Als Wolfgang Bosbach am gestrigen Tage bekannt gab, dass er nicht mehr bei der kommenden Bundestagswahl antreten werde, erreichten mich viele betrübte Kommentare meiner Follower auf meiner Facebook-Timeline. Es scheint so, als hätte der Talkshow-Dauergast und CDU-Querdenker vor allem den Asyl- und Islamkritikern hierzulande ein wenig Resthoffnung gegeben, dass in der CDU doch nicht nur angepasste Ja-Sager herumlaufen. Dass es auch in den Reihen der CDU noch so etwas wie Stimmen der Vernunft gibt und Bosbach einer der letzten, der diese Vernunft unermüdlich in die Öffentlichkeit trägt.
Ein Guter geht
All das sagt viel über Wolfgang Bosbach aus, der zweifelsohne ein Guter ist. Es sagt jedoch umso mehr über unsere politische Landschaft aus und wie trostlos sich diese für viele Bürger dieser Gesellschaft mittlerweile darstellt. Denn Bosbach ist krank. Seit 1994 leidet er an einer Herzinsuffizienz. Seit 2004 trägt er einen Herzschrittmacher mit kombiniertem Defibrillator. Seine 2012 öffentlich bekannt gemachte Prostatakrebserkrankung gilt aufgrund fortgeschrittener Metastasen als unheilbar. Es war also absehbar, dass Bosbach, der sich seine schwere Erkrankung in der Öffentlichkeit nie anmerken ließ, über kurz oder lang aus dem Bundestag ausscheiden wird. Dass er trotz unermüdlichen Kampfes für seine Überzeugungen, der einem jeden Respekt abverlangt, den man nur haben kann, eher zur politischen Vergangenheit als zur politischen Zukunft Deutschlands gehört. Hinzu kommt, dass Bosbach infolge der Euro-Rettungspolitik der Bundesregierung, die er entschieden ablehnte, im Juli 2015 sein Amt als Vorsitzender des parlamentarischen Innenausschusses niederlegte und somit de facto seit dieser Zeit zumindest auf offiziellem Wege nicht mehr über den nötigen politischen Einfluss verfügt, um nennenswerte Änderungen in der Flüchtlingspolitik zu erzielen.
Was sagt es also über einen Teil der Gesellschaft aus, der dass Ausscheiden von Bosbach betrauert, der Hoffnung in einen Politiker legt, der obgleich eines der letzten Unikate in einem Meer von Angepassten, nicht nur krank, sondern als einfacher Abgeordneter auch kaum über die nötige Macht verfügt, etwas am Kurs der Kanzlerin zu ändern? Was sagt das darüber hinaus über die noch verbleibenden Politiker im Bundestag und der Regierung aus, wenn man einem wie Bosbach, trotz des Wissens um diese Einschränkungen, mehr zutraut als ihnen allen zusammen?
Mittelmaß bleibt
Sagen wir wie es ist: Die deutsche Parteienlandschaft mitsamt ihrer Politiker ist ein trostloser Haufen des Mittelmaßes und über weite Strecken des mangelnden Charakters. Mit ein wenig Rückgrat fällt man da schon ordentlich auf. Vor allem, wenn man es wie Bosbach trotz dessen, dass man dieses besitzt, in die Spitzenpolitik, in den Bundestag geschafft hat. Denn eigentlich scheitern Menschen mit Charakter wie er schon ganz unten an der Basis am Diktat des charakterlosen Mittelmaßes. Ich weiß das so gut, weil ich selbst nicht dieses Durchhaltevermögen wie er besaß.
Als ich vor einigen Jahren mit Anfang 20 nach gerade einmal drei Jahren aus der CDU austrat, tat ich das vollkommen desillusioniert. Als junge Frau mit unter 20 Jahren eingetreten, musste ich nach drei Jahren Partei realisieren, dass wer in einer Partei dort hin kommen will, wo er wirklich etwas bewegen kann, auf dem Weg dorthin sowohl seinen Charakter als auch sein Rückgrat auf der Strecke lassen muss. Nach oben kam nur, wer auf der einen Seite gut genug im Speichellecken war und auf der anderen Seite im richtigen Moment auch über Leichen gehen konnte. Also beschloss ich zu gehen, als es gerade richtig losging für mich, denn so jemand konnte und wollte ich nicht sein. Das ist jetzt Jahre her und noch immer hat sich zumindest in der CDU in meiner Heimatstadt dahingehend nicht viel geändert. Noch immer sitzen da die alten Herren, die Hausfrauen in Hosenanzügen, die farblosen Charaktere und angepassten Schleimer auf ihren Stühlen und bremsen alles aus, was von unten mit frischem Wind und viel Elan daherkommt. In anderen Parteien ist es erfahrungsgemäß nicht anders und so ist es nicht verwunderlich, dass am Ende eher selten die Bosbachs dieses Landes oder gar mal ein junger, moderner Mensch mit Durchblick im Bundestag sitzen und umso begieriger stürzt man sich in Teilen der Gesellschaft auf Menschen wie ihn und projiziert all seine Hoffnungen in jemanden, der zwar krank und ohne Amt, dafür aber mit Charakter und Rückgrat in der Talkshow sitzt und seine Meinung vertritt.
Ja, eigentlich ist es traurig, dass wir das, was gerade in der Politik eigentlich selbstverständlich sein sollte, an Menschen wie Bosbach loben. Dass wir eine vermeintliche Banalität, wie das Sagen der eigenen Meinung, das Einstehen für seine Überzeugungen, feiern, als wäre es das Unüblichste auf der Welt. Aber vermutlich tun wir das, weil es in der Politik mittlerweile so ist. Weil wir größtenteils von Menschen regiert werden, die wir als Nachbarn nicht mal grüßen wollen würden, weil sie uns so unsympathisch sind, während wir mit Leuten wie Bosbach nur zu gerne mal ein Würstchen grillen und ein Bierchen trinken täten.
Laut reden, ehe sie sich zurückhalten
Nun könnte man sicherlich einwenden, dass es auf solche Dinge wie Sympathie nicht zwingend ankommen würde. Dass es nicht darauf ankäme, mit wem man gerne ein Bier trinken wollte, sondern darauf, dass jemand kompetent und mit Weitsicht sein Mandat ausübt. Letztlich gehört jedoch auch dazu Rückgrat. Was nutzt es dem Wähler, dass er weiß, dass große Teile der CDU eben nicht konform mit der Flüchtlingspolitik der Kanzlerin gehen, wenn keiner von ihnen den Schneid hat, dies öffentlich zu kommunizieren und dagegen anzugehen? Was nützen einem Maulhelden wie Jens Spahn und Julia Klöckner, die gerne mal deutliche Worte zu Burka und Integration von Muslimen finden, aber sich im Zweifelsfall dann doch zurückhalten?
Es ist ein beliebtes Mittel der Deutschen, die Schuld bei der Politik zu suchen und sich darüber zu beklagen, was wir für schlechte, charakterlose Politiker haben. Das mag zum Teil gerechtfertigt sein, weil wir lediglich aus einer Liste des charakterlosen Mittelmaßes das geringste Übel auswählen dürfen. Weil die Vorauswahl derer, die uns vorgesetzt werden, parteiintern stattfindet. Und dennoch tragen wir mindestens eine Teilschuld an diesem Dilemma, aus dem es zumindest über den üblichen Weg der Wahl, keinen Ausweg zu geben scheint.
Die Wahrheit ist, dass Deutschland auch abseits der Politik ein Land ist, was stets das Mittelmaß hofiert und die Herausragenden mit Neid überdeckt. Das rächt sich nun umso mehr in Zeiten, wo es dringend auf die Herausragenden, die Menschen mit Charakter und Rückgrat ankäme. Wir wollten sie eben lange nicht, die eckigen Persönlichkeiten, die Leute, die aus der Masse herausstechen. Deswegen war uns die Kanzlerin auch so lieb – ist sie doch das beste Beispiel für diese Politikergeneration ohne jegliches Esprit und Ausstrahlung.
Dabei ist das Diktat des Netten und Mittelmäßigen längst nicht nur in der Politik zu finden. Es sind genauso all die mittelmäßigen Fernsehtalker, die bio-öko-getuerischen deutschen Schauspieler und Sänger in ihrem Scheiß-egal-Style, die deutlich machen, was wir Deutschen so gut finden: Das Mittelmaß, was uns selbst nicht so klein erscheinen lässt.
Nein, wir haben keine Obamas, keine Beyonces und auch keine Angelina Jolies. Nicht, weil es nicht auch bei uns Menschen mit Ausstrahlung und Esprit oder im Falle der Politik mit Meinung und Rückgrat gäbe, sondern weil wir den Mittelmäßigen irgendwann die Entscheidungsgewalt darüber zuteil werden ließen, wer es hierzulande zu etwas bringen kann und wer nicht. Weil hübsche und/oder talentierte Menschen in nahezu jeder Partei mit Neid und Intrigen der anderen überzogen werden und weil der, der für seine Überzeugung einsteht, eigentlich schon an der Basis scheitert und Karrieren wie die von Bosbach vor diesem Hintergrund schon fast an ein Wunder grenzen.
Ja, ein wenig weniger Neid und Schlechtgemache all jener, die herausragen, würde uns Deutschen in jeglicher Hinsicht wahnsinnig gut tun und uns vom Diktat der mittelmäßigen Unsympathen erlösen. Dann hätten wir auch in der Politik vielleicht eines Tages mehr Bosbachs und weniger Merkels und Taubers. Dann müssten wir uns nicht so politisch heimatlos fühlen oder unsere Hoffnung in eine einzige neue Partei oder einen einzigen Mann stecken, der als einer der Wenigen noch seine Meinung sagt. Dann hätten wir endlich wieder eine Auswahl fernab von Pest und Cholera. Dann hätten wir endlich wieder Farbe in der Politik.