Tichys Einblick
Wenn der Mindestlohn angehoben wird

Spargel- und Erdbeeranbauer erwarten Produktionsverlagerungen ins Ausland

Verbände der Spargel- und Erdbeeranbauer schlagen Alarm. Die von der künftigen Bundesregierung zu erwartende Erhöhung des Mindestlohns wird vielen Betrieben die Wettbewerbsfähigkeit nehmen. Dann werden Spargel und Erdbeeren künftig noch mehr aus dem Ausland importiert werden.

Archivbild: Erntehelfer aus Rumänien stechen Spargel bei Bad Krozingen im Markgräflerland.

imago images / Winfried Rothermel

Mit der von SPD, Grünen und FDP geplanten Erhöhung des Mindestlohns auf zwölf Euro und Einführung der Sozialversicherungspflicht für ausländische Saisonarbeitskräfte droht den Spargel- und Erdbeerenanbauern in Deutschland eine Lohnkostensteigerung von bis zu vierzig Prozent. Gegenüber ihren Konkurrenten im europäischen und außereuropäischen Ausland verlören viele von ihnen endgültig ihre Wettbewerbsfähigkeit.

Die Ankündigung von SPD, Grünen und FDP, im Falle des Zustandekommens ihrer Ampel-Koalition umgehend den Mindestlohn von derzeit 9,60 Euro auf 12 Euro anzuheben, lässt jetzt schon in den Branchen, die von einer solchen Lohnkostensteigerung um 25 Prozent stark betroffen wären, sämtliche Alarmglocken klingen. So sieht etwa das Netzwerk der Spargel- und Erbeerenverbände e.V. die Produktion in Deutschland massiv gefährdet. Die bei ihnen organisierten landwirtschaftlichen Betriebe wären nach ihrer Einschätzung nicht in der Lage, eine solche Kostenerhöhung durch Produktivitätssteigerungen in ausreichendem Maße auszugleichen. Die regionale Spargel- und Beerenproduktion in Deutschland geriete, so schreiben sie in einem öffentlichen Alarmruf, in ernste Bedrohung.

Die überwiegend aus Osteuropa kommenden, saisonal eingesetzten Erntehelfer müssten ihre Arbeitsleistung um fünfundzwanzig Prozent erhöhen, obwohl sie heute schon auf einem Leistungsniveau arbeiten, das andere, für solche im Niedriglohnbereich angesiedelten Tätigkeiten zur Verfügung stehende Arbeitskräfte vielfach nicht erbringen können oder wollen. Einer entsprechenden Effizienzsteigerung mittels Automatisierung sind zugleich technische Grenzen gesetzt. Die Ernte von Spargeln oder Erdbeeren ist und bleibt überwiegend Handarbeit, die heute zirka vierzig Prozent der Produktionskosten ausmacht. Der Anteil der Löhne an den Gesamtproduktionskosten würde auf rund fünfzig Prozent steigen, sollten die zwölf Euro Mindestlohn, wie angekündigt, im kommenden Jahr den landwirtschaftlichen Betrieben staatlich verordnet werden.

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Bei Fortführung der Erzeugung und Ernte von Spargel und Erdbeeren in den deutschen Anbaugebieten wäre somit die einzige Alternative für die Betriebe eine Preiserhöhung, welche die zu erwartende Lohnkostensteigerung um fünfundzwanzig Prozent ausgleicht. Eine solche Maßnahme ließe sich gegenüber dem Handel und dessen Kunden aber kaum durchsetzen. Insbesondere die großen Handelsketten kaufen aufgrund des Preiswettbewerbs landwirtschaftliche Lebensmittel wie Spargel und Erdbeeren schon seit Jahren im billigeren Ausland ein und verkaufen sie über ihre Lebensmittelmärkte an die Endverbraucher weiter. Diesen ist es in den meisten Fällen gleichgültig, woher die Ware stammt, sofern sie qualitätsmäßig in Ordnung ist und weniger kostet als beim lokalen Erzeuger auf dem Wochenmarkt oder im Hofladen. Dort kaufen schon heute nur die weniger preissensiblen, dafür aber öko-orientierten Kunden ihre Lebensmittel. Aufgrund ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse könnten sie auch noch weitere Preissteigerungen in Kauf nehmen, was viele von ihnen vermutlich auch tun würden. Diesen Luxus kann sich jedoch nur eine Minderheit der Endverbraucher leisten.

Die weniger zahlungskräftigen Kunden von Lidl, Penny und Norma, vielleicht auch schon von REWE und Edeka, müssten sich hingegen beim Kauf und Verzehr von Spargel und Erdbeeren wohl etwas einschränken, sollten sich die entsprechenden Handelsketten gezwungen sehen, ihre Waren zu verteuern, um die Erzeuger höher bezahlen zu können. Daran würde angesichts allgemein stark steigender Preise auch die Aufstockung der Kaufkraft dieser Kunden durch einen höheren Mindestlohn nichts ändern. Ihr von der allgemeinen Preissteigerung ohnehin schon erzwungenes und von weiteren Verteuerungen einzelner Lebensmittel zusätzlich verstärktes Sparverhalten wiederum würde die Einnahmen und Gewinne der großen Lebensmittelhändler schmälern, was diese weder wollen noch zulassen werden. Stattdessen wollen sie dafür sorgen, dass Spargel und Erdbeeren weiterhin auch für die „kleinen Leute“ erschwinglich bleiben und nicht zu Luxuslebensmitteln für „Reiche“ mutieren, was insbesondere Spargel einst einmal war.

Die Spargel- und Erdbeeranbauer fürchten daher gemäß einer unter ihnen durchgeführten Umfrage unter anderem, dass die Handelsketten die anstehende Lohnkostensteigerung der Hersteller nicht ausgleichen, sondern sich noch mehr als heute schon bei den landwirtschaftlichen Betrieben im europäischen und außereuropäischen Ausland bedienen werden, um ihre Umsätze und Margen vor Verlusten zu schützen.

Verband Süddeutscher Spargel- und Erdbeeranbauer e.V. (VSSE)

Ein Trend, der schon länger anhält, durch die Erhöhung des Mindestlohns aber erheblich forciert würde. Größere Erzeuger reagieren angesichts ohnehin schon bestehender Lohnkostennachteile auf diese Entwicklung aber auch selbst schon mit der Verlagerung ihrer Produktion ins billigere Ausland. Sie kaufen dort vermehrt landwirtschaftliche Betriebe auf oder gründen zusätzliche, um so von den dortigen Mindestlöhnen zu profitieren. Diese liegen in Spanien zum Beispiel bei 5,76 Euro, in Polen bei 3,64 Euro und in Marokko bei 1,20 Euro. Auf diese Weise bleiben sie mit den großen Handelsketten am deutschen Markt weiter im Geschäft – zulasten ihrer heimischen Produktionskapazitäten und Arbeitsplätze, die schleichend abgebaut werden.

Auch dieser Trend könnte sich deutlich verstärken, sollten die aktuellen Mindestlohnpläne der Ampel-Koalitionäre Wirklichkeit werden. Badische Landwirte beispielsweise müssten ihre Spargel und Erdbeeren dann zunehmend in Spanien, Polen oder Marokko anbauen, damit andere badische Bürger es sich weiter leisten können, Spargel und Erdbeeren zu konsumieren. Eine Entwicklung, die aufgrund der mit ihr verbundenen logistischen Aufwände nicht nur den klimatologischen Footprint der gesamten Lieferkette deutlich verschlechtern, sondern auch die Fortführung der heimischen Betriebe dieser Landwirte erschweren, wenn nicht gar verunmöglichen würde. Dass ihre Verbände dagegen Sturm laufen, kann daher nicht weiter verwundern, zumal ihren Mitgliedern möglicherweise noch eine weitere, von der SPD und den Grünen angekündigte Kostensteigerung ins Haus steht.

Geplant wird von ihnen nämlich zusätzlich zum Zwölf-Euro-Mindestlohn eine generelle Aufhebung der Befreiung der Arbeitgeber von Saisonarbeitskräften von der Sozialversicherungspflicht mit dem Argument, es dürfe keinerlei sozialversicherungsfreie Beschäftigung in Deutschland mehr geben. Lediglich die FDP lehnt dies bislang mit dem Hinweis ab, eine solche Aufhebung beeinträchtige zusätzlich das wirtschaftliche Überleben von Branchen, denen es ohnehin schon schlecht geht. Wenn sie in diesem Punkt in den Koalitionsverhandlungen aber, wie beim Mindestlohn schon beschlossen, die rot-grünen Forderungen akzeptieren und in den Koalitionsvertrag mit übernehmen sollte, wird die Befreiung von der Sozialversicherungspflicht demnächst auch für die Spargel- und Erdbeeranbauer entfallen.

Diese Befreiung greift, sofern die Helfer nicht länger als drei Monate im Einsatz sind und in ihrem Heimatland beruflich keiner landwirtschaftlichen Tätigkeit nachgehen. In diesem Fall müssen weder ihre deutschen Arbeitgeber noch sie selbst Sozialversicherungsbeiträge an die deutschen Sozialkassen abführen. Das gilt derzeit für rund siebzig Prozent der ausländischen Helfer der Spargel- und Erdbeeranbauer. Sollte sich dies wie geplant ändern, dann rechnen ihre Verbände mit einer Lohnkostensteigerung nicht von fünfundzwanzig, sondern von rund vierzig Prozent, die für die meisten Betriebe existenzbedrohend wäre.

Betroffen wären davon aber nicht nur die Betriebe und deren Eigentümer, sondern auch die ausländischen Erntehelfer. Sie müssten von ihrem zukünftigen Zwölf-Euro-Stundenlohn nicht nur die Steuer, sondern zusätzlich auch noch die Beiträge zur Sozialversicherung abführen. Unterm Strich (netto) würden vor allem diejenigen von ihnen, die aufgrund ihrer guten Arbeitsleistung im Leistungslohn heute schon zwölf Euro in der Stunde verdienen, nicht mehr, sondern weniger Lohn mit zu ihren Familien in ihre Heimatländer nehmen. Um dies zu verhindern, müssten die Erntehelfer länger arbeiten oder die Betriebe die Löhne auf deutlich mehr als zwölf Euro anheben. Sie würden so ihre Kostennachteile gegenüber der ausländischen Konkurrenz so noch weiter vergrößern.

Paradebeispiel für falsche Wirtschaftspolitik
Hinter dem Fachkräftemangel steht die Produktivitätskrise
Die wirtschaftliche Wettbewerbs- und Überlebensfähigkeit der rund 1.300 Spargel- und Erdbeeranbauer in Deutschland wird die derzeit in Verhandlung stehenden rot-grün-gelben Koalitionäre vermutlich genauso wenig interessieren wie die Lage der rund 130.000 ausländischen Erntehelfer, die nicht nur um ihr Einkommen, sondern auch um ihre Beschäftigung in Deutschland fürchten müssen. Dafür ist das wirtschaftliche Gewicht dieser Branche, deren jährliches Handelsvolumen rund zwei Milliarden Euro beträgt, und ihr Einfluss auf die Berliner Politik wohl zu gering. Die Verbände der Erzeuger gehen daher davon aus, dass sich die politisch gewollten Kostensteigerungen nicht mehr verhindern lassen, sollte die Ampel-Koalition zustande kommen. Hoffnungen setzen sie allenfalls noch darauf, dass in Zukunft die Überprüfungen hinsichtlich der Befreiung von der Sozialversicherungspflicht entfallen, die ihnen bislang das Leben erschwerten.

Ansonsten werden sich die Verbände der landwirtschaftlichen Erzeuger unter einer Ampel-Regierung wohl vermehrt mit Fragen ihrer Mitgliedsfirmen befassen, die die Verlagerung von Produktionskapazitäten ins Ausland und den dortigen Einsatz von Arbeitskräften betreffen. Nur eine Minderheit von ihnen kann und wird dem Beispiel des Chefs des schwäbischen Hemdenherstellers TRIGEMA, Wolfgang Grupp, folgen, der schon vor Jahrzehnten die ständigen Forderungen des Großhandels nach Preisnachlässen in seiner Branche unter anderem mit dem Aufbau eines Direktvertriebs für qualitativ hochwertige und entsprechend teure Produkte beantwortete. Auch er konnte damit freilich den Exodus der Textilindustrie und der dort einst angesiedelten Arbeitsplätze aus Deutschland nicht aufhalten, sondern nur sein eigenes Unternehmen retten.

Erneut steht daher zu befürchten, dass mit den Spargel- und Erdbeeranbauern eine weitere Traditions-Branche den Produktionsstandort Deutschland schrittweise aufgeben und verlassen wird. Die Ampel-Koalitionäre scheint dies in ihrer öffentlich zur Schau getragenen Fortschrittseuphorie allerdings nicht weiter zu stören, solange nur die erneuerbare Energieerzeugung in Deutschland weiter subventioniert und ausgebaut werden kann. Vielleicht stellen die Spargel- und Erdbeeranbauer dafür bald schon diejenigen landwirtschaftlichen Flächen zur Verfügung, die sie für den Anbau ihrer bisherigen Erzeugnisse bis dahin stillgelegt haben. Windräder und Solarpanele statt Spargel und Erdbeeren in einst beschaulichen Landschaften: Das wäre dann ihr Beitrag zur von den Ampel-Koalitionären angestrebten grünen Transformation Deutschlands.

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