Tichys Einblick
Der "Kaiser" ist tot

Mit Franz Beckenbauer geht ein Gigant

Alle großen Titel gewonnen, den FC Bayern zu einem der erfolgreichsten Clubs aufgebaut und die Weltmeisterschaft nach Deutschland geholt. Die Bilanz von Franz Beckenbauer ist ein einziger Siegeszug. Das hat ihn ins Visier der Neider gebracht.

IMAGO / AFLOSPORT

Nach drei Krisenjahren gewinnt der FC Bayern München 1994 die Deutsche Meisterschaft. Unter der Saison haben sie Erich Ribbeck als Trainer entlassen, Franz Beckenbauer – damals schon im Vorstand des Vereins – springt ein und führt die Mannschaft nach 1990 zur ersten Meisterschaft. Im Aktuellen Sportstudio soll „der Kaiser“ danach auf die Torwand schießen. Seine Spieler legen ihn den Ball auf ein Weizenbierglas. Beckenbauer versenkt ihn im unteren Loch. In diesen Tagen gelingt ihm alles. „Der Kaiser“ ist „Die Lichtgestalt“.

Vier Jahre ist da sein größter Erfolg her. Als „Teamchef“ hat er die deutsche Nationalelf 1990 zur Weltmeisterschaft geführt. Ein Begriff, der für Beckenbauer erst erfunden wurde. Der Kaiser hatte keinen Trainerschein, hatte ihn bis zum Schluss nicht. Für Monarchen gelten eigene Regeln. Während die Mannschaft den Titel feiert, schlendert Beckenbauer durch den Mittelkreis des römischen Olympiastadions. Die Kamera fängt ihn ein. Wer in diesem Moment keine Gänsehaut kriegt, der hat Fußball nie geliebt.

Sechs Jahre vorher hatte Beckenbauer die Nationalmannschaft übernommen. Sein Vorgänger Jupp Derwall hatte sie sportlich und charakterlich in den Abgrund geführt. Die Truppe war mehr für ihre Sauftouren bekannt als für fußballerische Leistungen. Beckenbauer baute die Mannschaft langsam auf, entwickelte Talente wie Lothar Matthäus, Thomas Berthold oder Andy Brehme zu gestandenen Spielern. Nach und nach integrierte er zudem weitere Talente: Jürgen Kohler, Jürgen Klinsmann, Thomas Häßler oder Andreas Möller.

Doch der Weg war steinig. 1986 standen ihm großartige Fußballer wie Häßler oder Klinsmann altersbedingt noch nicht zur Verfügung. Deutschlands damals bester Fußballer Bernd Schuster weigerte sich – nach der Behandlung durch Derwall – für die Nationalelf zu spielen. Also setzte Beckenbauer auf Defensive, baute mit Ditmar Jakobs, Norbert Eder, Karlheinz Förster, Hans-Peter Briegel und Berthold eine Betonabwehr auf. Dahinter stand der beste Torwart jener Tage, Toni Schumacher. Mit diesem Konzept brachte Beckenbauer eine spielerisch minderbegabte Truppe bis ins Finale.

Die Art wie seine Mannschaft spielte, musste Beckenbauer wehgetan haben. Er selbst war als Spieler ein Ästhet. Auftritte wie die 1986 gegen Marokko, Mexiko oder Dänemark konnten ihm nicht gefallen haben. Später prägte er dafür das Wort „Rumpelfußball“. Es war das Wissen, dass für den Erfolg im entscheidenden Moment Kompromisse notwendig sind, die Beckenbauer von den deutschen Idealisten abhoben. Wenn es darauf ankam, war es nicht die reine Lehre, die ihm wichtig war, sondern der Erfolg. Vor dem Meisterschaftsfinale von 1994 etwa hatte sich der Weltklasse-Verteidiger Jorginho massiv danebenbenommen. Beckenbauer ließ ihn zuerst draußen. Doch als der Verlust der Meisterschaft drohte, brachte er ihn doch noch und holte den Titel. Dank eines Treffers von Jorginho. „Ein Dieter Frey ist halt kein Jorginho“, rechtfertigte Beckenbauer später den Wechsel.

Unter schlechtem Fußball hat Beckenbauer immer gelitten. „Einmal würde ich gerne in einer Mannschaft spielen, in der alle elf Spieler den Ball stoppen können“, nannte er als größten Wunsch. In seiner Zeit als Spieler in München, bei Cosmos New York und dem HSV gab es noch Verteidiger wie Hans-Georg Schwarzenbeck, der nur auf dem Platz war, um Bälle wegzugrätschen und wegzuschießen. Doch lamentierte Beckenbauer zwar über die fehlende Brillanz anderer, er wusste aber auch, was er an einem Arbeiter wie „Katsche“ hatte. Pragmatismus statt Idealismus.

Obendrein kam Beckenbauer etwas zugute, das sich nicht lernen lässt: Charisma. Auf einer Weihnachtsfeier des FC Bayern zeugt er ein Kind mit der Sekretärin. Über andere wären die mittelmäßigen Journalisten erfolgreich hergezogen. Der Kaiser wehrte sie ab mit dem bestechenden Satz: „Der Herrgott hat a jedes Kinderl lieb.“ Wer will sich da noch über den Ehebrecher ärgern?

Mit seinem Charisma ist Beckenbauer auch in die Sprachgeschichte eingegangen. Aussagen von ihm wie „Geht’s raus und spielt’s Fußball“ sind in den allgemeinen Wortschatz übergegangen. Selbst Werbeslogans haben das dank Beckenbauer geschafft: „Ja ist denn heut‘ schon Weihnachten?“ Auch als Experte bei der Übertragung von Spielen der Champions League glänzt er. Und sein Satz wird lange bleiben: „Schau’n mer mal, dann seh’n mer scho.“

Für Journalisten ist er schwer zu ertragen: Spielt besser Fußball als sie, weiß mehr über Fußball, sieht besser aus, ist erfolgreicher, hat mehr Geld – und dann ist er auch noch als Journalist besser als sie. Zwar gilt er aufgrund seiner unheimlichen Siegesserie als „Die Lichtgestalt“ des deutschen Fußballs. Aber die Journalisten warten auf ihre Stunde.

Sie kommt, als Unregelmäßigkeiten zur Weltmeisterschaft 2006 auftauchen. Irgendwie soll es Schmiergelder gegeben haben und irgendwas soll Beckenbauer damit zu tun haben. Das reicht ihnen. Sie schreiben und reden die Lichtgestalt runter. Dass er in einen Skandal verwickelt sein soll, reicht ihnen, um Beckenbauers Lebenswerk niederzumachen. Das zieht sich bis in die Nachrufe, in denen das Irgendwie mit Irgendwas mehr Platz einnimmt als Weltmeistertitel als Spieler und Trainer. Die Lichtgestalt ist gefallen und die Mittelmäßigen können sich endlich wieder überlegen fühlen. Diese Hetzkampagne und der frühe Tod seines Sohnes Stephan dürften den frühen Tod Beckenbauers mit 78 Jahren befördert haben.

Es gab aber einen Grund dafür, dass Beckenbauer die Weltmeisterschaft nach Deutschland holte. Persönliche Bereicherung war es nicht: Der FC Bayern hatte um 2000 kein wettbewerbsfähiges Stadion mehr. Die Stadt sperrte sich gegen einen Neubau, der Architekt gegen einen Umbau des Olympiastadions. Ein neues Stadion werde es nur geben, wenn eine Weltmeisterschaft nach Deutschland kommt, ließ die Stadt die Bayern wissen – also holte Beckenbauer das Turnier in einem Monate dauernden, Kräfte zehrenden Feldzug nach Deutschland.

Die „Weltmeisterschaft im eigenen Land“ brachte Deutschland unglaublich viel. Zum Beispiel die Allianz-Arena in München. Eine Lücke der A6 bei Kaiserslautern, die Rheinland-Pfalz jahrelang nicht anfasste, konnte plötzlich in wenigen Monaten geschlossen werden. Alles war möglich. Touristen brachten hunderte Millionen Euro nach Deutschland. Vor allem aber erlebte das depressive, nörgelnde Land einen Ruck an Optimismus, der es noch lange nach 2006 trug. Aber- und Abermillionen Menschen waren plötzlich wieder zufrieden. Alles Dank Franz Beckenbauer. Angesichts seiner mittelmäßigen Kritiker, die das Irgendwie mit Irgendwas nicht loslassen wollen, sei daher ein Zitat von Otto Rehhagel mitgegeben: Nach so einer Oper gibt es nur eins. Aufstehen, Klatschen, Fresse halten!

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