Tichys Einblick
Trotz hoher Strompreise:

Mitten in der Energiekrise erklärt Habeck die Krise für beendet

Robert Habeck gibt Entwarnung: Gasspeicher voll, alles in Ordnung. Dass die Gaspreise höher sind als vor der Energiekrise und Industrie wie Bürger unter den Stromkosten ächzen, ist da Nebensache. Und der Wirtschaftsminister bereitet die deutschen Bürger auf weitere Lasten vor.

IMAGO / Mike Schmidt

Wie beendet man eine Krise? In Deutschland ist man daran gewöhnt, dass sie medial an Präsenz verliert, politisch dagegen ausgesessen wird. Die Migrationskrise 2015 haben Politik und Medien zwar abgehakt. Weg ist sie aber nicht. Denn eine echte Begrenzung der Zuwanderung hat es seitdem nicht gegeben. 2022 (2,6 Millionen) gab es laut Statista mehr Zuwanderer als 2015 (2,1 Millionen). Sieht man vom Corona-Knacks ab, handelt es sich demnach um ein durchgängiges Krisensymptom.

Ganz ähnliche Phänomene ließen sich bei der EU, der Ukraine, der Finanzwirtschaft und der Energiefrage konstatieren. Alles, was seit dem Ende der 2000er „Krise“ war, das ist es heute noch. Nicht mehr Lösung, sondern Verschleppung und Desinteresse an der Krise sind heute der übliche Weg.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hat ein eigenes Rezept zur Krisenbekämpfung: Er erklärt diese schlicht für beendet. „Das russische Gas fehlt nicht mehr“, sagt er beim Bürgerdialog Osnabrück, „also jedenfalls nicht als Menge an Molekülen.“ Die Gasspeicher seien gefüllt, es gebe keine Gasmangellage mehr.

Warum Deutschland sich immer noch in der Alarmstufe des „Gasnotfallplans“ befindet, obwohl die Gefahr abgewendet sei, erklärt der Wirtschaftsminister nicht. Die Gaspreise sind 50 Prozent höher als vor der Krise. Selbstverständlich müssten Unternehmen auch mit höheren Preisen kalkulieren, so Habeck. Dass Gaspreis und Strompreis zusammenhängen, hat Habeck bereits 2022 implizit bestritten, denn es gab damals kein Strom-, sondern ein Wärmeproblem, wie er und sein damaliger Staatssekretär Patrick Graichen betonten.

Dabei macht Habeck laut der Welt bei Gesprächen mit Lesern der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ bereits klar, dass – obwohl die Krise ja vorbei sein soll – ein weiterer Hammer bevorstünde. „Wir werden das Stromsystem noch einmal neu denken müssen“, sagt Habeck. „Ich hoffe, dass die Kraft noch reicht, das in dieser Legislaturperiode noch grundsätzlich zu verabschieden.“ Kohle- und Atomkraft würden abgeschaltet, deshalb müssten Speicher, Wasserstoffproduktion und eben Netze auf- und ausgebaut werden. „Jetzt müssen wir unser System stabilisieren“, so der Minister.

Auch private Verbraucher könnten künftig dazu beitragen, indem sie Strom in Elektroautos speichern und ihn bei Flaute oder nachts zurück ins Netz speisen. „Das wird dazu führen, dass das Stromsystem insgesamt günstig wird“, so Habeck. Jeder Bürger ist also dazu aufgefordert, selbst ein Teil der Energiewende zu sein, statt des Scherfleins sein E-Auto als Speicher beizutragen. In der Krise, die keine Krise ist, hallt die Ankündigung zum Zusammenhalt wie 2015 oder 2020. Nicht ohne Grund spricht die Welt von einer „neuen Normalität“ ohne Alarmzustand, aber deutlich höheren Energiepreisen. Um eine andere Krisenphrase zu recyclen: Nun sind sie halt da.

Man kann es leider nicht oft genug wiederholen: Ginge es dem Minister tatsächlich um günstigen Strom, dann hätten er und vorherige Bundesregierungen nicht eine zusätzliche Energiequelle in Form zahlreicher Atomkraftwerke buchstäblich in die Luft gejagt. Dann würden sie nicht auf E-Autos als mögliche „Speicher“ verweisen und weiterhin darauf setzen, dass das „Netz der Speicher“ sein könnte.

Es geht dabei nicht um pure Ideologie, sondern um ein Geschäftsmodell, das an Öko-Thinktanks und grüne NGOs gekoppelt ist; denn es gibt zahlreiche Länder im internationalen Vergleich, die ebenfalls auf erneuerbare Energien setzen, jedoch nicht als Ersatz, sondern als Ergänzung – und die Speicher als Speicher verwenden, und nicht das Netz. Sie gehen auch nicht davon aus, dass es keine Grundlast mehr geben wird. Vor allem kämen sie nicht auf die Idee, bei einem international aufgebauten wie sensiblen Netz wie dem europäischen davon auszugehen, ihren nationalen Sonderweg durchzusetzen, der bereits an der Grenze schwerwiegende Konsequenzen hat.

In den letzten Tagen ist viel über die Zukunft des „grünen Stahls“ gesprochen worden. Die Debatte gehört in einen sehr ähnlichen Kontext. Vermutlich wird „grüner Stahl“ tatsächlich eine Möglichkeit der Zukunft sein. Die Frage bleibt, ob dieser grüne Stahl in Deutschland produziert wird. Die langanhaltende deutsch-französische Debatte über „grünen“ und „roten“ Wasserstoff – ersterer aus „Erneuerbaren“, zweiterer auch aus Atomstrom gewonnen – sticht dabei heraus. In Frankreich ist es zweitrangig, woher die CO2-arme Energie kommt. Das gilt für nahezu alle Länder auf dem Globus. Berlin möchte aber sein eigenes Energiemodell auch den Nachbarn aufzwingen; der Erfolg dessen hat sich in der Vergangenheit gezeigt, als Brüssel zum Schock Deutschlands erklärte, dass auch die Kernkraft das grüne Etikett tragen darf.

Hinter diesen Spielen steckt die Sorge, dass die nur auf Erneuerbaren aufgebaute „Zukunftswirtschaft“ Deutschlands bereits im Wettbewerb mit den Nachbarn versagen könnte, sollten etwa Länder mit Kernkraftwerken doch in der Lage sein, etwa den „grünen Stahl“ günstiger herzustellen. Die Hoffnung war, dass man eine energieintensive Wirtschaft noch energieintensiver machen könnte, wenn das Ausland nur die Stromlücke „überbrücken“ könnte.

Die Abhängigkeit von strategischen Ressourcen, ob nun Gas im Energiebereich, oder eben bei Lithium und Seltenen Erden in grünen Schlüsselindustrien, war stets die Achillesferse der Energiewende und der ökonomischen Transformation. Das mag in einer zusammenwachsenden, friedlichen Welt denkbar sein; doch die weltpolitische Entwicklung geht in die andere Richtung. Das macht das Scheitern dieser Ambitionen, sowohl kurz- wie langfristig, augenfälliger. Nicht nur gesellschaftlich, sondern auch energiepolitisch ist grüne Politik Schönwetterpolitik.

Dass die Volksrepublik China auf E-Motoren umsatteln kann, liegt eben auch an einer umfassenden Offensive in Bezug auf die Stromerzeugung, bei der die Kernenergie als Stiefkind nicht ausgeschlossen wird. Die „grüne Ökonomie“ droht an sich selbst zu scheitern, indes die gar nicht so grünen Mitbewerber die grünen Produkte womöglich doch besser herstellen und liefern können. Dabei ist die Schlüsselrolle der Kernkraft nur ein Aspekt, sie ist aber hinsichtlich der deutschen Öko-Strategie die offensichtlichste Schnittwunde, die man sich selbst zufügt.

Dieses Scheitern im Großen kann auch die Beendigung des Gasmangels im Kleinen nicht übertünchen. Besonders nicht, wenn die vermeintliche Krise neuerlich nur verdrängt, statt gelöst wird. Im grünen Ministerium mag man vielleicht zustimmend auf den Tisch klopfen. Außerhalb der Politblase sieht das anders aus. Probieren Sie es doch vielleicht beim nächsten Ehestreit aus: Erklären Sie die Beziehungskrise einfach für offiziell beendet, wenn es Ihnen nicht mehr gefällt. Freilich wird die Reaktion anders ablaufen als bei den Habecknahen, die derlei mit sich machen lassen.

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