Tichys Einblick
Irrlehren aus der Geschichte

Moria offenbart die migrationspolitischen Vorurteile in Deutschland

Dass die deutsche Politik seit mindestens fünf Jahren von Vorurteilen geplagt wird, kommt nun – im Moment des Schwurs – ans Tageslicht. Am Ende hilft wohl nur eins: Hinsetzen und Gesetze lesen.

imago Images/Bildgehege

Angela Merkel wollte bekanntlich bis Mittwoch entscheiden, wie viele Moria-Flüchtlinge sie aufnehmen will, und tagte dazu mit Horst Seehofer und verschiedenen Bürgermeistern. Die SPD hatte es verlangt, wollte innerhalb von 48 Stunden bescheid wissen. Von Akteurinnen wie Katrin Göring-Eckardt (5.000, und zwar schnell) muss man da gar nicht erst anfangen, sie war ja von Saskia Esken schon lange mit einer »hohen vierstelligen Zahl« überboten worden. Erinnert an das Spiel, das Ephraim Kishon  »jüdisches Pokern« nennt: Du denkst eine Zahl, ich denke mir eine Zahl. Dann sagst du deine Zahl. Wenn meine höher ist, habe ich gewonnen.

Nun scheint es klar: »1.500 Menschen sollen kommen dürfen.« Es fragt sich nur, welche. Denn so langsam kommen auch die Vorurteile in der Diskussion um die Migrantenlager in der Ägäis auf den Tisch.

Vorurteil Nr. 1: Bei den Lagerbewohnern handle es sich sämtlich um Schutzbedürftige, Flüchtlinge oder Asylberechtigte.

Auch wenn diese Auffassung nicht immer offensiv vertreten wird, schwingt sie doch in der Berichterstattung ständig mit. Schon die Aufnahme »kranker Kinder«, wie sie seit einiger Zeit von der deutschen Politik betrieben wird, deutet auf diese Viktimisierung, dieses Zu-Opfern-Erklären der Migranten auf Lesbos und anderen Inseln hin. Und allein schon die ungünstigen Lebensumstände lassen an die Opfer der dort lebenden denken.

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Diese Umstände liegen sicher in der Verantwortung der griechischen Politik, aber eher der linkssozialistischen, migrationsfreundlichen Vorgängerregierung. Die einst 20.000 Bewohner Morias waren ein ererbtes Problem der Regierung Mitsotakis. Tatsächlich muss, nur damit auch das gesagt sei, über den Schutzstatus der Migranten aus Moria und anderen Lagern erst noch entschieden werden.

Vorurteil Nr. 2: Wenn sich Deutschland und andere Länder ein Herz fassten, könnten sie die eben behandelte Gruppe mit Leichtigkeit aufnehmen und in ihren Sozialsystemen unterbringen.

Dass auch diese Annahme falsch ist, fällt immer mehr Beobachtern auf, und zwar kurzfristig nicht so sehr aus wirtschaftlichen Gründen als vielmehr aus rechtlichen Gründen. Denn die Verantwortung für die Asylverfahren der Migranten auf den griechischen Inseln hat nach geltendem Recht der griechische Staat. Und die Regierung Mitsotakis ist sogar bereits, dieser Verpflichtung nachzukommen. All jenen, die von einer direkten Entlastung der Insel-Hotspots sprechen, fehlt demnach das grundlegende Rüstzeug für diese Debatte: das Verständnis der rechtlichen Zusammenhänge in der EU.

Zwischen Moria-Kompromiss und Moria-Irrtum

Während ein Teil Deutschlands also noch von einem »Moria-Kompromiss« phantasiert, und andere – von Schwarz bis Grün – ihre Aufnahmeforderungen immer weiter in die Höhe treiben und dabei mehr oder weniger offen die Übernahme von ungeklärten Asylfällen fordern, geht es im aktuellen Geschehen auf Lesbos eigentlich um eine ganz andere Frage.

Von wegen "europäische Lösung"
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Ende letzten Jahres hat Kyriakos Mitsotakis ein Werk begonnen, das er nun zu Ende führen will. Noch als Oppositionsführer hatte er das Lager Vathy auf Samos besucht, die erschreckenden Zustände dort eindrucksvoll beschrieben und seine eigene Politik in Bezug auf dieses Problem skizziert. Sie bestand, wenig überraschend, aus zwei Bestandteilen: einer strikten Begrenzung der ungeregelten Zuwanderung und der effizienten Ausgestaltung des eigenen Asylsystems. Beides scheint auf einem guten Weg, auch wenn man über die einzelnen Teile der Gesetzgebung streiten mag. Im Kern ist sie konsistent, setzt sie doch nach einer getroffenen Entscheidung über Asyl und Flüchtlingsstatus auf die Eigenverantwortung der Aufgenommenen.

Natürlich ist auch Griechenland ein Rechtsstaat, bei dem nach jahrelangem Aufenthalt irgendein Aufenthaltsstatus herausspringt. Und da das neue Athener Gesetz vorsieht, dass anerkannte Asylbewerber keine staatlichen Leistungen beziehen, ja nicht einmal eine Wohnung vom Staat bezahlt kriegen, wird der Exodus irgendwann unvermeidlich. Ihn zu verhindern, kann nicht Griechenlands Aufgabe sein. Seine Aufgabe ist es, eine weitere illegale Einwanderung zu vermeiden und Rückführungen beziehungsweise Abschiebungen durchzuführen.

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