Friedrich August von Hayek hat sich die Finger wund geschrieben, um vor der gefährlichen Beliebigkeit des Begriffes „soziale Gerechtigkeit“ als Hebelpunkt des Umverteilungsstaates zu warnen. Sogar ein eigenes Buch hat er diesem Plädoyer gewidmet. Erfolgreich war er damit leider nicht. Bis heute nutzen Sozialisten und Sozialdemokraten in allen Parteien „soziale Gerechtigkeit“, um die politische Lufthoheit im Zweifel gegen alle Sachargumente zu verteidigen. In der kurzatmigen Mediendemokratie lassen sich Begriffe mehr denn je instrumentalisieren, wenn sie bei Journalisten und Bürgern positive Assoziationen hervorrufen. Nur zu gerne macht die Politik davon Gebrauch. Das Resultat ist gefährlich. Denn schnell geht es gar nicht mehr um Tatsachen, sondern um eine geschönte Fassade, eine Illusion bis hin zur Realitätsverdrängung. Wie bei „Grenzkontrollen“.
Fassaden-Politik
Nachdem die Bundesregierung im Sommer 2015 die deutschen Grenzen für jedermann geöffnet hatte und sich Hunderttausende auf den Weg machten, um der Einladung der Kanzlerin zu folgen, griff die Regierung in ihrer Not zum Instrument der „Grenzkontrollen“. Bereits im September 2015 wurde die Wiedereinführung von „Grenzkontrollen“ mit dramatischem Gestus verkündet. Sie wurden seither mehrfach verlängert, zuletzt vom neuen Bundesinnenminister Seehofer im April. Markus Söder, kaum zum bayerischen Ministerpräsidenten gewählt, kündigte an, dass Bayern die Grenzkontrollen mit eigenen Kräften unterstützen werde. Den Bürgerinnen und Bürgern, jedenfalls denen, die mit der deutschen Sprache noch etwas anfangen können, wird so ganz gezielt der Eindruck vermittelt, als werde die Politik der Masseneinwanderung endlich korrigiert. Denn der Begriff der Grenzkontrolle legt nun einmal nahe, dass der, der die Kontrolle nicht besteht, nicht passieren darf. Die Deutschen finden das gut. Die wenigsten von ihnen ahnen, was bei den Grenzkontrollen wirklich passiert.
Grenzkontrollen: auch nur Fassade
Was sich seit der Wiedereinführung der „Grenzkontrollen“ an den Kontrollpunkten abspielt, mag der besseren Organisation der Zuwandererströme dienlich sein. Mit dem, was die überwiegende Mehrheit der Deutschen damit an Erwartungshaltung verbindet, haben sie nichts zu tun. Diese Erfahrung habe ich auch persönlich in zahlreichen politischen Diskussionsveranstaltungen gemacht. Wenn man die tat-sächliche Lage erläutert, stößt man durchgängig auf ungläubiges Erstaunen. Der Blick auf die Realität hinter der Fassade verstört viele.
Genauso ist den Deutschen von Beginn der Zuwanderungskrise an gezielt die Botschaft vermittelt worden, es gebe leider keine rechtliche Handhabe, um die Masseneinwanderung zu stoppen. Auch diese Botschaft war und ist eine Mogelpackung. Bis zum heutigen Tag ist die sogenannte Dublin-III-Verordnung gültiges europäisches Asylrecht, selbst wenn ständig behauptet wird, sie sei überholt oder gar tot. Sie besagt bekanntlich, dass Asylsuchende ihren Antrag in dem Land der EU stellen müssen, das sie zuerst betreten. Somit könnte die Bundesrepublik Deutschland allen Asylbewerbern den Zutritt verweigern, die über ein Land der Europäischen Union einreisen wollen.
Deutschland setzte Dublin einseitig außer Kraft
Die Bundesregierung hat die Anwendung der Dublin-Verordnung an deutschen Grenzen allerdings 2015 einseitig außer Kraft gesetzt. Selbstverständlich hätte die EU erheblich mehr unternehmen müssen, um die Länder Südeuropas bei der Bewältigung der Zuwanderung zu unterstützen. Selbstverständlich muss die Bundesrepublik als reiches Land einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, Not und Armut in der Welt zu bekämpfen. Aber das geeignete Mittel dazu ist nicht die Öffnung der deutschen Grenzen.
Man kann mit guten Gründen davon ausgehen, dass viele Zuwanderer gar nicht nach Europa aufgebrochen wären oder noch aufbrechen würden, wenn sie wüssten, dass sie an der deutschen Grenze mit ihrer Zurückweisung rechnen müssten. Jetzt wissen alle: wer es bis zur deutschen Grenze schafft, den lassen die Grenzer auch hinein. Und wer erst einmal in Deutschland ist, der darf erst einmal bleiben. Dabei bezieht er Sozialleistungen, von denen die Menschen in weiten Teilen der Welt nicht einmal zu träumen wagen. Wenn das kein Anreiz ist, sich auf den Weg zu machen!
Damit sind wir beim dritten Teil der Mogelpackung. Insbesondere die CSU versucht momentan mit allen Mitteln, den Eindruck eines Politikwechsels bei der Massenzuwanderung zu erwecken. Horst Seehofer kündigt einen „Masterplan“ zur Beschleunigung von Asylverfahren an und die baldige Einrichtung der mit der SPD verabre-deten „Anker-Zentren“ zur Unterbringung von Asylbewerbern. Beides ist nach wie vor rechtlich wie politisch weitgehend diffus und man darf gespannt sein, was davon nach der bayerischen Landtagswahl noch übrig bleibt.
Politikwechsel bei Massenzuwanderung nur vorgetäuscht
CSU-Landesgruppenchef Dobrindt zieht unterdessen mit Kritik an der „Anti-Abschiebe-Industrie“ durch die Lande. Dabei sollte er eigentlich nicht überrascht sein. Denn er beschreibt die zwangsläufige Konsequenz einer Politik, die trotz gegenteiliger europäischer Rechtsgrundlage allein in den Jahren 2015 und 2016 mehr als 1,2 Millionen Zuwanderer unkontrolliert ins Land gelassen hat. Wohlgemerkt in der Regierungsverantwortung der CSU. Und eine echte Zuwanderungskontrolle gibt es bis zum heutigen Tage nicht.
Wer ungehindert nach Deutschland einreisen darf, wird auch weiterhin alle rechtli-chen Möglichkeiten ausschöpfen, möglichst lange hierbleiben zu können, am liebsten auf Dauer. Den meisten wird das gelingen. Sogar wer seine Herkunft geschickt verschleiert oder tatsächlich aus einem Land kommt, das ihn nicht mehr zurückhaben möchte, der darf bleiben, selbst wenn er sich schwerer Straftaten schuldig gemacht hat. Deshalb liegt der Schlüssel zu Bewältigung der Massenzuwanderung in der strikten Begrenzung der Einreise, statt später jahrelang und oftmals vergeblich an der Wiederausreise zu arbeiten. Nur so kann ein echter Politikwechsel in der Einwanderungspolitik gelingen. Solange die etablierten Parteien sich dazu nicht bekennen, werden sie ihre Vertrauenskrise nicht überwinden können.
Mit politischen Mogelpackungen kann man Menschen vielleicht eine Zeitlang täuschen. Aber auf Dauer funktioniert das nicht.
Gerhard Papke war FDP-Fraktionsvorsitzender im Düsseldorfer Landtag und dann dessen Vizepräsident.