Tichys Einblick
Schlimmer noch als Nichts

Migrationsgipfel gegen die Interessen der Bürger

Der Migrationsgipfel endet mit einer Reihe von Kompromissen, mit denen kaum einer der Beteiligten zufrieden ist. Olaf Scholz hat das Treffen dennoch historisch genannt. Historisch bleibt, wie die Parteien an Bürgerinteressen vorbeiregieren.

Stephan Weil (SPD), Ministerpräsident von Niedersachsen, Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Boris Rhein (CDU), Ministerpräsident von Hessen, beim Pressestatement zum Deutschlandpakt im Rahmen der Beratungen bei der Ministerpräsidentenkonferenz im Bundeskanzleramt, Berlin, 06.11.2023

IMAGO / Political-Moments

Gestern kamen zunächst die Ministerpräsidenten der Bundesländer zusammen. Um 15 Uhr wollten sie dann ins Kanzleramt umziehen, um mit dem Bundeskanzler weiter zu beraten. Doch dort trafen sie erst gut drei Stunden später ein, weil es in der Ministerpräsidentenkonferenz hoch hergegangen sein soll. Immer wieder sei die Sitzung unterbrochen worden, hätten Gespräche in Kleingruppen stattgefunden, wie kolportiert wird. Auf Seiten der SPD-geführten Länder zeigte man sich verärgert, weil die unionsgeführten Länder überraschend noch Vorschläge eingebracht hätten, beispielsweise die Einführung der Möglichkeit, dass Asylverfahren in Drittstaaten durchgeführt, dass die Leistungen für Asylbewerber gesenkt und freiwillige Aufnahmeprogramme beendet werden. Schließlich zogen die Ministerpräsidenten mit einer zusätzlichen Protokollnotiz weiter ins Kanzleramt.

Im Kanzleramt wurde dann noch einmal herkulisch gerungen – letztlich um nichts. Scholzens Umschreibung für Nichts ist übrigens „historisch“, denn so nannte Scholz das Ergebnis der Runde, als er mit dem hessischen Ministerpräsidenten Boris Rhein und dem niedersächsischen Landesfürsten Stephan Weil den Presseraum des Kanzleramtes am 7.11. um 2.45 Uhr betrat. Es sei ein „historischer Moment“, dass alle Ebenen des Staates zusammengefunden hätten. Zudem verkündete Scholz: „Unser gemeinsames Ziel ist es, die irreguläre Migration zurückzudrängen.“ Schaut man sich aber die Ergebnisse der Gigantomachie an, so hat man eher darum gerungen, sich diesem Ziel keinesfalls zu nähern. Der Berg kreißte und gebar eine Maus. Ach, wäre es wenigstens eine Maus gewesen.

Weil Bundesregierung und Bundesländer nicht wirklich die Migrationspolitik ändern wollen, weder die Grünen noch die SPD und auch nicht die Merkel-CDU, versuchte man, den „Deutschlandpakt” und die Entbürokratisierung in den Mittelpunkt zu stellen. Ministerpräsident Weil tat es fast leid, dass „wir heute den Pakt für Beschleunigung beschließen, und zwar deswegen, weil wir natürlich auf der Tagesordnung auch noch andere Themen haben, die wahrscheinlich – so meine Vermutung – morgen in den Medien alles andere überdecken“.

Angesichts dessen, dass auf Deutschlands Straßen an antisemitischen Parolen verbreitet, palästinensische Fahnen geschwenkt werden als neues Hoheitssymbol und die Errichtung eines Kalifats in Deutschlands als Ergebnis einer islamistischen Landnahme gefordert wird, versteht man, dass die SPD lieber das Thema Bürokratieabbau in den Mittelpunkt stellen will. Auch angesichts dessen, dass Deutschland eine Nachhaltigkeitslücke von 17,3 Billionen Euro aufzuweisen hat und die Kosten der Migration – die von Grünen, der SPD, auch der CDU, wenn man an Berlin denkt, gefördert wird – mit großen Schritten steigen, versteht man das.

Aber auch das tangiert schon das Genre einer Schmierenkomödie, wenn man bedenkt, dass die Ampel in rekordverdächtigem Umfang und Tempo Deutschland immer stärker bürokratisiert. Leider wurden die Begriffe vertauscht, denn im Kern geht es bei dem sogenannten Bürokratieabbau um Demokratieabbau, um Abbau der Bürgerrechte, um die Vervollkommnung des Staatsdirigismus. Denn vor allem handelt es sich um die Reduzierung der Einspruchsrechte der Bürger gegen den Staat, darum, dass sich der Bürger nicht mehr wehren kann, um es einmal feuilletonistisch zu formulieren, wenn in seinen Vorgarten ein Windrad gestellt oder in seinem beschaulichen, bäumebeschatteten Innenhof der Wohnanlage, in der er wohnt, eine Flüchtlingsunterkunft gebaut wird.

Zu all dem fällt den Herrn Rhein vom Main nur ein: „Das ist das Prinzip, das mir besonders gut gefällt: das Einer-für-alle-Prinzip. Ich glaube, das Einer-für-alle-Prinzip ist ein tolles Prinzip für Deutschland, und auch hier haben wir es jetzt wirklich verfestigt.“ Man möchte sich für Boris Rhein freuen, dass er seinen Alexandre Dumas so sehr verinnerlicht hat, nur findet sich die Kehrseite des Einer-für-alle-Prinzips im Alle-auf-einen-Prinzip. Und der eine ist der Bürger. Denn der Migrationsgipfel, der er eigentlich sein sollte, blieb im Endeffekt historisch ergebnislos.

Man muss wissen, dass im Jahr 2022 mehr Migranten als 2015/2016 nach Deutschland kamen. Die Ministerpräsidenten der Union forderten, dass Asylverfahren in Drittsaaten stattfinden sollten. Am Ende akzeptierten die unionsgeführten Länder eine Klatsche. Denn sie stimmten zu, dass im Abschlusstext steht, die Bundesregierung prüfe, ob die Feststellung des Schutzstatus von Migranten unter Achtung der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention zukünftig auch in Transit- oder Drittstaaten erfolgen kann.

Die Bundesregierung prüft, sie prüft und prüft. Doch weshalb prüft sie, außer um der Union Gesichtswahrung für ihre Kapitulation zuzugestehen, wenn der Bundeskanzler das Ergebnis der Prüfung bereits vorwegnimmt: „Man muss am Ende des Tages jemanden finden, der das gemeinsam mit einem voranbringen will. Das ist nicht so leicht. Außerdem gibt es ja eine ganze Reihe an rechtlichen Fragen, deshalb haben wir uns ja auf Prüfung verständigt.“

Nein, diese Regierung will an der Masseneinwanderung in die deutschen Sozialsysteme nichts ändern und sie verschanzt sich gleisnerisch hinter Rechtsinstituten, die sie ändern kann, hinter Regelungen, die sie außer Kraft zu setzen vermag, und beschäftigt wahrscheinlich eine Heerschar von Mitarbeitern, die Gründe finden, warum das nicht geht, anstatt Wege zu entdecken, wie es geht. Die Bundesländer Bremen, Niedersachsen und Thüringen schafften es dann noch, die Farce in eine Klamotte zu verwandeln. Sie stellten in einer eigenen Notiz zum Protokoll fest, dass für eine Feststellung des Schutzstatus außerhalb der EU nur Länder in Frage kommen, in die sich die Schutzsuchenden freiwillig begeben haben. Das ist des Irrsinns Gipfel. An ihren Taten sollt ihr sie erkennen, denn ihre Worte sind nicht Schall und Rauch, sondern Nebel.

Zur mitternächtlichen Stunde wurde über die Finanzen gesprochen als dramatischer Höhepunkt einer Farce, denn dort herrscht das Prinzip Rechte-Tasche-linke-Tasche. Ganz gleich, ob man vom Bundeshaushalt oder von den Landeshaushalten spricht, man spricht über das Geld der Bürger, über Steuergelder, die man zuvor den Bürgern im ansteigenden Maße abpresst. Pro Asylbewerber zahlt der Bund, also der Steuerzahler, dem betreffenden Land eine Pauschale von 7.500 Euro. Man feiert sich für ein „atmendes System”. Die Länder hatten 10.500 Euro gefordert, der Bund wollte nur 5.000 Euro geben. Wer einen Asylantrag stellt, soll künftig erst nach drei Jahren ins Bürgergeld kommen, bisher waren es anderthalb Jahre. Damit bekommen die Betroffenen in diesem Zeitraum monatlich rund 100 Euro weniger an Leistungen.

Das „atmende System” heißt: wenn mehr kommen, wird mehr gezahlt – aber weniger werden nicht kommen. Zusätzlich nimmt der Bund Anfang 2024 eine Abschlagszahlung in Höhe von insgesamt 1,75 Milliarden Euro vor, die auf die Länder verteilt werden. Auf die Frage, wie der Staat das finanzieren will, antwortet Scholz: „Das Beste wäre natürlich, wenn die Zahl der Asylbewerber, die nach Deutschland kommen und erfolglos Schutzanträge stellen, abnimmt.“ Und wenn nicht, werden mehr Schulden aufgenommen und die Steuern erhöht, wie es die SPD vorhat, 100 Milliarden Euro will sie zusätzlich den Bürgern abnehmen.

Da helfen auch keine kosmetischen Maßnahmen, von denen man übrigens gar nicht weiß, wann sie kommen, wie eine Bezahlkarte, so dass weniger Bargeld fließt, oder, dass die Asylverfahren nach 6 Monaten beendet sein sollen, nicht müssen. Und wohin dann mit den abgelehnten Asylbewerbern?

Die Grenzkontrollen zu Österreich, zur Schweiz, zur Tschechischen Republik und zu Polen werden aufrechterhalten. Doch was nützen die, wenn die Bundespolizei die Migranten nicht abweisen darf? Wenn die Regierung nicht die Grenzen schließt und konsequent abweist, wird sich an der Situation nichts ändern, wird die Zahl der Migranten, die sich Zutritt zu Deutschland und ins deutsche Sozialsystem verschaffen, nicht reduziert.

Aber alle Bundesbürger können beruhigt sein, denn: „Wenn du nicht mehr weiter weißt, dann gründe einen Arbeitskreis.“ Zur Steuerung, nicht zur Reduktion der Migration, und zur besseren Integration will die Bundesregierung in Abstimmung mit den Ländern eine Kommission einrichten, in die alle gesellschaftlichen Gruppen einbezogen werden, so eben auch die Kirchen und die Gewerkschaften und vor allem natürlich Organisationen, die sich für die Migration engagieren. Man nennt das, den Bock zum Gärtner zu machen.

Dem Volk wurde ein Schauspiel geboten, in dem es verschaukelt wurde. Es wird sich etwas ändern: Es wird sich noch verschlechtern.

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