Auf den einschlägigen Kommunikationsplattformen wie X tummeln sich Teilnehmer, die nicht die Bevölkerung Deutschlands repräsentieren, sondern eher einem progressiv-kosmopolitischen Milieu angehören und deren Nachrichten vor allem von Medienmachern aufgegriffen werden, die einem ähnlichen Milieu angehören und dadurch die Nachrichten besonders stark wahrnehmen und als relevant einordnen, obwohl sie für die allermeisten Menschen keinerlei Wichtigkeit besitzen. Im Effekt entsteht eine veröffentlichte Relevanz, die kaum eine realistische Beschreibung der öffentlichen Relevanz widerspiegelt.

Vor diesem Hintergrund sollte man „Empörungswellen“ systematisch betrachten. Folgendes fällt auf: In der wissenschaftlichen Betrachtung gibt es (trotz intensiver Suche des Autors) keine Studie, die sich über die lange Sicht damit beschäftigt, ob „Shit-Storms“ die ökonomische Performance, sprich den Absatz über die Zeit negativ beeinflusst haben. Dabei ist klar, dass es ohnehin nahezu ausgeschlossen ist, die Kausalität von Zurückhaltung nur auf einen Faktor zurückzuführen. Was gemessen wird, sind kurzzeitige Einstellungen in Hinblick auf die Wahrnehmung der Öffentlichkeit in Bezug auf das Verhalten eines Unternehmens.

Hier lassen sich in der Tat Effekte messen, die in der Regel ein angenommenes Fehlverhalten benennen. Die Frage ist aber, ob bei derartigen Phänomenen auf breiter Front nicht so geantwortet wird, wie es „sozial erwünscht ist“, und die Antworten damit Rückschlüsse auf das wirkliche Kaufverhalten zulassen. Denn im Sinne einer analytischen Annäherung wird deutlich, dass „Shit-Storms“ und breite Empörungswellen keine bis kaum nachweisbare wirtschaftliche Folgen für eine Marke haben, sofern nicht die individuelle Gesundheit auf dem Spiel steht bzw. tief verankerte „Zusageverlässlichkeiten“ in Hinblick auf charakteristische Leistungen betroffen sind.

Stattdessen lässt sich Folgendes feststellen:

Keine Frage: Die aufgezeigten Beispiele können eine valide Untersuchung nicht ersetzen und müssen repräsentativ untersucht werden. Sie machen allerdings deutlich, dass die verbreitete Kausalität von „Skandal, öffentlicher Relevanz und Absatz“ eben nicht eindeutig ist. Viel eher scheint die mediale Aufmerksamkeit in Hinblick auf „sozial erwünschte Haltungen“ nicht unbedingt die Wahrnehmung einer (wie auch immer charakterisierten) Mehrheitsgesellschaft zu sein – sie ist lediglich ein Phänomen, das für die Milieus der veröffentlichten Meinung relevant ist.

Es scheint folgende These zu gelten: Solange Marken ihre positiv verankerte Leistungserwartung zuverlässig einlösen, spielen „politische Positionierungen“ – ob man es mag oder nicht – kaum, vielleicht sogar gar keine Rolle (soweit davon nicht das eigene Leben betroffen ist). Die meisten Menschen kaufen auch im Jahr 2023 Lösungen, die typisch für die Leistungsgeschichte eines Unternehmens sind, und keine „Haltungen“. Wenn dem so ist, dann ist aber der Aktivismus vieler Unternehmen fragwürdig, denn damit beanspruchen Manager für sich, ihren Kunden gesellschaftliche und politische Vorgaben zu machen – ohne Mandat und einen demokratischen Abwägungsprozess.


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