Tichys Einblick
Arme alte Tante SPD

Mit diesem Personal kommt die Sozialdemokratie nicht voran

Die SPD baut nicht nur in Berlin Mist. Ihre Politiker beweisen auch in den Wahlkreisen, zum Beispiel in Pforzheim, dass die älteste deutsche Partei mit der Lebenswirklichkeit ihrer früheren Wähler nichts mehr zu tun hat.

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Was ist bloß los mit Deutschlands ältester Partei – der SPD? Selbst wenn man ihre Vorläuferparteien weglässt, hat sie immerhin 130 Jahre auf dem Buckel. Ein stolzes Alter, eine stolze Zeit, in der die SPD so manche Licht- und Schattenseiten durchlebte: das Kaiserreich, den Ersten Weltkrieg, die Revolutionen von 1918/1919, die Weimarer Demokratie, den Nationalsozialismus und den Zweiten Weltkrieg, die Zwangsvereinigung mit der KPD in Ostdeutschland, Reichspräsidenten-, Reichskanzler-, Bundespräsidenten- und Bundeskanzlerschaften, deutschlandweite Wahlergebnisse zwischen 19,8 und 45,8 Prozent, in Bundesländern zwischen 7,7 und 64,5 Prozent. Es waren Jahrzehnte, in denen die SPD vieles mitgestaltet und Deutschland oft politisch stabilisiert hat.

Muss man sich bei einer nunmehr 130jährigen Langlebigkeit über solche Berg- und Talfahrten hinweg um die Zukunft dieser Partei eigentlich Sorgen machen? Hat die SPD nicht oft genug bewiesen, dass sie über Resilienz verfügt, also über die Kraft, wieder aufzustehen und nach einer Entgleisung in die Spur zurückzukehren?

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Ja, man muss sich Sorgen machen, denn die SPD kommt nicht zur Ruhe. Oben nicht – auf Bundesebene, und unten nicht – vor Ort. Die SPD dümpelt auf Bundesebene ziemlich konstant bei 15 Prozent vor sich hin. Wohlwollende oder auch übellaunige Analytiker trösten die SPD mit dem Hinweis, dass sich die Milieus, also die Wählerschaften verändert hätten. Aber das greift zu kurz, denn die SPD baut einfach Mist. Sie hat sich auf Koalitionen eingelassen, die sie knebeln und ihr die Schau stehlen: Und sie knebelt und paralysiert sich selbst mit Mobbing, Tricksereien um Privilegien und Ämter, mit – ganz un-sozialdemokratisch – mit fehlender Solidarität sowie mit mangelnder personeller Kontinuität

Elf reguläre Vorsitzende hat die SPD zwischen der Wiedervereinigung 1990 und Dezember 2019 verschlissen: Vogel, Engholm, Scharping, Lafontaine, Schröder, Müntefering (2mal), Platzek, Beck, Gabriel, Scholz und Nahles; dazu sechs kommissarische Vorsitzende: Rau, Steinmeier, Scholz und das Trio Dreyer/Schäfer-Gümbel/Schwesig. Und es ist kein Ende dieses (Eigen-)Verschleißes in Sicht. Ein Teil des seit Dezember 2019 amtierenden Vorsitzenden-Tandems, Norbert Walter-Borjans, müht sich mehr oder weniger redlich sozialistisch, der andere Teil, Saskia Esken, lässt kein Fettnäpfchen aus, um sich selbst bei politischen und wirtschaftlichen Basics zu blamieren. Und das fast täglich!

Dazu kommt, dass sich die SPD in der Wahrnehmung der Wählerschaft zuletzt als Selbstbedienungsladen inszenierte. Den erfolgreichen und angesehenen Wehrbeauftragten Hans-Peter Bartels (SPD) lässt man in keine zweite Amtszeit kommen, und seinen trickreichen Mitkonkurrenten Johannes Kahrs (SPD) lässt man ebenfalls auflaufen, so dass dieser gefrustet alle seine politischen Ämter hinschmeißt. Dafür bringt man – mit Zustimmung des CDU/CSU-Koalitionspartners – mit Eva Högl (SPD) einen Berliner Versorgungsfall ins Amt, auch wenn die Dame bislang mit Bundeswehr null-komma-nix am Hut hatte. Dem nicht genug: Weil man die vormalige SPD-Vorsitzende Andrea Nahles nicht darben lassen wollte, befördert sie SPD-Finanzminister Scholz zur Präsidentin der Bundesanstalt für Post und Telekommunikation. Und das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RDN), das der Madsack-Mediengruppe gehört und dessen größte Kommanditistin wiederum die SPD ist, erdreistet sich auch noch, die „Literaturwissenschaftlerin“ und vormalige Bundesministerin Nahles dafür zu bedauern, sei sie doch schließlich für dieses Amt überqualifiziert.

Die SPD in Pforzheim: Beispiel für die Misere

Die SPD dümpelt auch vor Ort vor sich hin. Pforzheim ist aktuell eines von mehreren möglichen Beispielen. Die dortige SPD-Bundestagsabgeordnete Katja Mast (49), 2005 mit 34 Jahren erstmals und seitdem im Bundestag, vormals Juso-Funktionärin, hat um den 20. April 2020 den Pforzheimer Oberbürgermeister Peter Boch (CDU) aufgefordert, Pforzheim zum „sicheren Hafen“ für Flüchtlinge zu erklären. Nur am Rande, aber nicht ganz unwichtig: Pforzheim ist die Stadt mit dem höchsten Migrantenanteil aller Städte in Baden-Württemberg. Und: Katja Mast lebt seit einigen Jahren nicht mehr in Pforzheim, sondern rund 30 Kilometer entfernt im Kreis Rastatt.

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Nun hat Frau Mast die Rechnung ohne die Rathausfraktionen (insgesamt sind es 41 Gemeinderäte) und vor allem nicht mit dem kommunalen SPD-Platzhirsch Uwe Hück gemacht. Uwe Hück (57) ist Ratsfraktionssprecher der vier SPD-Gemeinderäte und auch sonst kein ganz Unbekannter. Er war Betriebsratsvorsitzender und stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender der Porsche AG sowie Europameister im Thaiboxen. Sein kerniges Auftreten in Talkshows ist so manchem noch in Erinnerung.

Uwe Hück also kritisierte Mast Vorstoß als „völlig daneben“, denn, so Hück, Pforzheim habe andere Probleme, zum Beispiel ist in der Kernstadt der Anteil der in Armut lebenden und auf Sozialhilfe angewiesenen Kinder gestiegen, in der Weststadt und der Au von knapp 40 auf rund 43 Prozent aller Unter-15-Jährigen. Und vor allem stört Hück die fehlende Absprache der Bundestagsabgeordneten mit der Parteibasis. Auch die AfD (6 Sitze im Gemeinderat) und die FDP/FW/UB/LED-Fraktion (10 Sitze) lehnen die Mast-Forderung ab. Wie sich die CDU (9 Sitze), die den Oberbürgermeister stellt, positioniert, ist noch offen. Geantwortet hat der OB noch nicht.

Das ist aber noch nicht alles, denn Uwe Hück will nun entweder für den Baden-Württembergischen Landtag, der am 14. März 2021 gewählt wird, kandidieren, oder aber gegen Katja Mast um den Einzug in den Bundestag im Herbst 2021 ringen. Die entsprechenden Nominierungen lassen wegen „Corona“ noch auf sich warten.

Fazit: Die SPD dümpelt vor sich hin. In der jetzigen Verfassung und mit dem aktuellen “Führungspersonal“ kommt sie nicht mehr von der Stelle. Die Gründe dafür sind – stellvertretend für viele vergleichbare – eine Causa „Nahles“ und eine Causa „Mast“. Beide „Fälle“ zeigen, dass die SPD mit der Lebenswirklichkeit und mit der Bodenständigkeit ihrer früheren Wähler nichts mehr zu tun hat. Die vormaligen SPD-Wähler wissen das zu „honorieren“, indem sie sich abwenden. Parteien- und demokratiegeschichtlich eigentlich eine Tragödie, wenn auch eine hausgemachte.


Heute Abend ab 17:05 Uhr spricht TE-Redakteur Ferdinand Knauß im SWR2-Forum mit der früheren SPD-Bürgermeisterin von Kiel, Susanne Gaschke und dem Buchautor Holger Fuß über das Thema „Staatstragend im Sinkflug – Wie krank ist die SPD?“. Die Sendung ist hier nachzuhören.

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