Die Summe aller Einzelfälle ergibt ein Symptom. Ein Symptom ist ein Anzeichen im Medizinischen für eine Erkrankung, im Gesellschaftlichen dafür, dass etwas nicht stimmt. In der Medizin kann das Symptom vom Arzt als Befund gefasst werden, vom Patienten als Beschwerde. In der Gesellschaft äußert sich die Wahrnehmung von Symptomen als Beschwerde, als Sorge, als Kritik. Politik und Medien, die Bürger als besorgte Bürger herunter moralisieren, setzen sich darüber hinweg, dass die Sorge nichts anderes ist als die Wahrnehmung von Symptomen, davon, dass etwas in unserer Gesellschaft nicht mehr stimmt, dass etwas aus dem Ruder läuft. Alles Verharmlosen, alles Vertuschen, alle Propaganda wird am Ende nichts nutzen, weil auch ein Ukas der Bundeskanzlerin die Wirklichkeit nicht außer Kraft setzen kann, obwohl sie das zu meinen scheint. Es ist keine Frage, dass man am Ende die Realität doch wahrnehmen muss, es ist die Frage, wie hoch der Preis dafür sein wird.
Die Wirklichkeit findet nicht im Poesiealbum statt und auch nicht auf Parteitagen. Sie findet auf der Straße statt, in Häusern, Zügen und Restaurants, bisweilen auch neben Bahngleisen oder in einem Waldstück. In einem schwer zugänglichen Waldstück wurde der tote Körper eines vierzehnjährigen Mädchens, nach dem schon seit vielen Tagen gesucht worden war, gefunden. Die Polizei geht von einem Sexualdelikt aus und von einem Mord, um möglicherweise eine Vergewaltigung zu vertuschen. Während ein 35jähriger Türke am Mittwoch erst festgenommen und später wieder freigelassen wurde, befindet sich der zweite Tatverdächtige auf der Flucht. Ein 13-jähriger Geflüchteter habe hierbei entscheidende Hinweise zur Aufklärung gegeben, schreibt die Polizei Westhessen. Dem Iraker Ali B. gelang es mit seiner achtköpfigen Familie unter „offenbar falschen bzw. der Polizei bisher nicht bekannten Namen“ „überhastet“ mit dem Flugzeug von Düsseldorf nach Istanbul, von dort weiter nach Erbil zu fliehen. Die Tickets sollen bar bezahlt worden sein.
Der flüchtige Tatverdächtige Ali B. reiste 2015 über die Route Irak-Türkei-Griechenland nach Deutschland ein, wo er am 16. Oktober 2015 registriert worden sein soll. Im September 2017 wurde der Asylantrag abgelehnt. Dass Ali B. sich weiter in Deutschland aufhalten konnte, verdankte er einem vom Steuerzahler finanzierten Anwalt, der Einspruch gegen die Klage erhob. Im Grunde hätte Ali B. erst gar nicht nach Deutschland einreisen und erst recht nicht in Deutschland bleiben dürfen, wenn Thomas de Maizière mit seiner mündlichen Weisung, die auch unter einem Innenminister Horst Seehofer weiter gilt, nicht geltendes Recht ausgehebelt hätte, oder wenn bei einem abgelehnten Asylantrag auch die Abschiebung erfolgt wäre. Susanna F.s mutmaßlicher Mörder hätte von Rechts wegen gar nicht in Deutschland sein dürfen.
Dass von Ali B. keine Integration zu erwarten war, belegen die Angaben der Polizei. So soll Ali B. an einer Gruppenschlägerei, an einer Körperverletzung gegen einen Mann und an einem Überfall mit einem Messer beteiligt gewesen sein. Außerdem soll er eine Polizistin angerempelt und bespuckt haben. Im Raum steht der Verdacht, dass Ali B. in einem Flüchtlingsheim zuvor ein elfjähriges Mädchen vergewaltigte. Zu dem Vorwurf heißt es, dass er sich nicht erhärtet habe.
In Zeiten, in denen vertuscht wird, um die Folgen einer falschen Politik zu kaschieren, bleibt oftmals das tastende Fragen übrig, um wenigstens in die Nähe der Wahrheit zu kommen. Wurde der Fall des elfjährigen Mädchens untersucht? Wollte man ihn untersuchen? Denn jede Ermittlungsbehörde hat es unter diesen Umständen auch mit Dolmetschern, privaten Wachdiensten und „Zeugen“ zu tun, die womöglich den patriarchalischen oder frauenverachtenden Vorstellungen der Täter näherstehen. Wird der Rechtsstaat und das Machtmonopol des Staates in den Flüchtlingsheimen konsequent durchgesetzt? So wie es aus heutiger Sicht genauso möglich ist, dass Ali B. bereits im Flüchtlingsheim ein Mädchen vergewaltigt hat, so kann es auch ein anderer getan haben. Diese Ungewissheit weist auf ein schweres Aufklärungsdefizit hin, denn offensichtlich scheint eine Vergewaltigung stattgefunden zu haben. An dieser Stelle ist absolute Transparenz erforderlich, weil auch nur der geringste Versuch, etwas unter den Teppich zu kehren, die Glaubwürdigkeit des Staates schwer schädigt, denn nichts ist für einen Staat zerstörerischer als die Missachtung der eigenen Rechtsgrundlage. Nicht umsonst hatte Augustinus am Ende des Römischen Reichs, das in die Dekadenz taumelte, gewarnt: „Nimm das Recht weg – was ist dann ein Staat noch anderes als eine große Räuberbande“.
Wenn all das, was aus der Biographie des flüchtigen Tatverdächtigen an die Öffentlichkeit dringt, sich bestätigt, dann hat der Staat darauf verzichtet, schwere Straftaten zu verfolgen, Recht und Gesetz durchzusetzen, und eine kriminelle Karriere ermöglicht, die schließlich zur Vergewaltigung und zum Mord an einem vierzehnjährigen Mädchen führte.
All das skizziert ein erschütterndes Bild der Sicherheitslage in Deutschland. Zieht man die Vorgänge am BAMF hinzu, stellt sich die Frage, ob man es nicht nur mit einem Kontrollverlust, sondern auch mit Staatsversagen zu tun hat.
Die Regierung ist in der Aufklärungspflicht, da helfen keine fragwürdigen Statistiken weiter. An der Realität führt kein Weg vorbei. Jede Form von Beschönigung erschüttert die Grundfesten unserer Demokratie.
Wenn der hessische Innenminister Peter Beuth davor warnt, den Fall politisch zu diskutieren, dann stellt das nur einen erbärmlichen Versuch dar, sich aus der Verantwortung zu schleichen, denn dieser wie auch ähnlich gelagerte Fälle haben eine unverkennbar politische Dimension und müssen deshalb auch politisch diskutiert werden. Das größte Interesse an einem Untersuchungsausschuss zu Flüchtlingspolitik sollte im Übrigen die CDU haben.
Susanna F. war Mitglied der jüdischen Gemeinde. Der Zentralrat der Juden schreibt in seiner Pressemitteilung: „Mit tiefer Betroffenheit hat der Zentralrat der Juden in Deutschland die Nachricht von dem Gewaltverbrechen an der 14-jährigen Susanna aus Mainz vernommen. Einem jungen Leben wurde auf grausame Weise ein Ende gesetzt.“
Von all denen, die die Realität wie der Teufel das Weißwasser fürchten, wenn sie die Träume ihrer Ideologie zerplatzen lässt, wird die Drohung erschallen, dass man den Tod von Susanna F. nicht politisch missbrauchen darf. Welch Heuchelei? Welch Egoismus? Welche Selbstgerechtigkeit?
Man kann einen Tod nicht missbrauchen, er ist ein Faktum. Wichtig ist es, genau zu ermitteln, was wirklich geschah, wie exakt zu analysieren sein wird, welchen Anteil die Politik daran trägt. Das sind alle Susanna und ihrer Familie schuldig. Sie ist nicht das erste Opfer und sie wird nicht das letzte sein, wenn nicht endlich eine Politik auf den Prüfstand gestellt wird, die Bedingungen geschaffen hat, die diese abscheulichen Verbrechen ermöglichen. Wird man die Politik nicht befragen, wird man die Bedingungen nicht ändern. Sie müssen aber geändert werden, wenn wir wollen, dass Frauen und Mädchen in diesem Land frei und selbstbestimmt leben können, dass sie nicht in Gruppen joggen und ständig Armlängen einhalten müssen. Was wir brauchen ist im besten aufklärerischen Sinne Aufklärung, um dem Obskurantismus zu wehren, der unsere Freiheit täglich mehr einschränkt.